Fragestellungen der Studie:

  • Schulen reagieren unterschiedlich auf eine Schulinspektion, lassen sich verschiedene Typen identifizieren?

Rezension zur Studie

Wurster, S. & Gärtner, H. (2013). Schulen im Umgang mit Schulinspektion und deren Ergebnissen. Zeitschrift für Pädagogik, 59(3), 425–445.FIS Bildung

Die Entwicklungsfunktion von Schulinspektionen ist im aktuellen Steuerungsparadigma von zentraler Bedeutung, d. h., alle Schulen sollen produktiv mit den Ergebnissen umgehen und sie für ihren Entwicklungsprozess nutzen. Die Wahrnehmungen und Verarbeitungsprozesse, die im Zusammenhang mit einer Schulinspektion stehen und ihre längerfristigen Effekte möglicherweise wesentlich beeinflussen, sind jedoch nicht an allen Schulen gleich, z. B. die Wahrnehmung und Akzeptanz des Verfahrens, die Aktivitäten im Vorfeld einer Inspektion, die eingeholte externe Unterstützung sowie die schulinterne Rezeption und Verarbeitung der Ergebnisse.

Wurster und Gärtner untersuchen, ob sich an inspizierten Schulen typische Muster der Wahrnehmung und Verarbeitung identifizieren lassen und ob diese Typen je nach Schulform unterschiedlich häufig vorkommen. Hierfür analysierten sie Daten einer Online-Befragung von 316 Schulleitungen und 1.072 Lehrkräften aus Berlin und Brandenburg mithilfe einer latenten Klassenanalyse (Latent Class Analysis, LCA).

Im Ergebnis lassen sich fünf Typen unterscheiden: (selbst-)zufriedene Schulen (24 %), aktive Schulen (18 %), reaktive Schulen (21 %), aktiv unzufriedene Schulen (23 %) und passiv unzufriedene Schulen (15 %). Die Verteilung der Typen variiert zwischen den Schulformen, z. B. sind unter Gymnasien relativ häufig (selbst-)zufriedene Schulen anzutreffen, unter Berufsschulen reaktive Schulen und unter Schulen mit mehreren Bildungsgängen aktiv unzufriedene Schulen. Relativ selten sind passiv unzufriedene Schulen unter Grundschulen und aktive Schulen unter Berufsschulen.

Wenngleich es für Schulen und Schulaufsicht möglicherweise hilfreich ist, typische Reaktionen auf Schulinspektionen zu kennen, um die produktive Nutzung der Ergebnisse zu unterstützen, dürfen diese Befunde nicht zu einem (stigmatisierenden) Schubladendenken verleiten. Vielmehr ist eine individualisierte Betreuung in Absprache mit der jeweiligen Schule erforderlich, und an jeder Schule muss neu entschieden werden, ob und inwieweit eine Betreuung, Begleitung, Führung und/oder Hilfestellung vor oder nach einer Inspektion erfolgen sollte, damit eine gewinnbringende Eigenentwicklung der Schulen stattfinden kann. Verbunden damit ist der Auftrag an Schulaufsicht und -politik, das entwicklungsorientierte Verständnis von Schulinspektion transparent zu machen und konsequent umzusetzen, um Ängste zu nehmen und möglichen negativen Folgen von Inspektion entgegenzuwirken.

Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.

Reflexionsfragen für Lehrkräfte:

  • Wie nehme ich die Verarbeitung und Nutzung der Ergebnisse einer Inspektion an meiner Schule wahr?
  • Was kann ich persönlich oder gemeinsam mit Kollegen tun, damit eine bessere Nutzung der Ergebnisse einer Inspektion stattfindet?
  • Welche Einstellung zur Schulinspektion habe ich persönlich? Sollte ich diese vielleicht in Hinblick auf das Selbstverständnis und Ziel der Schulinspektorate überdenken?
  • Auf welche Art und Weise nehme ich als Lehrkraft meine Innovationsfunktion wahr und habe ich mich in die Schulentwicklungsprozesse – auch ohne angekündigte Inspektion – eingebracht?

Reflexionsfragen für Schulleitungen:

  • Wie nehme ich die Verarbeitung und Nutzung der Ergebnisse einer Inspektion an meiner Schule wahr?
  • Was kann ich persönlich oder gemeinsam mit dem Kollegium tun, damit eine bessere Nutzung der Ergebnisse einer Inspektion stattfindet?
  • Wurden bereits entsprechende Projektgruppen, welche sich mit der Schulentwicklung befassen, eingerichtet?
  • Welche Einstellung zur Schulinspektion habe ich persönlich? Sollte ich diese vielleicht in Hinblick auf das Selbstverständnis und Ziel der Schulinspektorate überdenken?
  • Welche Möglichkeiten bestehen, um möglichst viele Lehrkräfte für Schulentwicklungsmaßnahmen zu gewinnen?
  • Wie kann ich für Transparenz sorgen und den Kolleginnen und Kollegen die Angst vor einer Inspektion nehmen und gleichzeitig die Chance einer Inspektion hervorheben?
  • Wie kann ich als Schulleitung möglichst viele Kolleginnen und Kollegen für den Stellenwert der Innovationsarbeit an unserer Schule sensibilisieren und gemeinsam mit Ihnen Leitthemen und Entwicklungsziele formulieren?
  • Welche Kompetenzen bringen die einzelnen Lehrkräfte des Schulentwicklungsteams mit und welche Kompetenzen und Einstellungen sollten Sie idealerweise noch erlangen, um eine gewinnbringende Schulentwicklung voranzutreiben?
  • Wie kann ich die Arbeit der Schulentwicklungsteams bestmöglich unterstützen?

Einleitend konstatieren Wurster und Gärtner, dass zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels sich vor allem in Europa der Trend abzeichne, Schulinspektionen vermehrt als ein Verfahren der Qualitätssicherung und -entwicklung im Bildungssystem einzusetzen. Schulinspektion diene zum einen als externe Kontrolle, um einen Mindeststandard an Prozessqualitäten zu sichern, zum anderen würden mit Schulinspektion unter dem Stichwort „Entwicklungsfunktion“ weitere Wirkhoffnungen verbunden. Im Rahmen des aktuellen Steuerungsparadigmas sollten alle Schulen produktiv mit den Ergebnissen einer Schulinspektion umgehen.

Wirkmechanismen von Schulinspektion
Im Weiteren beschreiben Wurster und Gärtner zunächst den Ablauf einer typischen Schulinspektion: In der Regel beurteilen Inspektorinnen und Inspektoren die Qualität einer Schule als Ganzes während eines Schulbesuchs. Als Grundlage für die Bewertung dient ein offizieller Qualitätsrahmen, welcher sowohl Prozessqualitäten – wie Schulmanagement, die Professionalität der Lehrkräfte oder Unterrichtsqualität – als auch Ergebnisse einer Schule in den Blick nimmt. Die mithilfe unterschiedlicher Verfahren (u. a. Fragebögen, Unterrichtsbeobachtungen, Interviews) erhobenen Daten werden anschließend aggregiert und in ein Stärken-Schwächen-Profil überführt. Dieses Profil wird an die Schule selbst sowie der Schulaufsicht übermittelt. Damit ist die Arbeit der Schulinspektion getan und die Verantwortung für die Arbeit mit den Ergebnissen und die Entwicklung liegt bei der jeweiligen Schule und deren Schulaufsicht.

Im Anschluss präsentieren Wurster und Gärtner vier Funktionen der Wirkung und Wirksamkeit von Schulinspektion nach dem Modell von Landwehr (2011). Die Hauptfunktion ist, transparent und standardisiert Wissen über die Qualität einer Schule zu generieren. Dieses Wissen kann zur Erfüllung weiterer Funktionen genutzt werden. Hierbei handelt es sich um die Eigenentwicklung der Schulen (Entwicklungsfunktion), das Anordnen von Entwicklungsprozessen seitens der Schulaufsicht (Kontrollfunktion), und zusätzlich kann die Ankündigung einer Inspektion zu einer Auseinandersetzung mit Qualitätskriterien und der Vorbereitung auf eine Inspektion führen (Funktion der Normendurchsetzung).

Forschungsstand zu Wirkungen von Schulinspektion
Wurster und Gärtner merken an, dass bisherige Studien zu den Auswirkungen von Schulinspektion auf inspizierte Schulen fast ausschließlich aus den Niederlanden und England stammten und lediglich die Funktion der Inspektion auf Schulentwicklung thematisierten. Eine deutsche Studie deute darauf hin, dass die Haupteffekte von Inspektionen möglicherweise in der Funktion der Normendurchsetzung liegen (Gärtner, 2011). Die Erkenntnislage aus Studien zur Wirkung von Schulinspektion beschreiben Wurster und Gärtner als sehr uneinheitlich. In englischen Studien beispielsweise sei ein eher negativer Effekt auf Schülerleistungen durch Inspektion erzielt worden und in einer niederländischen Studie ein eher positiver Effekt.

Erklärungen für differentielle Effekte von Schulinspektion
Zur theoretischen Verortung ihrer Untersuchung rekurrieren Wurster und Gärtner auf ein Modell von Ehren und Visscher (2006). Hinsichtlich der Wirkung von Schulinspektion sind nach diesem Modell sowohl Eigenschaften der Schule (z. B. Einstellung des schulischen Personals zu Veränderungen, Innovationsfähigkeit), Eigenschaften der Schulinspektion (z. B. Beziehung zwischen Inspektoren und Schule: Vertrauen/Kommunikationsstil etc., Art und Weise der Rückmeldung der Inspektionsergebnisse) sowie äußere Faktoren (z. B. Grad des Drucks zur Veränderung sowie Verfügbarkeit von Ressourcen und Unterstützung) relevant.

Diese Faktoren beeinflussen die schulischen Reaktionen vor, während und nach einer Inspektion, wobei die Reaktionen intendiert oder nicht-intendiert sind (z. B. Ablehnung des Inspektionsverfahrens seitens der Lehrkräfte) und intendierte oder nicht-intendierte Effekte nach sich ziehen können (z. B. gesteigerte Schülerleistungen vs. Entwicklung der Schule allein aufgrund externer Impulse).

Ehren und Visscher (2006) schlagen ein differenziertes Vorgehen bei der Betreuung der inspizierten Schulen vor, um die Wahrscheinlichkeit der intendierten Effekte zu erhöhen. Wenig innovationsfähige Schulen benötigten konkrete Handlungsanleitungen und Hinweise zur Weiterarbeit, wohingegen innovationsfähige Schulen hierdurch behindert werden könnten und daher lediglich Stärken und Schwächen zurückgemeldet bekommen sollten, um selbstständig weiterzuarbeiten.

Wurster und Gärtner kommentieren das Modell als unterspezifiziert, insbesondere bezüglich der Prozesse, die schulseitig als Reaktion ablaufen. Des Weiteren sei die These der differentiellen Wirkung von Schulinspektion bisher nicht empirisch überprüft, wenngleich andere Untersuchungen bereits unterschiedliche Typen für den Umgang mit Evaluationen und im Hinblick auf schulische Aktivitäten identifiziert hätten. So beschreibt Stamm (2003) vier allgemeine Nutzungstypen von Evaluationsverfahren: Blockade-Typus (ebd., S. 29), Innovations-Typus (ebd.), Alibi-Typus (ebd.) und den Reaktionstypus (ebd., S. 29 f). Eine Studie von Senkbeil (2006) liefert zudem erste Hinweise bezüglich eines Zusammenhangs zwischen verschiedenen Typen von Schulen und deren Aktivitäten.

Forschungsfragen
Vor dem Hintergrund der referierten Forschungsbefunde zu differentiellen Wirkungen von Schulinspektionen und unter Berücksichtigung des Modells von Ehren und Visscher (2006) nehmen Wurster und Gärtner v. a. die Verarbeitungsprozesse vor und nach einer Inspektion in den Blick und untersuchen folgende Forschungsfragen explorativ:

  1. „Können Unterschiede in den Verarbeitungsprozessen identifiziert werden?
  2. Können unterschiedliche Verarbeitungsmuster im Umgang mit Schulinspektion und deren Ergebnissen typisiert werden?
  3. Falls unterschiedliche Typen beschrieben werden können: Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten bestimmter Typen und der Schulformzugehörigkeit?“ (S. 430)

Die dieser Studie zugrundeliegenden Daten zur Wirkung von Schulinspektion stammen aus einer Stichprobe. Für diese Stichprobe wurden 561 inspizierte Schulen in Berlin und Brandenburg per Brief angeschrieben. Von den 561 Schulen haben 391 Schulen an der Befragung teilgenommen. Bei einer Online-Befragung kurz nach Beginn des Schuljahres 2008/2009 haben 316 Mitglieder von Schulleitungen und 1.072 Lehrkräfte (Mitglieder von Schulkonferenzen) ihre Einschätzungen zur schulinternen Wirkung von Schulinspektion abgegeben. Um mögliche Verzerrungen zu identifizieren, wurde eine „Ausfallanalyse“ durchgeführt, welche bestätigte, dass die Teilnahme der Lehrerinnen und Lehrer an der Stichprobe unabhängig vom Ergebnis der Schulinspektion oder den Leistungen der Schülerinnen und Schüler in Vergleichs- oder Prüfungsarbeiten war.

Instrumente
Als Erhebungsinstrument diente ein Online-Fragebogen, der ausgehend vom Modell von Ehren und Visscher (2006) entwickelt wurde und die Phasen der Verarbeitung der Inspektionsergebnisse differenzierter operationalisiert, wobei auf die Erfassung von Eigenschaften der Schule und von langfristigen Effekten verzichtet wurde. Die Themenbereiche des Fragebogens decken die schulinterne Reflexion und Rezeption der Inspektionsergebnisse, die eingeleiteten Aktivitäten vor und nach der Inspektion, externe Unterstützung und die Wahrnehmung und Akzeptanz des Inspektionsverfahrens ab. Eine Zusammenfassung der Einzelitems erfolgte über die Bildung von Indizes, für welche im Artikel beispielhaft Antwortkategorien angegeben werden, und über die Bildung von vier- bis sechsstufigen Skalen (.80 < α < .94). Irritierenderweise stimmen die Ausführungen im Text bezüglich der Indizes und Skalen (S. 434) nicht mit den Angaben der Tabelle (S. 432 ff.) überein. Die Gruppenbildung wurde aufgrund von 15 Variablen vorgenommen:

Inspektionsergebnis; Kommunikation Ergebnisse; Reichweite Auswertung; Veränderungswünsche; Planungsstufe Maßnahmen; Unterstützung Planungsprozess; Unterstützung Vorfeld; Aktivitäten Vorfeld; Aktivitäten Vorbereitung; Aktivitäten nach Rückmeldung; Akzeptanz Ergebnisse; Diagnosegüte; Negative Folgen; Zeitliche Belastung; Nutzen.

Auswertungsmethoden
Als Auswertungsmethode zur Gruppenbildung wurde die Latent Class Analysis (LCA) für ordinale Daten mit Mplus angewendet. Hierbei werden auf Grundlage der gesammelten Daten aus der Gesamtstichprobe Klassen gebildet, in denen die Antwortmuster ähnlich sind. Für die Bildung der Klassen werden die Unterschiede zwischen den Klassen maximiert und die Unterschiede innerhalb der Klasse minimiert. Um hierfür eine geeignete Datengrundlage zu schaffen, wurden die Skalen und Indizes in vierstufige ordinale Daten transferiert und die Daten innerhalb einer Schule, nach Prüfung der Übereinstimmung der Daten, aggregiert. Die Auswahl der Klassenanzahl wurde mithilfe der Informationskriterien (AIC, BIC) und weiterer Maße und Verfahren getroffen. Da die Daten aus der Gesamtstichprobe aus zwei Bundesländern (Berlin, Brandenburg) und aus zwei Perspektiven (Lehrkräfte, Schulleitungen) stammen, wurden die Klassenbildungen der einzelnen Subgruppen durch Multigroup LCA auf Invarianz geprüft, wobei sich keine gravierenden Unterschiede ergaben, so dass Wurster und Gärtner eine Beschreibung der Klassen auf Grundlage des gruppenübergreifenden Modells als zulässig erachten.

Aufgrund der Analyse und Auswertung der Daten lassen sich fünf Klassen identifizieren. Diese Fünf-Klassen-Lösung erweitert die zuvor vorgestellte Vier-Klassen-Lösung nach Stamm (2003), da nun eine Klasse in zwei Subklassen unterteilt  wird.

Beschreibung der Klassen
Wie zuvor beschrieben, ergeben sich fünf Nutzungstypen:

  • (selbst-)zufriedene Schulen (24 %)
  • aktive Schulen (18 %)
  • reaktive Schulen (21 %)
  • aktiv unzufriedene Schulen (23 %)
  • passiv unzufriedene Schulen (15%)

Der Typ der (selbst-)zufriedenen Schule (24 %) kennzeichnet sich durch ein sehr gutes Inspektionsergebnis und die umfangreiche Kommunikation und Reflexion dieses Ergebnisses innerhalb der Schule. Insgesamt wird das Inspektionsverfahren sehr positiv wahrgenommen, allerdings werden weder vor noch nach der Inspektion groß Aktivitäten der Schulentwicklung festgestellt. Das Ergebnis der Inspektion wird möglicherweise als Bestätigung der guten Arbeit gesehen.

Die aktiven Schulen (18 %) erlangen gute Inspektionsergebnisse und kommunizieren und reflektieren diese sehr umfangreich innerhalb der Schule. Es wird ein hohes Aktivitätsniveau sowohl vor als auch nach der Ergebnisrückmeldung festgestellt. Um die Aktivitäten der Schulentwicklung zu verwirklichen, wird externe Unterstützung hinzugezogen. Der Nutzen wird trotz des zeitlichen Aufwandes positiv wahrgenommen.
Die Gruppe der reaktiven Schulen (21 %) erzielt unterdurchschnittliche Inspektionsergebnisse. Die Schulensind abgesehen von konkreten Vorbereitungsmaßnahmen wenig aktiv, was für sie charakteristisch ist. Die Kommunikation und Reflexion der Ergebnisse fällt eher gering aus. Die Inspektion wird trotzdem positiv gesehen.

Der Typ der unzufriedenen Schulen erhält unterdurchschnittliche Inspektionsergebnisse, welche kaum reflektiert und rezipiert werden. Die Akzeptanz der Ergebnisse ist gering und es herrscht eine negative Einschätzung der Diagnosegüte der Schulinspektion vor. Die zeitliche Belastung wird als hoch gesehen und das bei geringem Nutzen.

Die erste Subgruppe der unzufriedenen Schulen ist die der aktiv unzufriedenen Schulen (23 %). Bei ihnen findet sowohl als Vorbereitung auf eine Inspektion als auch nach der Rückmeldung eine relativ hohe Aktivität statt. Von innerschulischen Gruppen werden Veränderungswünsche herangetragen und die Umsetzung von Maßnahmen ist weit fortgeschritten. Jedoch erhält das Inspektionsverfahren keine Akzeptanz und keine Nutzeneinsicht.
Die zweite Subgruppe der unzufriedenen Schulen ist die der passiv unzufriedenen Schulen (15%) und ist gekennzeichnet durch Unzufriedenheit, schlechte Bewertung und eine geringe Schulentwicklungsaktivität.

Verteilung nach Schulformen
Die Verteilung der identifizierten Typen variiert deutlich zwischen den Schulformen. Auffällig ist beispielsweise, dass Gymnasien überdurchschnittlich viele (selbst-)zufriedene Schulen haben, Schulen mit mehreren Bildungsgängen überproportional viele aktiv unzufriedene Schulen haben und Berufsschulen über die Hälfte reaktiv sind, aber keine einzige Berufsschule den aktiven Schulen zugeordnet werden kann. Unter den Grundschulen sind wenig passiv unzufriedene Schulen zu finden. Und die Verteilung bei den Förderschulen stimmt in etwa mit der Verteilung der Gesamtstichprobe überein.

Hintergrund
Die Autoren bieten einen gelungenen theoretischen Einstieg, bei dem ein typischer Ablauf und die Funktionen einer Inspektion vorgestellt werden. Bisherige Studien zur Wirkung von Schulinspektion kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen (Pietsch, van den Ham, & Köller, 2015). Die Forschung zu den Auswirkungen von Schulinspektion steht gerade am Anfang und ist noch wenig systematisch (Pietsch, van den Ham, & Köller, 2015). Die Entwicklungsfunktion von Schulinspektion scheint noch kaum untersucht worden zu sein, was nun mit dieser Studie angestoßen wurde.

Wurster und Gärtner verweisen beim Forschungsstand jedoch auf Studien aus England und den Niederlanden. Allein innerhalb von Deutschland ist das Bildungssystem, die Schulstruktur, die Schulaufsicht und Inspektion unterschiedlich geregelt und kann insofern auch zu völlig unterschiedlichen Kulturen zwischen den Bundesländern und somit in den Schulen und zu einer sehr heterogenen Nutzung von Inspektionsergebnissen führen. Insofern fehlt dem Modell von Ehren und Visscher (2006) zur Erklärung der uneinheitlichen Ergebnislage bei den äußeren Faktoren der Punkt der unterschiedlichen systematischen, strukturellen sowie kulturellen Vorgaben und Gegebenheiten. Diese systembedingten Unterschiede scheinen hier nur bedingt bei der Auswertung der Ergebnisse beachtet worden zu sein.

Design
Die Stichprobe wurde in zwei Bundesländern bei Lehrkräften und Schulleitungen durchgeführt. Fraglich ist, inwiefern im Rahmen der Untersuchung die Anonymität der teilnehmenden Schulen und Personen gewährleistet war, da die Inspektionsergebnisse der Schulen mit den Antworten aus den Fragebögen kombiniert wurden. Mögliche Verzerrungen, die durch die Teilnahme von beispielsweise nur gutabschneidenden Schulen entstanden wären, wurden untersucht und haben sich nicht bestätigt.

Die im Artikel genannten Skalen und Indizes stimmen, wie bereits erwähnt, nicht mit der abgedruckten Tabelle überein. Zudem geht aus dem Artikel nur beispielhaft hervor, wie die Indizes gebildet wurden, wie viele Items und welche Antwortkategorien vorgegeben wurden. Dabei ist die Operationalisierung ganz entscheidend für die spätere Klassenzuordnung und sollte, wie die Autoren selbst anmerken, bei zukünftigen Untersuchungen noch ausgeweitet werden. Ein wenig irritierend ist auch die Vermischung von subjektiven Wahrnehmungen und Verarbeitungsprozessen im Fragebogen. Die letztlich gesammelten Daten wurden methodisch umfassend ausgewertet, um ein sinnvolles Ergebnis zu erlangen.

Ergebnisse
Wurster und Gärtner untersuchen in der vorgestellten Studie, ob sich eine differentielle schulinterne Verarbeitung und Nutzung der Ergebnisse einer Schulinspektion nachweisen lässt. Ihnen gelingt es, differentielle Verarbeitungsmuster der Schulinspektion in fünf Typen zu beschreiben, und daneben stellen sie ihre Ergebnisse schulformspezifisch dar, um einen Zusammenhang zwischen den Typen und den verschiedenen Schulformen zu identifizieren. Die Charakteristika der fünf Typen lassen sich in vielen Punkten, abgesehen von den selbstzufriedenen und unzufriedenen Schulen, in Stamms (2003) Modell wiederfinden. Die Schulform scheint ein wesentlicher Kontextfaktor für die durch Inspektion ausgelösten Aktivitäten zu sein.

Im Rahmen des aktuellen Steuerungsparadigmas sollen alle Schulen produktiv mit den Ergebnissen einer Schulinspektion umgehen. Die vorgestellte Studie zeigt jedoch nur wenige Hinweise diesbezüglich auf. Nur zwei der fünf identifizierten Typen zeigen einen aktiven Umgang mit den Ergebnissen (41 %). Bei einem Großteil wurden hingegen Aktivitäten im Vorfeld festgestellt (62 %), um die beurteilten Kriterien zu erfüllen und für die Inspektion gut dazustehen. In diesen Fällen erfüllt die Schulinspektion also die Funktion der Normendurchsetzung. Eine differentielle Unterstützung der Schulentwicklung von außen kann beispielsweise durch einen positiven Umgang bei sehr guten Ergebnissen erreicht werden. Bei weniger guten Ergebnissen können Prozessbegleitungen, konkrete Zielvorgaben bis hin zu umfangreicheren Maßnahmen hilfreich oder vonnöten sein.

Die Autoren unterbreiten im Fazit einige Vorschläge, wie mit den einzelnen Typen verfahren werden könne. Inwieweit dies in Deutschland und in NRW realistisch ist, ist fraglich. Wie bereits zuvor erwähnt, unterscheiden sich nun mal die Bildungssysteme international gravierend, und selbst innerhalb von Deutschland gibt es unterschiedliche Regelungen.
Bei den Ergebnissen der Studie ist zu beachten, dass die Basis der gefundenen Schultypen in den Inhalten der genutzten Items begründet liegt. In zukünftigen Studien sollten alle Aspekte des Modells von Ehren und Visscher (2006) berücksichtigt werden.

Fraglich bei der gesamten Untersuchung bleibt, welchen Vorteil diese Einordnung in sogenannte Typen hat. Wie die Autoren selbst anmerken, kann die Anzahl und Charakteristik der Nutzungstypen von Evaluation je nach Land, Schulform und Anzahl der teilnehmenden Schulen variieren. Natürlich könnten vorgefertigte Vorgehensweisen bei der Betreuung je nach Typ genutzt werden und diese somit erleichtern. Sinnvoller erscheint hier jedoch eine individualisierte Betreuung in Absprache mit der jeweiligen Schule. So kann an jeder Schule neu entschieden werden, ob und inwieweit eine Betreuung, Begleitung, Führung und/oder Hilfestellung vor oder nach einer Inspektion stattfinden sollte, damit eine tatsächliche Eigenentwicklung der Schulen stattfinden kann. Außerdem liegt es an der Schulaufsicht und der Politik, das Verständnis von Schulinspektion transparent zu machen, um so die Angst zu nehmen und möglichen negativen Folgen von Inspektion, wie in England, entgegenzuwirken.

Diese Rezension wurde erstellt von:
Florian Kuenen, Student im Studiengang: Master of Education (Mediendesign/Designtechnik, Wirtschaftslehre/Politik) für das Lehramt an Berufskollegs an der WWU Münster und FH Münster.

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