Fragestellungen der Studie:
Rezension zur Studie
Bundsgaard, J. & Gerick, J. (2017). Patterns of Students’ Computer Use and Relations to their Computer and Information Literacy: Results of a Latent Class Analysis and Implications for Teaching and Learning. Large-scale Assessments in Education, 5(1). https://doi.org/10.1186/s40536-017-0052-8.FIS BildungNach einer landläufigen Annahme verfügen Schülerinnen und Schüler, die Computer häufiger nutzen, über größere computer- und informationsbezogene Kompetenzen. Ergebnisse aus verschiedenen Studien lassen jedoch vermuten, dass der Zusammenhang zwischen computer- und informationsbezogenen Kompetenzen und der Nutzung digitaler Medien in Schule und Freizeit vielschichtiger ist.
Bundsgaard und Gerick nehmen fünf Dimensionen der schul- und freizeitbezogenen Nutzung von Computern und Internet in den Blick: Nutzung für Informationsaustausch, für soziale Kommunikation, Freizeitaktivitäten, Studienzwecke und für spezifische Anwendungen (z. B. PowerPoint). Ziel ist es, auf Grundlage dieser Dimensionen verschiedene Nutzungsmuster zu identifizieren und herauszufinden, ob sich die computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern je nach Nutzungsmuster unterscheiden.
Den Auswertungen liegen Fragebogenangaben und Testergebnisse von 57.989 Schülerinnen und Schülern der 8. Jahrgangsstufe aus 21 Bildungssystemen zugrunde, die im Rahmen der International Computer and Information Literacy Study (ICILS 2013) erhoben und mit latenten Klassenanalysen und Mittelwertvergleichen analysiert wurden.
Im Ergebnis werden drei Nutzungsmuster identifiziert: durchgängig hohe, mittlere und niedrige Ausprägungen auf allen fünf Nutzungsdimensionen. Der Zusammenhang zwischen schul- und freizeitbezogener Computernutzung und den computer- und informationsbezogenen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler ist nicht in allen Bildungssystemen gleich: Zwar verfügen Schülerinnen und Schüler mit mittlerer Nutzungshäufigkeit generell über höhere Kompetenzen als Schülerinnen und Schüler mit geringer Nutzung. Aber die Kompetenzen bei hoher Nutzungshäufigkeit sind je nach Bildungssystem ähnlich, niedriger oder höher als bei geringer und/oder mittlerer Nutzung.
Letztlich erweist sich der methodische Ansatz der Studie als bedingt zielführend und das Ergebnis ist eingeschränkt aussagekräftig, u. a. da die Differenzierung der fünf Nutzungsdimensionen nicht zum Tragen kommt. Die resultierende Niveauabstufung (niedrig, mittel, hoch) ermöglicht zwar einen Vergleich der Zusammenhänge zwischen Nutzungshäufigkeiten und Kompetenzen. Die Unterschiede zwischen den Bildungssystemen können aber nicht interpretiert werden, da eine theoretische Einbettung fehlt und potenziell erklärende (Kontext-)Variablen nicht einbezogen wurden.
Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.
Reflexionsfragen für Lehrkräfte:
Reflexionsfragen für Schulleitungen:
Bundsgaard und Gerick nehmen Befunde der International Computer and Information Literacy Study (ICILS 2013) zum Anlass, den nicht in allen Ländern identifizierten Zusammenhang zwischen der Nutzung von Computer und Internet und den computer- und informationsbezogenen Kompetenzen (ICT-Kompetenzen) von Achtklässlern näher zu analysieren. Hierbei nehmen sie auch bislang weniger untersuchte Differenzen hinsichtlich des selbstberichteten schul- und freizeitbezogenen Nutzungsverhaltens in den Blick.
Zunächst skizziert das Autorenduo den bisherigen Forschungsstand und den theoretischen Hintergrund. Es stellt fest, dass in bisherigen Studien hauptsächlich ein negativer Zusammenhang zwischen der Nutzung von Computern und den Leistungen von Schülerinnen und Schülern beobachtet wurde. Zudem liegen durch die PISA-Studie aus dem Jahr 2012 Hinweise auf einen sog. „hill shape“ vor. Dieser besagt, dass eine begrenzte ICT-Nutzung im Blick auf die Kompetenzmessung besser ist als keine ICT-Nutzung und ein ICT-Nutzungsverhalten über dem OECD-Mittel wiederum mit schlechteren Kompetenzwerten korreliert.
Als Determinanten wurden in verschiedenen Studien bislang der jeweilige Kontext, die Art der Nutzung sowie die gewählte Unterrichtsmethode identifiziert. Jedoch fehle es insgesamt an repräsentativen Studien und validen Instrumenten. Weiterhin führen die reine Bereitstellung einer Infrastruktur für die Nutzung digitaler Medien in der Schule, computergestützter Unterricht und computergestützte Selbstlernaktivitäten der Schülerinnen und Schüler nicht zwangsläufig zu verbesserten Schülerleistungen. Bundsgaard und Gerick stellen darüber hinaus fest, dass es bislang wenig Forschung zu Zusammenhängen zwischen schulischer und außerschulischer Computernutzung und den damit verschränkten ICT-Kompetenzen gibt. Existierende Befunde seien uneinheitlich. So liegen Hinweise auf positive, negative und ausbleibende Zusammenhänge vor.
Vor diesem Hintergrund beschreiben sie das Konstrukt ihrer abhängigen Variable unter Bezugnahme auf das in der ICIL 2013-Studie zugrunde gelegte Konzept der computer- und informationsbezogenen Grundbildung (computer- and information literacy, CIL). Dabei handelt es sich um die Fähigkeit eines Individuums, den Computer zur Untersuchung, Entwicklung und Kommunikation zu nutzen und dabei zu Hause, in der Schule, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft effektiv zu partizipieren.
Anschließend leiten sie ihre Fragestellungen ab:
Stichprobe
Zur Beantwortung der o. g. Fragestellungen werden Daten aus ICILS 2013 einer Re-Analyse unterzogen (n = 59.430). Fälle mit fehlenden Werten wurden ausgeschlossen, so dass zur Analysestichprobe 57.989 Schülerinnen und Schüler achter Klassen aus 21 verschiedenen Bildungssystemen gehören.
Untersuchungsablauf und Konstrukte
Für die Studie wurden die Daten aus der ICILS 2013-Untersuchung erneut analysiert. Dabei wurden einerseits Fragen zur Nutzungshäufigkeit des Computers oder des Internets (ICT) in verschiedenen schulischen und außerschulischen Kontexten für verschiedene Zwecke berücksichtigt, welche zu mehreren Nutzungsindices zusammengefasst wurden:
Für die Re-Analyse wurden die Skalen z-standardisiert (M = 0 und SD = 1). Die CIL-Schülerleistungen wurden über die fünf "plausible values" aus der ICIL 2013-Studie abgebildet. Unterschiedliche Stichprobengrößen aus den einzelnen Bildungssystemen wurden durch entsprechende Gewichtungen kontrolliert.
Statistische Analysen
Für die Beantwortung der Forschungsfragen wurden mit den fünf Nutzungsindices latente Klassenanalysen mit Mplus 7.0 gerechnet, um auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeitswerten die Zugehörigkeit der Schülerinnen und Schüler zu einem der Muster bzw. Cluster zu identifizieren (im weiteren Verlauf werden die Begriffe Cluster, Muster und Klassen synonym verwendet). Diese Clusterzugehörigkeiten wurden mit Hilfe einer aufwendigen statistischen Modellierung gegen den Zufall abgesichert. Bei der latenten Klassenanalyse wurden die Daten solcherart gewichtet, dass daraus eine Stichprobengröße von 500 Schülerinnen und Schülern pro Bildungssystem resultierte, um jedem Land in der Analyse dasselbe Gewicht zu verleihen, unabhängig von der Stichprobengröße des jeweiligen Landes. Deskriptive Statistiken und Mittelwertvergleiche wurden mithilfe des IDB Analyzer 3.1 ermittelt.
Die Ergebnisse zeigen, dass es empirisch möglich ist, verschiedene Muster der ICT-Nutzung der Schülerinnen und Schüler zu identifizieren. Es lassen sich drei Cluster beschreiben: eines mit einer niedrigen, eines mit einer mittleren und eines mit einer hohen Nutzungshäufigkeit über alle fünf Nutzungsdimensionen hinweg.
Die prozentuale Verteilung der Achtklässler auf die drei Cluster variiert zwischen den Bildungssystemen. In allen 21 Bildungssystemen dominiert das Cluster der mittleren Nutzungshäufigkeit (von 63,1 % in Korea bis 86,6 % in Norwegen, im Durchschnitt 77,2 %). Größere Unterschiede zeigen sich bezüglich einer niedrigen Nutzungshäufigkeit (von 2,2 % in Dänemark bis 31,7 % in Korea, im Durchschnitt 11,5 %) und einer hohen Nutzungshäufigkeit (von 3,1 % in Deutschland bis 28,2 % in der Russischen Föderation, im Durchschnitt 11,3 %).
Das Cluster der mittleren Nutzungshäufigkeit ist – mit Ausnahme der Ergebnisse aus der Türkei – mit den höchsten Werten des Leistungstests assoziiert. So auch in Deutschland, wo, wie in 11 anderen Bildungssystemen, Schülerinnen und Schüler mit einer hohen Nutzungshäufigkeit zu ähnlichen Leistungen kommen wie das Cluster mit einer mittleren Nutzungshäufigkeit und gleichzeitig bessere Leistungen zeigen als das Cluster mit einer niedrigen Nutzungshäufigkeit.
Das Autorenduo bezeichnet diese Konstellation, die in etwa der Hälfte der untersuchten Bildungssysteme auftritt, als plateauförmig (höhere Kompetenzen bei Schülerinnen und Schülern mit mindestens mittleren Nutzungshäufigkeiten). In 4 Bildungssystemen ergibt sich eine „hügelförmige“ Konstellation (geringere Kompetenzen bei niedrigen oder hohen Nutzungshäufigkeiten) und in 4 Bildungssystemen eine „hügel-tal-förmige“ Konstellation (geringste Kompetenzen bei niedriger, höchste bei mittlerer Nutzungshäufigkeit). Allein für die Türkei ergibt sich ein linearer Zusammenhang, was auf die sehr niedrigen durchschnittlichen computer- und informationsbezogenen Kompetenzen in diesem Land zurückgeführt wird.
Bundsgaard und Gerick kommen zu dem Schluss, dass Schülerinnen und Schüler, die den Computer selten nutzen, generell niedrigere computer- und informationsbezogene Kompetenzen aufweisen als Schülerinnen und Schüler mit höheren Nutzungshäufigkeiten. Jedoch bestehen keine Vorteile einer hohen im Vergleich zu einer mittleren Nutzungshäufigkeit.
Zum Hintergrund
Die Studie von Bundsgaard und Gerick greift vor dem Hintergrund der bildungsbezogenen Digitalisierungsdebatte ein für die Administration und für die Schule relevantes Forschungsdesiderat auf. Es werden auf der Grundlage einer Re-Analyse von Daten aus der International Computer and Information Literacy Study (ICILS 2013) drei verschiedene Cluster schulischer und außerschulischer ICT-Nutzungshäufigkeit von Achtklässlern aus 21 verschiedenen Bildungssystemen identifiziert und mit Testergebnissen von computer- und informationsbezogenen Kompetenzen in Verbindung gebracht.
Für die Herausstellung der Relevanz ihrer Studie verweisen sie auf einen Befund aus der ICIL-Studie 2013, wonach ein positiver Zusammenhang zwischen der Computernutzung und der computer- und informationsbezogenen Grundfähigkeit für viele Länder festgestellt wurde. Ihre eigene Analyse soll durch das Klassifizierungsverfahren diesbezüglich vertiefende Erkenntnisse bringen. Anschließend berichten sie über den Forschungsstand und erläutern das Konzept der computer- und informationsbezogenen Grundbildung (computer- and information literacy; CIL), welches der ICIL-Studie 2013 zugrunde liegt. Auf dieser Basis werden die eigenen Fragestellungen abgeleitet. Die Argumentationsweise und Hinführung zur eigenen Studie erscheinen aus Sicht des Rezensenten nur bedingt stringent. Hierzu gehören insbesondere eine fehlende fundierte theoretische Einbettung der eigenen Studie sowie Unschärfen bei der Benennung von Determinanten für die Nutzungshäufigkeit. So wird zwar der „Kontext“ als eine Determinante für die Computernutzung benannt, aber was genau damit gemeint ist, obliegt letztlich dem Interpretationsspielraum der Leserschaft. Die theoretische Einbettung beschränkt sich auf die CIL-Konzeptbeschreibung. Weder denkbare soziologische Handlungstheorien noch psychologische Theorien zum menschlichen Verhalten werden für diesen spezifischen Anwendungskontext rezipiert. Dies hätte jedoch aus Sicht des Rezensenten zu einem hypothesengeleiteten Vorgehen unter Berücksichtigung relevanter Kovariaten (z. B. des sozioökonomischen Status als ein Indikator für Bildungskapital) führen können.
Zum Design
Das Studiendesign und die Durchführung werden ausführlich und nachvollziehbar benannt. Die Angaben zu den verwendeten Forschungsinstrumenten werden unter Verweis auf die Primärquellen gegeben. Die Vorgehensweise bei der Identifizierung von Clustern für die Nutzungshäufigkeit des Computers und Internets mit Hilfe des probabilistischen Verfahrens der latenten Klassenanalyse ist angesichts der großen Datenmenge auf den ersten Blick zweckmäßig, wobei jedoch auffällt, dass in dem Beitrag lediglich die 3-Klassen-Lösung als „bestes“ Modellierungsergebnis berichtet wird. Informationen zu der Güte anderer Lösungen auf der Grundlage verschiedener Informationskriterien (u.a. AIC, BIC) fehlen. Sie hätten jedoch aus Sicht des Rezensenten zu einem besseren Nachvollzug der besten Lösung in Abgrenzung zu alternativen Lösungsmöglichkeiten führen können.
Im Nachhinein erscheint die gewählte Vorgehensweise angesichts des Ergebnisses – es werden drei Niveaucluster identifiziert – bedingt vorteilhaft. Ein solches Ergebnis weist auf Eindimensionalität hin, womit sich die Differenzierung in fünf Nutzungsdimensionen im Wesentlichen erübrigt. Vermutlich durch die Auswertung auf internationaler Ebene liefert Eindimensionalität den besten statistischen Erklärungsansatz über alle Daten hinweg. Zwar wird auf diese Weise der Vergleich der Zusammenhangskonstellationen von Nutzungshäufigkeiten und computer- und informationsbezogenen Kompetenzen zwischen den Bildungssystemen erleichtert und das Ergebnis ist anschlussfähig an vorliegende Befunde, aber eine Analyse von Nutzungsmustern auf Ebene einzelner Bildungssysteme und mithilfe clusteranalytischer Verfahren hätte möglicherweise abweichende und besser interpretierbare Ergebnisse erbracht.
Zu den Ergebnissen
Die Zielstellung der Untersuchung wird erreicht. Dabei kann auf ein bemerkenswertes Sample zurückgegriffen werden, auf dessen Basis mit Hilfe valider Instrumente repräsentative Aussagen über verschiedene Bildungssysteme hinsichtlich verschiedener Cluster der ICT-Nutzung und Zusammenhänge mit computer- und informationsbezogenen Kompetenzen möglich sind. Das ist sicherlich eine Stärke der Re-Analyse. Die vorgenommenen Schlussfolgerungen erscheinen plausibel, wenngleich dabei sehr stark auf Aspekte fokussiert wird, die mit den Einschränkungen der Studie verbunden sind. Hierzu gehört vor allem die fehlende Berücksichtigung des sozioökonomischen Status und anderer Kovariaten, die nicht weiter spezifiziert werden. Es ist auch auffallend, dass von Bundsgaard und Gerick am Ende die Hypothese formuliert wird, dass der Kontext (hier nun weiter spezifiziert durch die Kultur, die Organisation des Bildungssystems, Methoden zur Integration von ICT in Schulen und Unterrichtskonzepte) eine mögliche Determinante für die Ergebnisse sei, obgleich dieser bereits in der Hinführung zur eigenen Studie als solcher benannt, aber dann unbegründet nicht berücksichtigt wird.
Aus Sicht des Rezensenten ist zudem fraglich, ob wirklich der so in den Raum gestellte gesunde Menschenverstand aus der Häufigkeit der Nutzung des Computers und des Internets einen Bezug zu deren Nutzungsqualität herstellen würde. Nur weil man etwas häufig nutzt, ist man nicht zwingend gut darin. Sonst ließe sich z. B. auch schlussfolgern, dass jemand, der viel Fußball spielt, auch ein guter Fußballspieler ist. Ob der gesunde Menschenverstand zu so einer Schlussfolgerung käme, sei dahingestellt. Die im Titel des Beitrags angekündigten Implikationen für das Lehren und Lernen fließen nicht in die Diskussion der Ergebnisse ein. Es bleibt offen, welche praktischen Implikationen aus den Erkenntnissen dieses Beitrags hervorgehen.
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