Fragestellungen der Studie:

  • Wie lassen sich die Standards eines kompetenzorientierten Schulbuchrasters für den naturwissenschaftlichen Unterricht absichern?

Rezension zur Studie

Bölsterli, K., Wilhelm, M. & Rehm, M. (2015). Empirisch gewichtetes Schulbuchraster für den naturwissenschaftlichen kompetenzorientierten Unterricht. Perspectives in Science, 5, 3–13.

Angesichts der hohen Bedeutung, die Schulbüchern für unterschiedliche Aspekte des naturwissenschaftlichen Unterrichts  und der Ausrichtung des Unterrichts auf die Förderung von Kompetenzen zukommt, unternehmen Bölsterli et al. den Versuch der Entwicklung eines darauf abgestimmten fachdidaktischen kompetenzorientierten Rasters, mit dessen Hilfe eine Qualitätsabschätzung des Schulbuchs vorgenommen werden kann. Dies beinhaltet den Versuch einer Klärung der Frage, welchen Standards ein Schulbuch für den naturwissenschaftlichen Unterricht genügen muss.

Innovativ ist dabei die dreischrittige Validierung der durch eine Expertenbefragung ermittelten Standards anhand bestehender Schulbuchraster, empirischer Studien und administrativer Vorgaben. Die Einschätzung der dadurch gewonnenen vorläufigen Standards führt mittels der Auswertung einer Befragung von Lehrpersonen und Didaktikdozierenden zu determinierten Standards. Diese gehen in das „Kompetenzorientierte Schulbuchraster (KOS)“ ein, welches um Standards erweitert wird, mit denen eine Passung an die jeweilige individuelle Schulinstitution vorgenommen werden kann.

Wenngleich die Bedeutung eines Rasters im Hinblick auf die Beurteilung aktueller und die Entwicklung zukünftiger Schulbücher außer Frage steht und mit dem Raster die praktische Verortung von Schulbüchern anhand kompetenzorientierter Standards möglich ist,  lässt der Aufsatz doch einige wichtige Punkte zur konkreten Konstruktion des KOS im Unklaren. So erfährt der Leser kaum etwas darüber, wie diejenigen Standards konstruiert und überprüft wurden, mit welchen die Passung an die individuelle Schulsituation vorgenommen werden soll. Zudem stellt sich die Frage der Übertragbarkeit: So sieht der Deutschschweizer „Lehrplan 21“, auf den sich Bölsterli et al. beziehen, im Gegensatz zu der z.B. in Deutschland etablierten Gliederung des naturwissenschaftlichen Unterrichts in Einzelfächer (Biologie, Chemie etc.) das übergreifende Fach „Natur und Technik“ vor. Angesichts großer inhaltlicher und methodischer Unterschiede zwischen den Einzelfächern ist unklar, ob die von Bölsterli et al. versuchte Entwicklung von gemeinsamen Schulbuchstandards für den fachübergreifenden naturwissenschaftlichen Unterricht auf deutsche Schulbücher sinnvoll übertragbar ist.

Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.

Reflexionsfragen für Lehrkräfte:

  • In welchem Ausmaß beteilige ich mich an der Auswahl der Schulbücher für mein Fach?

  • Welche Kriterien leiten mich dabei?

  • Wäre – auch zur Schärfung der eigenen Urteilskompetenz – ergänzend der Einsatz eines Kriterienkatalogs sinnvoll?

  • Gebe ich den mit der Auswahl der Schulbücher beauftragten Kollegen kriteriengestützt Rückmeldungen zu mir bekannten Lehrwerken?

  • Welche Bedeutung hat ein Lehrbuch für meinen Unterricht: Wie und in welchem Umfang nutze ich es?

  • Traue ich mir kriteriengestützt zu, zu beurteilen, in welchem Ausmaß ein Schulbuch zum Kompetenzaufbau meiner Schüler beitragen kann?

Reflexionsfragen für Schulleitungen:

  • In welchem Ausmaß werden die bislang eingesetzten Lehrmaterialien den Erfordernissen des Lehrplans in Zeiten einer kompetenzorientierten Ausrichtung des Unterrichts gerecht?

  • In welchem Ausmaß findet die Auswahl dafür geeigneter Schulbücher an meiner Schule anhand standardisierter Kriterien statt?

  • Kann in diesem Rahmen der Einsatz eines geeigneten Schulbuchrasters die Auswahl objektivieren?

  • Gibt es in meiner Schule besondere Gegebenheiten (bereits bestehende Ausstattung mit Lehrmaterialien, Lehrräumen, Geräten, besondere Befähigungen des Lehrpersonals, Zusammensetzung der Schülerschaft), welche eine individuelle Anpassung der Auswahlkriterien des Schulbuchrasters notwendig machen?

Gestützt auf Befunde der Schulbuchforschung weisen Bölsterli et al. Schulbüchern eine große und vielfältige Bedeutung für das schulische Geschehen zu: Sie eignen sich als Informationsquelle der Lehrkräfte im Rahmen der Unterrichtsvorbereitung und prägen die Lern- und Arbeitskultur des Unterrichts. Unter anderem in den Naturwissenschaften soll –wie die Schulbuchforschung zeigt – die Bedeutung des Schulbuchs für den Unterricht als besonders hoch zu veranschlagen sein. Für schulische Reformprozesse sind Schulbücher insofern wichtig, als dass mit ihnen neue fachliche Kenntnisse und methodische Ideen in die Schulen eingebracht werden können. Zugleich können sie von den Lehrern zur Vorbereitung und Vertiefung von (neuen) Unterrichtsinhalten eingesetzt werden, was ihnen eine Professionalisierungsfunktion zuweist. Schülerinnen und Schülern wiederum soll das Schulbuch das Erlernen von Kompetenzen erleichtern und ihnen erlauben, sich in ihrer Rolle in einem kompetenzgestützten Unterricht zurechtzufinden. Die traditionelle Rolle als Wissensspeicher könne das Schulbuch hingegen heute teilweise an das Internet abgeben und stattdessen das konzeptionelle Fachverstehen und die Förderung eigenständigen Lernens in den Vordergrund rücken.

Zwar gibt es inzwischen eine große Zahl von Kriterienkatalogen („Schulbuchraster“) zur Analyse und Entwicklung von Schulbüchern – der Autorin und den Autoren sind mehr als 100 bekannt, trotzdem benennen sie hier Defizite:

  • Die Zahl der spezifisch für naturwissenschaftliche Schulbücher existierenden Kriterienkataloge sei gering.
  • Die bisherigen Kriterienkataloge seien nicht empirisch generiert und validiert.

Da die Autorin und die Autoren bei ihrer Untersuchung vor allem die schweizerischen Verhältnisse im Blick haben, erweist sich die Notwendigkeit, einen aktuellen Kriterienkatalog für die Schulbuchentwicklung zu haben, als besonders dringlich, da dort offenbar keine Schulbücher existieren, die dem in Einführung befindlichen „Lehrplan 21“ und seiner Kompetenz- und Outputorientierung angepasst seien: Damit besteht für das Autorenteam die Frage nach den Standards, denen ein Schulbuch genügen muss, um kompetenzorientierten naturwissenschaftlichen Unterricht zu unterstützen. Diese Standards sollen die Basis für die Erarbeitung eines Kriterienkatalogs bilden, mit dessen Hilfe bereits verfügbare oder in Entstehung befindliche Schulbücher bewertet werden können.
Im Rahmen des Versuchs, ihr Schulbuchraster zu entwickeln, fassen Bölsterli et al. den Begriff „Schulbuch“ weit. Sie rechnen dazu Unterrichtsmaterialien, die aus Schülermaterialien, Lehrpersonenmaterialien, zusätzlichen Unterrichtsmaterialien und ggf. weiteren Medien wie Filmen oder Experimentiermaterialien bestehen.

Bölsterli et al. legten zunächst 40 Expertinnen und Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz einen Fragebogen mit neun offenen Fragen zu kompetenzorientierten Schulbüchern für den naturwissenschaftlichen Unterricht vor. Die Expertinnen und Experten umfassten unterschiedliche Personenkreise, die mit der didaktischen Forschung, der Erstellung von Schulbüchern oder der Vermittlung von Wissen befasst waren: erfahrene Lehrpersonen der Naturwissenschaften, Verlagsmitarbeitende, Schulbuchautorinnen bzw. –autoren, Didaktikdozierende der Naturwissenschaften, Erziehungswissenschaftlerinnen bzw. –wissenschaftler.

Aus den Antworten erstellten Bölsterli et al. durch eine inhaltliche Strukturierung einen vorläufigen Katalog von Schulbuchstandards, der in drei Arbeitsschritten einer Validierung unterzogen wurde: Zunächst erfolgte ein Abgleich mit bereits vorhandenen Schulbuchrastern, anschließend mit den Ergebnissen aktueller empirischer Studien und schließlich mit den Vorgaben der Schweizer Erziehungsdirektoren Konferenz zur Kompetenzorientierung in den Naturwissenschaften. Die durch dieses Verfahren gewonnenen vorläufigen validierten Standards wurden in einen Fragebogen mit geschlossenem Antwortformat überführt. Zufällig ausgewählte Lehrpersonen und Didaktikdozierende sollten diese Standards auf einer fünfstufigen Zustimmungsskala von 1 (= stimme gar nicht zu) bis 5 (= stimme völlig zu) bewerten. An der Befragung nahmen 178 Primarschullehrpersonen, 171 Sekundarschullehrpersonen der Naturwissenschaften und 44 Didaktikdozierende der Naturwissenschaften teil.

In diesem Rahmen wurden die Schulbuchstandards in Bezug auf drei grundsätzliche Ansprüche an ein Schulbuch mit insgesamt 9 Unterkategorien eingeordnet:

  • Unterstützung der Lernenden beim kompetenzorientierten Lernen (Unterkategorien: Schülermaterialien, Schülerhinweise),
  • Unterstützung der Lehrpersonen beim kompetenzorientierten Lehren (Unterkategorien: Lehrpersonenmaterialien, Zusätzliche Unterrichtsmaterialien),
  • Kompetenzorientiertes Lernen (Unterkategorien: Themenbereiche, Handlungsaspekte, Experimente, Aufträge, Klassenheterogenität).

Unter Anwendung von t-Tests wurden die Einschätzungen hinsichtlich einer quantitativen Relevanzbestimmung der vorläufigen validierten Standards geprüft. Wenn ein vorläufiger validierter Standard von beiden Lehrpersonengruppen und/oder den Didaktikdozierenden auf der fünfstufigen Zustimmungsskala eine signifikant höhere Einschätzung als den Wert 4 erhielt, gingen Bölsterli et al. von einer überzufälligen Relevanz des Standards aus und übernahmen ihn in die Liste der determinierten Schulbuchstandards. Wurden vorläufige validierte Standards nur von einer Lehrpersonengruppe mit einem signifikant höheren Zustimmungswert als 4 eingeschätzt oder lag der Zustimmungswert nicht signifikant über 4, dann sprechen die Autorin und ihre Co-Autoren von unterdeterminierten Standards. Letztere wurden qualitativ validiert, indem sie mit Hilfe einer standardisierten Punktwertung mit Befunden von ca. 100 empirischen Untersuchungen der Didaktik und Pädagogik anhand von fünf Kriterien abgeglichen wurden. Erreichten unterdeterminierte Standards hierbei eine hohe Punktzahl, dann wurden sie beibehalten und den determinierten Standards zugerechnet, im anderen Fall wurden sie verworfen, ebenso wie alle tiefer als der Wert 4 eingeschätzten vorläufigen validierten Standards. Durch dieses Verfahren wurden für den Bereich der Primarstufe aus 124 vorläufigen validierten Standards 77 determinierte Schulbuchstandards ausgewählt, im Fall der Sekundarstufe lauten die entsprechenden Zahlen 126 bzw. 74. Besonders auffällige Unterschiede ergaben sich zwischen den vorläufigen validierten und den determinierten Standards hinsichtlich der Unterstützung der Lehrpersonen beim kompetenzorientierten Lehren, die Unterkategorie „Zusätzliche Unterrichtsmaterialien“ musste sogar völlig aus der weiteren Untersuchung ausgeklammert werden.
Auf der Basis der determinierten Standards erstellten Bölsterli et al. ein Raster für Schulbücher für den naturwissenschaftlichen Unterricht, das „Kompetenzorientierte Schulbuchraster (KOS)“. Dazu wurden die determinierten Standards in sieben empirisch gewichtete Kategorien eingeteilt (Themenbereiche, Handlungsaspekte, Aufträge, Experimente, Klassenheterogenität, Schülermaterialien, Lehrpersonenmaterialien). Zusätzlich wurden zwei individuell zu gewichtende Kategorien (Passung auf eigene Institution, Alltagstauglichkeit) eingerichtet. Dadurch umfasst das KOS für die Primarstufe neben 77 determinierten Standards auch 25 individuell zu gewichtende Standards, bei der Sekundarstufe lauten die Zahlen 74 und 25. Die individuelle Gewichtung erfolgt anhand einer fünfteiligen Skala (1 = völlig unwichtig, 5 = sehr wichtig) durch den Nutzer des KOS, bei den determinierten Standards hingegen ist die Gewichtung bereits vorgegeben. Sowohl bei den empirisch gewichteten als auch bei den individuell gewichteten Kategorien wird die Bewertung des Schulbuchs anhand einer ebenfalls fünfteiligen Skala von 1 (= trifft gar nicht zu) bis 5 (= trifft völlig zu) vorgenommen.

Zur Gesamtübersicht der für die 9 Kategorien ermittelten Werte diente ein Spinnendiagramm. Da in dieses zugleich eine Gewichtung eingetragen ist, wird leicht erkennbar, ob das Schulbuch der jeweiligen Kategorie besser oder in geringerem Maße gerecht wird, als dies von Experten/Expertinnen bzw. der Lehrperson für notwendig gehalten wurde.

Die Erstellung des Schulbuchrasters KOS zur Begutachtung naturwissenschaftlicher Schulbücher für einen kompetenzorientierten Unterricht bzw. als Hilfsmittel zur Konzeption derartiger Schulbücher ist das zentrale Ergebnis der Untersuchung. Bölsterli et al. veröffentlichen in der hier rezensierten Publikation ihr Schulbuchraster zwar nicht, es steht jedoch online zur Verfügung (www.schulbuchforschung.ch - letzter Abruf: 3.10.2018).

Ein weiteres Ergebnis ist die Entwicklung eines mehrstufigen, multiperspektivisch orientierten Verfahrens zur Ermittlung der Standards, welchen die Schulbücher gerecht werden sollten (vgl. Abschnitt "Design").

Letztlich steht damit den Autoren zufolge ein Werkzeug bereit, das die Einführung eines kompetenzorientierten naturwissenschaftlichen Unterrichts unterstützen kann.

Die Autorin und die Autoren ziehen eine positive Bilanz ihrer Arbeit: Sie sehen einen Vorteil des von ihnen vorgelegten Schulbuchrasters im Verfahren der mehrstufigen Validierung, welches es sowohl hinsichtlich der Ergebnisse empirischer Forschung und älterer Bemühungen um die Erstellung von Schulbuchrastern als auch im Hinblick auf die normativen Vorgaben zum kompetenzorientierten Unterricht absichere. Zudem seien gleichermaßen die Auffassungen von Lehrpersonen wie Fachdidaktikdozierenden berücksichtigt worden. Diese Multiperspektivität und Berücksichtigung unterschiedlicher Datengrundlagen als Relevanzgrößen erscheint überzeugend.

Die empirische Gewichtung der Standards halten Bölsterli et al. für die bedeutendste Eigenschaft ihres Rasters, welche eine Reduktion der Anzahl der Standards auf ein praxistaugliches Maß erlaube und die Beobachtungsobjektivität erhöhe. Gleichzeitig bleibe durch die Kategorien „Alltagstauglichkeit“ und „Passung auf die eigene Institution“ eine individuelle Anpassung des KOS an die jeweiligen schulischen Gegebenheiten möglich.  Leider bleiben hinsichtlich der individuellen Gewichtung Fragen offen: So erfährt man nicht, ob bzw. wie denn die 25 individuell zu gewichtenden Standards abgeleitet und validiert wurden.

Die sehr übersichtliche Darstellung der Befunde in Spinnendiagrammen und normierten Balkendiagrammen sehen die Autorin und die Autoren als Stärken von KOS an, wobei sie kritisch anmerken, dass im Spinnendiagramm alle Kategorien als gleich wichtig dargestellt werden, z.B. unabhängig von der durch sie erfassten Anzahl der Standards.

Zu den Anwendungsmöglichkeiten, die Bölsterli et al. für KOS erwähnen, gehören die Möglichkeit, Befunde der Schulbuchforschung für die Öffentlichkeit aufzubereiten, der Einsatz bei der Schulbuchzulassung und die Unterstützung von Autorinnen und Autoren bei der Erstellung von kompetenzorientierten, den Unterrichtsanforderungen gerecht werdenden Schulbüchern.

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Kritisch anzumerken ist allerdings, dass der Bezug des KOS zu einigen der im Aufsatz genannten zentralen Begriffe nicht völlig klar ist: So wird im Aufsatz ebenso wie im Titel verdeutlicht, dass das KOS dezidiert im Hinblick auf den kompetenzorientierten Unterricht konstruiert worden sei. Wie es allerdings konkret auf die Kompetenzorientierung zugeschnitten ist, ist aus den Informationen des Aufsatzes allein nicht zu erkennen. Hier kann lediglich der Verweis auf den aktuellen Schweizer „Lehrplan 21“ und die im Internet zur Verfügung gestellte Version des KOS als Hinweis genommen werden.

Im Aufsatz wird hervorgehoben, dass das Schulbuchraster zur Beurteilung naturwissenschaftlicher Lehrwerke dienen soll. Hieraus könnte sich jedoch ein großes Problem bei der Übertragbarkeit des KOS auf die Verhältnisse in anderen Ländern ergeben: So sieht der Schweizer „Lehrplan 21“ vor, dass die Naturwissenschaften als übergreifender Fachbereich „Natur und Technik“ unterrichtet werden, wohingegen sie z.B. in Deutschland in  (mindestens) drei durchaus unterschiedliche Schulfächer (Biologie, Chemie, Physik…)  aufgegliedert sind. Die drei Fächer haben sehr verschiedenartige Strukturen: So dürfte – um nur zwei Beispiele zu nennen – der Anteil an (Schüler-) Experimenten im Unterricht und das Ausmaß, in dem es notwendig ist, sich in eine abstrakte Formelsprache einzuarbeiten, von Fach zu Fach sehr unterschiedlich sein. Damit aber stellen sich  z.B. für ein Biologiebuch ganz andere Bewertungserfordernisse als für ein Chemiebuch, und für dieses wiederum andere als für ein Lehrwerk im Fach Natur und Technik, auf die zumindest in Form einer Gewichtung eingegangen werden sollte. Während aber die Durchführung von Experimenten wenigstens noch umfänglich im KOS thematisiert wird, scheint der Erwerb der Fachsprache dort nur bei den individuellen Standards überhaupt eine (eher geringe) Rolle zu spielen. Wie das Schulbuchraster dem Problem heterogener Anforderungen der Fächer gerecht werden könnte, das sich aus einer Aufspaltung des naturwissenschaftlichen Unterrichts in mehrere Fächer ergibt, geht aus dem Aufsatz nicht hervor.

Leider erläutern Bölsterli et al. exemplarisch nur Inhalte und Vorgehensweise anhand der ermittelten inhaltlichen Unterkategorie „Experimente“, so dass der konkrete Inhalt der anderen Unterkategorien nicht aus dem Aufsatz alleine zu erschließen ist. Auch gehen sie nicht darauf ein, dass offenbar nicht alle der 393 Teilnehmer der Befragung zu allen Punkten Stellung bezogen; so weist die Tabelle 2 zu den Standards der Unterkategorie „Experimente“ nur Fallzahlen von 343 bis 349 auf.

Im Rahmen des Zeitschriftenaufsatzes wird auch nicht aufgelistet, welche Forschungsbefunde die Verfasserin sowie die Verfasser konkret herangezogen haben, um mit ihnen ihr Schulbuchraster abzugleichen. So ist nicht nachvollziehbar, ob alle wesentlichen Forschungsergebnisse in dessen Konstruktion eingeflossen sind. (Das Literaturverzeichnis enthält übrigens auch nicht alle im Text zitierten Quellen.)

Aus schulpraktischer Sicht ist die in der Forschungsliteratur gelegentlich anzutreffende – und offenbar vom Autorenteam geteilte – Auffassung kritisch zu betrachten, dass die Rolle von Schulbüchern für den Unterricht grundsätzlich geändert werden könne, da ja das Internet die Rolle des Sachinformationsvermittlers in erheblichem Umfang übernehmen könne. Dazu ist jedoch die Qualität der im Internet angebotenen Informationen viel zu heterogen und zudem findet dort auch in der Regel keine didaktisch akzeptable Aufbereitung des Materials statt.

Es ist hier nicht der Ort, das im Rahmen des Aufsatzes vorgestellte KOS selbst einer Kritik zu unterziehen, es sei jedoch darauf hingewiesen, dass sich auch hierbei problematische Punkte finden lassen, etwa die häufige Zusammenfassung von eigentlich unabhängig zu untersuchenden Aspekten zu einem Standard (etwa: „Meine Schülerinnen und Schüler verstehen das Schulbuch sprachlich gut und fühlen sich gendergerecht angesprochen“). Hier scheint noch Verbesserungsbedarf gegeben.

Somit muss die Beurteilung des Aufsatzes zwiespältig ausfallen: Der Versuch, ein Bewertungsraster für naturwissenschaftliche Schulbücher für kompetenzorientierten Unterricht nicht nur vorzulegen, sondern dieses auch in einem mehrschrittigen Bewertungsverfahren abzusichern, ist in jeder Hinsicht begrüßenswert. Jedoch bleiben im Aufsatz selbst zu viele Fragen offen, um das gewählte Verfahren der Validierung angemessen nachvollziehen zu können, so dass eine Leserin/ein Leser weitere Veröffentlichungen (etwa Bölsterli, 2014) heranziehen muss, um zu diesen Fragen Klarheit zu gewinnen.

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Diese Rezension wurde erstellt von:
Dr. Heinz Sander, Lehrer am Gymnasium der Stadt Kerpen – Europaschule und Privatdozent an der Universität zu Köln

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