Fragestellungen der Studie:

  • Lernen mit Tablets - welche Hemmnisse bestehen aus Schülerperspektive (Tabletklassen vs. BYOD)?

Rezension zur Studie

Kammerl, R. (2018). Bildungstechnologische Innovation, mediendidaktische Integration und/oder neue persönliche Lernumgebung? Tablets und BYOD in der Schule. In J. Bastian & S. Aufenanger (Hrsg.), Tablets in Schule und Unterricht. Forschungsmethoden und -perspektiven zum Einsatz digitaler Medien (S. 175–189). Wiesbaden: Springer VS.

Wenngleich Tablet-PCs weithin als attraktive Technologie zur Stärkung des digitalen Lernens betrachtet werden, lässt sich hinterfragen, ob es aus Schülerperspektive Widerstände und Gründe gegen ein Lernen mit Tablets gibt.

Kammerl stellt Ergebnisse aus zwei Hamburger Pilotprojekten vor. In einem Projekt wurde ein Bring-Your-Own-Device-Ansatz (BYOD) realisiert, bei dem das Tablet neben dem Smartphone, Laptop etc. nur eines der verschiedenen digitalen Geräte ist, welches die Schülerinnen und Schüler privat für den Unterricht mitbringen. Im anderen Projekt erhielten alle Schülerinnen und Schüler ein Tablet der Firma Apple (iPad®). Der Autor untersucht, wie BYOD-Schülerinnen und -Schüler mobile digitale Geräte in Freizeit und Schule nutzen und ob die Verwendung von Tablets in der Schule von bestehenden Nutzungspräferenzen abhängt. Daneben eruiert er, wie Schülerinnen und Schüler aus Tabletklassen ihre Geräte einsetzen und welche Gründe sie dafür anführen.

Die Untersuchung basiert auf Ergebnissen der jeweiligen Projektevaluationen, in denen qualitative und quantitative Daten mittels Fragebögen, Hospitationen und Gruppendiskussionen erhoben wurden (Mixed-Methods-Ansatz).

Im Ergebnis zeigen sich mehrere schülerseitige Gründe, welche die Tabletnutzung in der Schule einschränken. Wenngleich etwa die Hälfte der BYOD-Schülerschaft ein Tablet besitzt, ist es nur selten das präferierte digitale Gerät und die Mehrheit beabsichtigt nicht, es mit in die Schule zu nehmen. Die Schülerinnen und Schüler der Tabletklassen nutzen ihre Tablets zwar regelmäßig für private Zwecke, aber in der Schule unterschiedlich intensiv und überwiegend nicht regelmäßig, was u. a. auf die bessere Prüfungsvorbereitung durch handschriftliche Notizen und die geringe Integration der Geräte durch die Lehrkräfte zurückgeführt wird. Die Schülerinnen und Schüler erkennen zudem ein Ablenkungspotenzial von mobilen Geräten, wobei Lehrkräfte mitunter unrealistische Selbstregulationskompetenzen unterstellen. Daher betont der Autor, dass Selbstregulation ein Ziel, nicht eine Prämisse digitalen Unterrichts sein sollte.

Der Beitrag beleuchtet zwei Umsetzungsparadigmen schulischer Digitalisierung und betont die Schülerperspektive. Allerdings ist das Design der zugrundeliegenden Evaluationen nur teilweise nachvollziehbar, die Ergebnisschau wirkt eklektizistisch und die Verzahnung zwischen empirischen Befunden und theoretischem Exkurs zur subjektorientierten Lerntheorie ist bedauerlich gering. Obzwar so nicht alle Erwartungen, die der Titel weckt, erfüllt werden, sensibilisiert der Beitrag dafür, bei digitaler Schulentwicklung über alle technischen und finanziellen Fragen nicht das Wesentlichste aus dem Blick zu verlieren: die Schülerinnen und Schüler.

Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.

Reflexionsfragen für Lehrkräfte:

  • In welchen unterrichtlichen Zusammenhängen meiner Fächer können mobile digitale Geräte gewinnbringend eingesetzt werden – abhängig von der Geräteklasse?
  • Wie setzen andere Lehrkräfte an meiner Schule mobile digitale Geräte im Unterricht ein?
  • In welchen Gremien verständigen sich die Lehrkräfte an meiner Schule über dein Einsatz mobiler digitaler Geräte im Unterricht?
  • Welche Maßnahmen kann ich ergreifen, um angemessen das Störpotenzial mobiler Devices in meinem Unterricht zu reduzieren?

Reflexionsfragen für Schulleitungen:

  • Verlangt das spezifische Nutzungsverhalten der Schülerinnen und Schüler von mobilen Devices eine besondere Berücksichtigung bei der Gestaltung des Medien- und Digitalisierungskonzepts?
  • Welche Maßnahmen sieht das Medien- und Digitalisierungskonzept vor, um eine sinnvolle, effektive und regelmäßige Einbindung mobiler Devices in den Unterricht (in allen Fächern) sicherzustellen?
  • Ist das Medien- und Digitalisierungskonzept mit der Fortbildungsplanung kurz-, mittel- und langfristig verknüpft?

Einleitend weist Kammerl darauf hin, dass das Thema „digitales Lernen“ im bildungspolitischen Diskurs zunehmend an Bedeutung gewinnt. Innerhalb dieses Diskurses wird der Vorwurf geäußert, deutsche Schulen hinkten beim Ausbau ihrer IT-Infrastruktur anderen Industrienationen hinterher. Laut der ICILS-Studie von 2013 bestehe an den untersuchten deutschen Schulen ein Verhältnis zwischen der Schülerschaft (der ganzen Schule) und einem Computer von 11,4 zu 1. Das durchschnittliche Schüler-Computer-Verhältnis aller an ICILS teilnehmenden EU-Staaten betrage 11,6 zu 1, womit Deutschland einen Platz im Mittelfeld einnimmt (vgl. Eickelmann et al. 2014). Bezogen auf weitere Aspekte der IT-Ausstattung wie interaktive Tafeln oder mobile Rechner konstatiert Kammerl, dass Deutschland unterhalb des Mittelfeldes liegt. Dies gelte auch im Hinblick auf das Gerätealter.

Man mag einwenden, dass das Schüler-Computer-Verhältnis eine quantitative Größe sei, die wenig über Lernerfolg und Unterrichtsqualität aussagt. Dennoch zeigen diese Werte, welche Distanz deutsche Schulen überbrücken müssen, wenn Lernumgebungen geschaffen werden sollen, die ein Eins-zu-Eins-Computing anstreben – sei es, dass bspw. der Schulträger die Schülerinnen und Schüler mit Tablets ausstattet oder dass die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen mobilen Endgeräte (Tablet oder Smartphone) mitbringen.

An benannter Alternative von BYOD versus 1:1-Tabletausstattung entbrennt eine Diskussion, welcher Ansatz mehr Kompetenzzuwachs bei den Schülerinnen und Schülern nach sich zieht. Verbunden mit dieser zentralen Frage sind Verweise auf die finanziellen Ressourcen der Bildungseinrichtungen und deren Träger. Außerdem prägt den Diskurs die Frage, welcher Qualifizierungsmaßnahme Lehrkräfte bedürfen, um die Professionalität im digitalen und mediendidaktischen Bereich weiterzuentwickeln.

Der vorgestellten Kontroverse widmet sich Kammerls Beitrag. Er vergleicht die Evaluationsergebnisse von zwei an mehreren Hamburger Schulen durchgeführten Eins-zu-Eins-Computing-Projekten. Während das Pilotprojekt Start in die nächste Generation einen BYOD-Ansatz verfolgt und nach der Praxistauglichkeit von BYOD für den Regelbetrieb fragt, liegt dem Pilotprojekt Paducation eine 1:1-Ausstattung von Oberstufenschülerinnen und -schülern mit iPads® zugrunde. Damit fokussiert Paducation auf die Geräteklasse Tablet. Weiter hingegen ist der Device-Rahmen beim BYOD-Ansatz. Die aufgeworfene Alternative – BYOD versus 1:1-Tabletausstattung – umfasst somit auch Fragen nach der Geräteklasse und dem Gerätehersteller. Der Autor weist darauf hin, dass Anhänger homogener 1:1-Ausstattungslösungen betonen, dieser Ansatz ermögliche ein besseres Lernen. Allerdings führt er weiter aus, dass ausgehend von „[…] empirischen Befunden zum Tabletgebrauch aus einschlägigen Schulprojekten […] Tablets weder für das Lehrerhandeln noch für das Lernen notwendigerweise die erwartete zentrale Rolle erhielten“ (S. 177f.).

Eingedenk dieser Befunde fragt Kammerl mit seinem Beitrag nach Effekten für Unterricht und Lernen, wenn Schülerinnen und Schüler im Unterricht und zu Hause ein mobiles Endgerät im 1:1-Gebrauch nutzen, welches Mittel und Gegenstand formaler Bildung ist. Hierbei stellt er sich der Thematik vorrangig aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler. Diese nutzen ohne Zutun der Schule Tablets und andere digitale, internetfähige Medien privat und verfügen bereits über Nutzungsroutinen und -präferenzen, bevor Schule derartige Medien in den Unterricht integriert. Daher untersucht Kammerl zudem die Auswirkungen von bereits ausgeprägten Routinen und Präferenzen der Schülerinnen und Schüler auf die Ansätze von BYOD und 1:1-Tabletausstattung.

Das in Hamburg angesiedelte BYOD-Projekt Start in die nächste Generation involviert die Nutzung von Lernplattformen und Software- bzw. Webangeboten, weshalb alle Projektschulen eine stabile WLAN-Infrastruktur vorwiesen. An diesem seinerzeit größten bundesdeutschen BYOD-Projekt nahmen bis November 2015 Schülerinnen und Schüler aus 60 Klassen von je drei Stadtteilschulen und Gymnasien teil. Die sechs Schulen realisierten ganz unterschiedliche Umsetzungskonzepte des BYOD-Ansatzes. Durch die Evaluation sollte zum einen geprüft werden, wie sich der BYOD-Unterricht auf Motivation, Medienkompetenz, Mediennutzung, Selbstregulation und Schulleistungen der Schülerinnen und Schüler auswirkt. Zum anderen interessierte, ob sich aus Sicht der Lehrkräfte der Unterricht durch BYOD veränderte und ob die Projektziele in der Praxis erreicht werden konnten.

Die gesamte Evaluation basierte auf einem Mixed-Methods-Design: Qualitative (z. B. Papier-Bleistift-Fragebögen für Schülerinnen und Schüler) und quantitative (z. B. leitfadengestützte Lehrkräfteinterviews) Erhebungsinstrumente kamen zum Einsatz. Neben Prä-Post-Vergleichen umfasste die Evaluation Datenerhebungen zu verschiedenen Phasen im Projektverlauf – auch im Abgleich mit einer Kontrollgruppe.

Befragt wurden 481 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 7 bis 9, von denen 312 an dem BYOD-Unterricht teilnahmen und 168 der Kontrollgruppe angehörten. Ein Gymnasium besuchten 254, eine Stadtteilschule 227 Schülerinnen und Schüler. Mit 53 % Schülern zu 47 % Schülerinnen war das Geschlechterverhältnis relativ ausgewogen. Da das Projekt zum Zeitpunkt der Erstellung des Beitrags noch nicht abgeschlossen war, berücksichtigt Kammerl nur Teilergebnisse.

Das 1:1-Tablet-Projekt Paducation startete 2011 am hanseatischen Kurt-Kröber-Gymnasium. In der ersten Projektphase (2011-2013) wurden alle Schülerinnen und Schüler der Oberstufe mit einem persönlichen iPad2® ausgestattet, das auch zu Hause genutzt werden durfte. In einer zweiten Projektphase (ab 2014) mussten die Eltern die Geräte bezahlen, wobei nun auch alternative Tablets zugelassen waren. Die projektbegleitende Evaluation betraf insbesondere die mit der Tablet-Einführung einhergehenden Herausforderungen für die Schulentwicklung im technischen, organisatorischen und strukturellen Bereich. Die Evaluationsergebnisse der ersten Projektphase flossen in die Konzeption der zweiten Projektphase ein. Auch in diesem Projekt fußte die Evaluation auf einem Mixed-Methods-Design: In die Evaluation flossen die Daten aus drei Gruppeninterviews mit insgesamt 22 Schülerinnen und Schülern, aus drei Gruppeninterviews mit insgesamt 16 Lehrkräften, aus einem Schulleiterinterview, aus einem standardisierten Online-Fragebogen, den alle an der ersten Projektphase teilnehmenden Schülerinnen und Schüler ausfüllten, und aus mehreren Unterrichtshospitationen ein. Weitere Angaben zur Paducation-Stichprobe sind im Beitrag nicht enthalten.

1. Nutzungshäufigkeiten mobiler Geräte (BYOD, Start in die nächste Generation)
Die hohe Smartphone-Ausstattung unter Jugendlichen (vgl. bspw. JIM Studie, MPFS 2015) bestätigt sich auch im Pilotprojekt Start in die nächste Generation: 90 % der befragten Schülerinnen und Schüler besitzen ein Smartphone und die Hälfte ein Tablet. Hierbei zeichnen sich keine größeren Unterschiede hinsichtlich des Geschlechts oder der Schulform ab. Die Voraussetzungen für einen BYOD-Ansatz sind daher allgemein günstig. Die Evaluationsergebnisse belegen allerdings Unterschiede im Nutzungsverhalten: Während lediglich 51 % der Schüler am häufigsten das Smartphone nutzen, sind es bei den Schülerinnen 81 %. Die Nutzungshäufigkeit der Jungen verteilt sich weiterhin auf PC (15 %) und Spielekonsole (12 %). Als Hauptmedium nutzen das Tablet lediglich 8,8 % der befragten Jugendlichen (7,6 % der Schülerinnen und 10 % der Schüler). Dieser Befund deckt sich mit dem Ergebnis, dass Schülerinnen und Schüler in die Schule am liebsten das Smartphone mitnehmen, obzwar sie über einen Laptop oder ein Tablet verfügen. Von denjenigen Schülerinnen und Schülern, die außerschulisch am häufigsten auf das Tablet zurückgreifen, wollen nur zwei Drittel das Tablet in die Schule mitnehmen.

Unabhängig von der Geräteklasse besitzen die mitgebrachten Geräte von 53 % der Schülerinnen und Schüler an Stadtteilschulen ein Alter von nicht mehr als 10 Monaten. Auf derart neue Geräte können am Gymnasium nur 43 % der Schülerinnen und Schüler zurückgreifen. Was die Nutzungsdauer der Geräte für schulische Zwecke anbelangt, unterscheiden sich die Schülerinnen und Schüler zwischen Gymnasium und Stadtteilschule kaum – mehrmals wöchentlich meist kürzer als 30 Minuten nutzen die befragten Schülerinnen und Schüler die internetfähigen Geräte für schulische Zwecke. Die Nutzung der Geräte für Freizeitinteressen ist unter den Gymnasiastinnen und Gymnasiasten gleichmäßig auf einen Zeitraum von einer bis drei Stunden verteilt. Unter den Schülerinnen und Schülern von Stadtteilschulen greift die Mehrheit auf Tablet & Co. mehr als drei Stunden pro Tag zurück. Es zeigt sich, dass im Nutzungsverhalten das Tablet eine Option unter weiteren bildet. Dies mag erklären, warum die meisten Tabletbesitzer dieses Gerät nicht in die Schule mitnehmen wollen. Ausnahmen stellen lediglich diejenigen Schülerinnen und Schüler dar, welche das Tablet – schulisch wie privat – am häufigsten nutzen.

2. Aneignung der Tablets durch die Schülerinnen und Schüler (Tabletklassen, Paducation)
Die Bereitstellung persönlicher Tablets bedingt die Nutzung der Geräte für schulische und private Zwecke, sodass Tablets einen hohen Lebensweltbezug für Schülerinnen und Schüler einnehmen. Im privaten Bereich dominiert die Nutzung der Tablets für Freizeitinteressen. Die Daten aus Paducation zeigen, dass während der Schulzeit die Geräte von der Mehrheit der Schülerinnen und Schüler in den meisten Fächern nur unregelmäßig für schulische Zwecke genutzt werden.

Ursächlich ist zum einen die Unterrichtsgestaltung der Lehrkräfte, die Tablet-Anwendungen in einigen Oberstufenkursen gar nicht oder selten nutzen. Zum anderen lassen sich unterschiedliche Grundhaltungen und Mediennutzungsroutinen auf Seiten der Schülerinnen und Schüler nachweisen. Ähnlich wie bei Start in die nächste Generation zeigen die Schülerinnen und Schüler in Paducation ein heterogenes Nutzungsverhalten hinsichtlich der Präferenz für eine bestimmte Geräteklasse. Es ist also keineswegs so, dass die flächendeckende Einführung der Tablets eine Hinwendung aller Schülerinnen und Schüler zu dieser Geräteklasse als Leitmedium mit sich bringt, und die Meinungen über die Sinnhaftigkeit verschiedener Medienpraxen variieren, beispielsweise empfinden sich einige der Schülerinnen und Schüler besser auf Prüfungsanforderungen (z. B. im schriftlichen Abitur) vorbereitet, wenn sie ihre Mitschriften nicht mit dem Tablet, sondern mit Papier und Stift tätigen.

Daneben erkennen Schülerinnen und Schüler in den im Unterricht genutzten Tablets ein Ablenkungspotenzial. Schülerinnen und Schüler der Oberstufe forderten teilweise ein, dass Lehrkräfte strikter bei Missbrauch der digitalen Freiheiten Verbote aussprächen. Mit dieser Forderung geben Schülerinnen und Schüler die fälschlich an sie adressierte Verantwortungsübernahme bezüglich der Gerätenutzung, der Gerätekonfiguration, der Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen u. s. w. an die Lehrkräfte zurück.

Zwei Jahre nach Start von Paducation erfolgte eine weitere Evaluation, die ergab, dass die Nutzung der Tablets im Unterricht nachgelassen hatte. „Hierfür wurde insbesondere die geringe und aus Schülersicht nicht immer überzeugende Einbindung durch die Lehrkräfte als Grund angeführt“ (S. 185). Dies bedeutet nicht, dass die Schülerinnen und Schüler den Nutzwert des Tablets für Lehr-Lern-Prozesse allgemein infrage stellen. Aber eine wenig durchdachte Einbindung von Tablets in den Unterricht schmälert in den Augen der Schülerinnen und Schüler den Nutzwert von Tablet-Unterricht.

Hintergrund
Den sich dynamisierenden Digitalisierungsprozess in Schulen flankieren vorrangig technische und finanzielle Fragen. Der Raum für didaktisch-methodische Überlegungen ist demgegenüber häufig begrenzt. Damit steigt das Risiko, dass Unterricht den Chancen und Risiken der mit hohem finanziellem Aufwand eingeführten Soft- und Hardwareoffensive nicht angemessen gerecht wird. Diesen relevanten Zusammenhang problematisiert Kammerls Beitrag ebenso wie die Entscheidung über eine angestrebte Geräteklasse, welche primär aus Sicht der Lehrkräfte erfolgt und zu selten Nutzungspräferenzen von Schülerinnen und Schülern berücksichtigt. Beide Themenschwerpunkte betreffen relevante Forschungsdesiderate.

Der Autor beschränkt sich nicht nur darauf, die zuvor teilweise unveröffentlichten Evaluationsdaten aus den zwei großen hanseatischen Pilotstudien Start in die nächste Generation und Paducation zu präsentieren und zu interpretieren. Er stellt den Befunden im dritten Abschnitt seines Beitrags eine theoretische Einordnung auf Grundlage der subjektorientierten Lerntheorie gegenüber. Die Bezüge zwischen den empirischen Befunden und den lerntheoretischen Ausführungen bleiben hinter dem Erkenntnisgewinn, den eine theoretische Fundierung leisten kann, zurück. Dies hat seine Ursache darin, dass zwischen den präsentierten Daten und den Ausführungen im Theorieteil zu wenige Bezüge hergestellt werden. Stattdessen werden Verweise auf eine unzulängliche Foucault-Rezeption von Holzkamp eingeführt. Diese Kritik führt von der eigentlichen Fragestellung weg. Statt den fundamental wichtigen Hinweis genauer mit Daten zu unterfüttern, dass auch im Kontext der Digitalisierung Schülerinnen und Schüler als Subjekte ihrer Lernprozesse ernst zu nehmen seien, nutzt Kammerl den begrenzten Platz seines kurzen Beitrags für poststrukturalistische Reflexionen.

Design
Die empirische Anlage des Beitrages ist reizvoll: Es werden zwei umfangreichere Pilotprojekte zum 1:1-Computing untersucht. Vom Standpunkt der Schulentwicklung erhoffen sich Lesende empirisch gestützte Anregungen für eigene Entscheidungsprozesse im Zusammenhang mit BYOD oder einzusetzenden Geräteklassen. Leider erfüllt der Beitrag diese Hoffnung nicht in dem Maße, wie es die Anlage vermuten lässt. Erstens sind die Daten zu Start in die nächste Generation eher quantitativ, hingegen zu Paducation eher qualitativ. Dies macht Vergleiche der Befunde nicht einfacher, insbesondere weil im Abschnitt zu Paducation ein größeres Gewicht auf nicht verallgemeinerbaren Einzelaussagen liegt. Zweitens fehlen v. a. in der Darstellung des Designs zu Paducation wesentliche Details: Was erfragt der standardisierte Online-Fragebogen? Nach welchen Vorgaben erfolgen die Hospitationen? Welches Vorgehen mit welchen Schwerpunkten liegt den Gruppendiskussionen zugrunde? Wie wurden die Daten des Mixed-Methods-Designs zusammengeführt? Welche alternativen Methoden kommen warum nicht zum Einsatz?

Eine Replizierbarkeit ist nicht gegeben. Dieser Umstand belastet zusätzlich den Versuch, die Daten zu beiden Pilotstudien in einen Vergleich einzubeziehen, um daraus Schlüsse für die eigene Schulentwicklung abzuleiten. Im Zusammenhang mit mobilen Devices wären weitere themenspezifische Daten wünschenswert. Stichpunktartig sei genannt: Administrierung, Medienkonzepte, Datenschutz, WLAN-Ausleuchtung und Bandbreite, Lehrkräftefortbildung etc. pp. Dergleichen Daten scheinen durch das Design der Begleituntersuchungen nicht erhoben zu sein.

Ergebnisse
Kammerl beantwortet in seinem Beitrag die aus dem Text abgeleiteten Forschungsfragen teilweise. Aufschlussreich ist dabei das Ergebnis, dass die bereits vor Projektstart ausgeprägten Nutzungspräferenzen erhebliche Auswirkung auf die Device-Nutzung haben. Der Ansatz, diesen Befund über die subjektorientierte Lerntheorie zu fundieren, überzeugt. Mit Blick auf den Umstand, dass in beiden Projekten zu verschiedenen Zeiten Evaluationen vorgenommen wurden, muss die Frage erhoben werden, warum kaum Ergebnisse vorliegen, die erklären können, warum bspw. viele Schülerinnen und Schüler das Smartphone gegenüber dem Tablet präferieren.

Kammerl nennt für das Paducation-Projekt die geringe und nicht immer passende Unterrichtseinbindung des Tablets seitens der Lehrkräfte (vgl. S. 185). Im Fall des offeneren BYOD-Projekts lassen die Daten ebenfalls erkennen, dass eher wenige Schülerinnen und Schüler eine besondere Neigung hin zum Tablet haben. Da diese Geräteklasse aktuell in vielen Schulen eingeführt werden soll, interessiert, ob die vorrangige Ursache der Tablet-Zurückhaltung die wenig überzeugende Didaktisierung dieser Geräteklasse durch die Lehrkräfte ist. Ob Gewicht, Akkuleistung, Leistungsfähigkeit, Größe oder andere Parameter aus Sicht der Schülerinnen und Schüler gegen das Tablet sprechen, bleibt auch nach Lektüre rätselhaft. Dies fällt besonders darum ins Gewicht, weil der Autor ankündigt: „Mit diesem Artikel soll ein Beitrag dazu geleistet werden, entsprechende Entscheidungen und Perspektiven von Schülerinnen und Schülern darzustellen, mögliche Erklärungen zu diskutieren und theoretisch einzuordnen“ (S. 178).

Ob sich in beiden Projekten Veränderungen in der Medienkompetenz und beim kooperativen sowie kollaborativen Lernen anhand gänzlich neuer Lernprodukte (digitaler Videoclip, interaktiver Webblog u. s. w.) eingestellt haben und wie Schülerinnen und Schüler dies beurteilen, bleibt ungeklärt.

Das Label von der „Neubestimmung des Lernens“ durch Digitalisierung tragen nicht wenige Bildungspolitiker, Journalisten und Erziehungswissenschaftler im Mund. Welche Perspektiven hierzu die an beiden Pilotprojekten teilnehmenden Schülerinnen und Schüler einnehmen, beantwortet Kammerl nicht. Da die letztgenannten Themen den Digitalisierungsdiskurs besonders prägen, erstaunt es, dass der Beitrag hierzu keine Daten bereithält bzw. nicht informiert, warum diese erwartbaren Daten fehlen. Größeren Raum nimmt die Auswertung und Interpretation des Nutzungsverhaltens, des Gerätealters und der präferierten Geräteklasse in der Datenauswertung zu Start in die nächste Generation ein. So wissenswert und nützlich diese Ergebnisse sind, weckt der Titel des Beitrages auch weitere Erwartungen zum Umgang mit Tablets und BYOD in der Schule.

Lobenswert ist die entwicklungspsychologisch orientierte Auswertung der Daten zum Ablenkungspotenzial der mobilen Devices: Kammerl problematisiert plausibel die Folgen einer konzeptlosen und unangemessenen Verantwortungsübergabe an Schülerinnen und Schüler im Umgang mit den Ablenkungsreizen mobiler Endgeräte. Hier zeigt er auf, dass Selbstregulationsprozesse erst erworben werden müssen und nicht vorausgesetzt werden können.

Diese Rezension wurde erstellt von:
Dr. Holger Braune, Schulleiter an der Freien Christlichen Gesamtschule Düsseldorf

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