Fragestellungen der Studie:

  • Welche schulischen Problemlagen, Bewältigungsstrategien und Unterstützungsbedarfe bestehen in der Sekundarstufe I aus Schüler- und Elternperspektive?

Rezension zur Studie

Wagner, P. (2018). Problemlagen und Beratungsbedarf in der Sekundarstufe I aus der Perspektive der Jugendlichen sowie der Eltern. Zeitschrift für Pädagogik, 64(2), 252–274.FIS Bildung

Biologische, intellektuelle und soziale Veränderungen prägen das Jugendalter und konfrontieren Jugendliche mit erheblichen Entwicklungsaufgaben u. a. im schulischen Bereich, der eines der wesentlichen Bewährungsfelder darstellt. Petra Wagner untersucht Problemlagen, Bewältigungsstrategien und Unterstützungsbedarfe in der Sekundarstufe I aus der Schüler- und Elternperspektive.

Die analysierten Daten basieren auf Fragebogenerhebungen aus acht Hauptschulen und fünf Gymnasien in Österreich und werden mittels quantitativer Inhaltsanalyse und Konfigurationsfrequenzanalyse ausgewertet.

Die befragten 1.155 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 5 - 8 fühlen sich am meisten durch Lern- und Leistungsprobleme belastet. Jeder fünfte Jugendliche bekundet den Wunsch nach zusätzlicher Hilfe, um Probleme in den Bereichen Lerngruppe, Lehrperson, Lernen und Leistung zu bewältigen. Besonders leistungsschwache Hauptschülerinnen und Hauptschüler mit Migrationshintergrund sowie leistungsschwache Gymnasiastinnen mit Migrationshintergrund artikulieren überzufällig oft einen Bedarf nach mehr Beratung und Unterstützung.

Von den 798 Eltern der befragten Kinder und Jugendlichen nahmen bereits 14 % Unterstützungsangebote wahr, um schulischen Problemen ihres Kindes konstruktiv zu begegnen. Fast 70 % der Eltern wünschen sich eine Beratungsstelle an der Schule.

Die ermittelten Kinder- und Elternwünsche stehen in einem auffälligen Kontrast zu dem Umstand, dass beide Gruppen das Gespräch mit Lehrpersonen eher selten als eine Strategie benennen, um schulische Probleme zu bewältigen. Offen bleibt, wie Unterstützungsangebote in den Schulen konzipiert werden sollten, damit sie adressatengerecht und niederschwellig wirken und eine abgestimmte kooperative Aufgabenverteilung zwischen den schulinternen und schulexternen Beratungs- und Unterstützungssystemen gewährleisten.

Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.

Reflexionsfragen einer Lehrkraft:

  • Wie häufig kommt es vor, dass meine Schülerinnen und Schüler Unterstützungs- und Beratungsbedarf bezüglich bestehender Problemlagen im schulischen Bereich signalisieren?
  • Was kann ich konkret tun, damit meine Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern frühzeitig das Gespräch mit mir und meinen Kolleginnen und Kollegen suchen, um schulische Problemlagen erfolgreich zu bewältigen.
  • Welche Konsequenzen ergeben sich für die Elternarbeit aus dem Befund, dass Eltern deutlich häufiger als deren Kinder den Unterricht, die Lehrkräfte und Mitschülerinnen und Mitschüler mit belastenden Situationen verbinden?

Reflexionsfragen einer Schulleitung:

  • Wie lässt sich das schulische Unterstützungssystem mit schulexternen Unterstützungsangeboten sicher und niederschwellig verzahnen?
  • Wie kann ich mein schulisches Unterstützungsangebot so profilieren, dass einerseits leistungsschwache Hauptschülerinnen und Hauptschüler mit Migrationshintergrund sowie leistungsschwache Gymnasiastinnen mit Migrationshintergrund, welche überzufällig häufig mehr Beratung wünschen, entsprechend ihres Wunsches mehr Hilfe erhalten, ohne dass sich andererseits Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund stigmatisiert fühlen?
  • Welche Weiterentwicklung im schulinternen Beratungskonzept könnten dafür sorgen, dass mehr Eltern, Schülerinnen und Schüler das Gespräch mit Lehrkräften stärker als Möglichkeit in Betracht ziehen, schulische Problemlagen zu bewältigen?

Nicht alle Jugendliche agieren gemäß den gesellschaftlichen Leistungserwartungen erfolgreich. Unterstützungsmaßnahmen könnten bei der Bewältigung schulischer Entwicklungsaufgaben helfen. Jedoch besteht in der empirischen Forschung ein Desiderat hinsichtlich der Frage, wie viele und welche Jugendliche eine solche Hilfe wünschen und worin diese aus Sicht der Betroffenen bestehen sollte. Zwar untersuchen einzelne Studien Teilbereiche im Gesamtsystem der leistungsrelevanten Aspekte im Jugendalter und identifizieren verschiedene Problemlagen bei der Bewältigung schulischer Anforderungen, beispielsweise schlechte Schulnoten (Steinhausen & Winkler-Metzge, 2001), motivationale Probleme und Defizite (Pintrich & Schunk, 2002) sowie Übergriffe durch Mitschülerinnen und Mitschüler (Strohmeier, Gradinger, Schabmann & Spiel, 2012). Es mangelt jedoch an Studien, in denen zentrale Herausforderungen und Problemlagen von Jugendlichen im Umgang mit Schule offener und globaler untersucht werden.

In einem multiperspektivischen Forschungszugang verfolgt Petra Wagner mit ihrer im österreichischen Schulsystem angesiedelten Studie das Ziel, diese Forschungslücke zu schließen. Dabei sollen sowohl die schulischen Problemlagen von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I identifiziert als auch deren Strategien im Umgang mit jenen Problemlagen sowie erwünschte Unterstützungsmaßnahmen ermittelt werden. Die Elternperspektive auf die schulischen Entwicklungsaufgaben ihrer Kinder erfasst die Studie in den gleichen Dimensionen: schulische Problemlagen, Lösungsstrategien und Unterstützungswünsche. Folglich können Vergleiche zwischen den direkt betroffenen und den indirekt betroffenen Personengruppen im familiären System gezogen werden. Dies findet seinen Niederschlag in der Untergliederung der Forschungsfragen in je eine Hauptfrage (a) und eine Subfrage (b). Folgende drei Forschungsfragen liegen der Studie zugrunde (Wagner, 2018, S. 257):

Forschungsfrage 1 – Schulische Problemlagen

  1. Mit welchen Problemlagen sind Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I konfrontiert?
  2. Zeigen sich Unterschiede zwischen den Angaben der Jugendlichen und denen der Eltern?

Forschungsfrage 2 – Bewältigungsstrategien bezüglich schulischer Problemlagen

  1. Welche Bewältigungsstrategien im Umgang mit diesen Problemlagen (vgl. Forschungsfrage 1a) werden von den Jugendlichen eingesetzt?
  2. Zeigen sich Unterschiede zwischen den Angaben der Jugendlichen und denen der Eltern?

Forschungsfrage 3 – Bedarf an Hilfsangeboten

  1. Welcher Bedarf an Unterstützungs- und Beratungsangeboten zeigt sich in der Sekundarstufe I?
  2. Gibt es Bedarfsunterschiede in Abhängigkeit von Schultyp, Geschlecht, Migrationshintergrund und Schulleistung?

Die Fragebogenerhebungen wurden im Rahmen einer breit angelegten Studie zum Thema „Wohlbefinden an der Schule“ in acht österreichischen Hauptschulen und fünf österreichischen Gymnasien durchgeführt. Die Stichprobe umfasste 1.155 Kinder und Jugendliche, von denen 552 weiblich und 603 männlich waren. Alle an der Erhebung beteiligten Schulen unterstützten die Studie freiwillig. Pro Schule wurde aus den Jahrgangsstufen fünf bis acht je eine komplette Klasse zufällig ausgewählt. Das Durchschnittsalter der Befragten betrug 12,7 Jahre, wobei die Jüngsten 10 Jahre und die Ältesten 17 Jahre zählten. Schülerinnen und Schüler, deren Muttersprache nicht Deutsch war, wurden als Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund klassifiziert. 20 % der befragten Kinder und Jugendlichen wiesen nach dieser Bestimmung einen Migrationshintergrund auf.

Nachdem die Schülerinnen und Schüler den Fragebogen in einer Unterrichtsstunde unter Aufsicht einer Untersuchungsleiterin selbstständig ausfüllten, erhielt jeder bzw. jede Jugendliche einen Fragebogen für die Eltern. Die Eltern hatten nun sieben Tage Gelegenheit, zu Hause den Fragebogen auszufüllen und ihrem Kind in die Schule mitzugeben. Von den ausgehändigten 1.155 Elternfragebögen konnten über die Klassenleitungen binnen Wochenfrist 798 ausgefüllte Fragebögen eingesammelt und an die Untersuchungsleiterin übergeben werden. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 70 %. Über einen Code ließen sich die 798 Fragebögen eindeutig einem Schüler bzw. einer Schülerin zuordnen. 143 der 798 Eltern (= 18 %) haben gemäß dem oben eingeführten Klassifizierungskriterium einen Migrationshintergrund.

Für die Vergleichsanalyse wurden die 1.155 Datensätze der Kinder und Jugendlichen mit den 798 Datensätzen der Eltern in einem Datensatz zusammengeführt und anhand einer Varianzanalyse mit Messwiederholung ausgewertet. Darum enthielten beide Fragebogentypen Items zu den drei gleichen Fragebereichen, die sich an den drei Forschungsfragen orientieren: Schulische Problemlagen, Strategien im Umgang mit den schulischen Problemlagen, Bedarfe an Hilfsangeboten. Durch eine quantitative Inhaltsanalyse (vgl. Bortz & Döring 2002) erfolgte die Auswertung der offenen Fragen in beiden Fragebogentypen. Hierzu wurden induktiv Merkmalskategorien für die Antworten der Eltern und der Schülerinnen und Schüler gebildet. Das bedeutet, dass erst nach einer Sichtung aller Antworten Kategorien gebildet wurden. Die Häufigkeit, mit der ein bestimmtes induktiv entwickeltes Merkmal in den offenen Antworten auftritt, gab Auskunft über dessen quantitative Bedeutung. Die Frage, ob sich spezifische Schülertypen abhängig von Schultyp, Geschlecht, Migrationshintergrund, Schulerfolg und Geschlecht in ihren spezifischen Hilfsbedarfen unterscheiden, wurde durch das statistische Verfahren einer Konfigurationsfrequenzanalyse untersucht (vgl. Lienert 1971). Hierbei können in einem zuvor definierten Zufallsmodell Verhaltensmuster identifiziert werden, die häufiger oder seltener auftreten als gemäß dem Zufallsmodell erwartet.

Forschungsfrage 1 – Schulische Problemlagen

Knapp 60 % der befragten 1.155 Schülerinnen und Schüler beantworteten die Frage nach ihren derzeit größten Problemen in der Schule. Aus dieser Stichprobe von 689 Jugendlichen gaben etwas mehr als 70 % Lern- und Leistungsprobleme an. Mit deutlichem Abstand wurden Lehrperson bzw. Unterricht (ca. 24 %) und soziale Probleme (22 %) genannt. Jeweils weniger als fünf Prozent der Schülerinnen und Schüler bezeichneten Schulängste, Selbstwertprobleme oder familiäre Probleme als derzeit größte Probleme in der Schule.

484 Kinder und Jugendliche und deren 312 Eltern beantworteten in der Untersuchung die Frage nach einer konkreten Situation im Schuljahr, die als besonders belastend eingestuft wird. Die 796 Antworten führt das Forscherteam um die Autorin in einem Datensatz zusammen. Dessen Analyse ergibt, dass 70 % der Kinder und Jugendlichen, aber nur 50 % der Eltern Situationen anführen, die unter die Kategorie Lern- und Leistungsprobleme fallen. Unterschiede treten auch hinsichtlich der übrigen Kategorien der als belastend empfundenen Situationen auf: Deutlich häufiger als ihre Kinder bringen Eltern Lehrpersonen, Unterricht, soziale Probleme, Schulängste und familiäre Probleme in Verbindung mit belastenden Situationen.

 

Forschungsfrage 2 – Bewältigungsstrategien bezüglich schulischer Problemlagen

Die Analyse des gemeinsamen Datensatzes von Eltern und ihren Kindern hinsichtlich der Frage nach den Bewältigungsstrategien im Umgang mit schulischen Problemlagen offenbart, dass Gespräche mit Eltern am häufigsten als gewählte Strategie von Eltern und ihren Kindern genannt werden. Es folgen in beiden Gruppen Gespräche mit Freunden und Gespräche mit einer vertrauten Person. Die Möglichkeit, das Gespräch mit der Lehrkraft zu suchen, ziehen sowohl Eltern als auch Schülerinnen und Schüler eher selten in Betracht. Auch die destruktiven Strategien Schweigen, Rückzug, aggressive Reaktionen und Weinen nennen beide Gruppen selten.

Eine detailliertere Betrachtung der Befunde zeigt, dass bei vier Bewältigungsstrategien auffällige Unterschiede in den Antworten von Eltern und ihren Kindern vorliegen. Erstens nehmen sich Eltern stärker als Gesprächspartner zur Bewältigung von schulischen Problemlagen wahr als es bei ihren Kindern der Fall ist. Zweitens erkennen Kinder und Jugendliche im Gespräch mit Freunden deutlich häufiger eine Option, um schulische Problemlagen zu bewältigen, als deren Eltern. Dies gilt drittens auch für die Bewältigungsstrategie, das Gespräch mit einer vertrauten Person zu suchen. Viertens wählen zwar nicht viele Kinder und Jugendliche Rückzug als Bewältigungsstrategie schulischer Problemlagen, aber sie nennen diesen vermeintlichen Lösungsansatz deutlich häufiger als ihre Eltern.

Auf die Frage, ob sie schon einmal Hilfe bei der Bewältigung schulischer Probleme gesucht haben, antworteten 780 Eltern. Dies entspricht 98 % der Eltern, die einen Fragebogen bearbeitet haben, von denen wiederum 14 % (n = 110) die Frage bejahen. Am häufigsten nennen die 110 Eltern als Unterstützungsmaßnahmen Psychologische Hilfe (32 %) und Lernhilfe (26 %). Gespräche mit der Lehrperson werden ebenso wenig in Anspruch genommen wie Hilfsangebote von Beratungsstellen oder von medizinischer und esoterischer Seite.

Forschungsfrage 3 – Bedarf an Hilfsangeboten

In 98,5 % der von den Kindern und Jugendlichen ausgefüllten Fragebögen wird die Frage zum Bedarf nach zusätzlichen Hilfsangeboten beantwortet. 21 % dieser Kinder und Jugendlichen wünschen sich zusätzliche Unterstützung (n = 237). Darauf aufbauend prüfen Wagner und ihr Forschungsteam, ob sich spezifische Schülertypen identifizieren lassen, die sich ausgehend von der besuchten Schulart, dem Geschlecht, der Schulleistung und dem Vorhandensein eines Migrationshintergrunds in ihrem Wunsch nach Hilfe unterscheiden. Diesbezüglich können unter Berücksichtigung der per Zufall erwarteten Ergebnisse folgende fünf Typen unterschieden werden:

  • Mehr Hauptschülerinnen und Hauptschüler mit Migrationshintergrund und schwachen Schulleistungen wünschen sich zusätzliche Hilfe als erwartet.
  • Weniger Hauptschüler ohne Migrationshintergrund und mit starken Schulleistungen wünschen sich zusätzliche Hilfe als erwartet.
  • Mehr Gymnasialschülerinnen mit Migrationshintergrund und schwachen Schulleistungen wünschen sich zusätzliche Hilfe als erwartet.
  • Mehr Gymnasialschülerinnen und Gymnasialschüler ohne Migrationshintergrund und mit starken Schulleistungen wünschen sich keine zusätzliche Hilfe als erwartet.
  • Weniger Gymnasialschülerinnen ohne Migrationshintergrund und mit schwachen Schulleistungen wünschen sich keine zusätzliche Hilfe als erwartet.

Von den 237 Schülerinnen und Schülern, die zusätzliche Unterstützung bei der Problembearbeitung wünschen, geben 185 (78 %) an, bei welchem ihrer Probleme sie Unterstützung erhalten wollen. Über 90 % von ihnen wünschen Hilfe bei ihren Lern- und Leistungsproblemen. Abgeschlagen liegt der Bedarf nach Hilfe bei sozialen Problemen (20 %), bei Problemen mit der Lehrperson bzw. dem Unterricht (15 %) oder bei familiären Problemen (6 %).

Alle an der Befragung beteiligten Schülerinnen und Schüler erhielten die Frage, wie konkrete zusätzliche Hilfe für sie aussehen könnte. 85,5 % beantworteten diese Frage (n = 988). Nahezu 70 % dieser Schülerinnen und Schüler wünschen sich eine Person, die sie bei Problemen mit einer Lehrkraft oder mit Mitschülerinnen und Mitschülern unterstützt. Lediglich 20 % erkennen in einer betreuten Lern- oder Jugendgruppe ein hilfreiches Unterstützungsangebot.

649 der 798 befragten Eltern (81 %) beantworteten die Frage, welche konkreten Hilfsangebote sie bei schulischen Problemen ihres Kindes in Anspruch nehmen würden. Nahezu 70 % von diesen Eltern würden eine Beratungsstelle in der Schule aufsuchen, wenn es sie denn gäbe. Läge die Beratungsstelle hingegen außerhalb der Schule, würden mit ca. 52 % der Eltern deutlich weniger von ihnen sie ansteuern. Im Austausch mit anderen Eltern erkennen etwas mehr als 60 % ein Hilfsangebot. Eine individuelle Beratung zu Hause fordern nur 40 %.

Hintergrund: Die vorliegende Studie tritt mit dem Anspruch an, systematisch Problemlagen von Kindern und Jugendlichen der Jahrgangsstufen fünf bis acht aufzuzeigen und damit verbundene Unterstützungs- und Beratungsbedarfe zu ermitteln. Zusätzlich berücksichtigt die Studie die Perspektive der Eltern und führt deren Aussagen mit denen ihrer Kinder zu einem Datensatz zusammen. Auf dieser Grundlage können die Fragen zu Problemlagen und Beratungsbedarfen aus Perspektive von Eltern und ihren Kindern analysiert werden. Die Studie schließt mit Blick auf das österreichische Schulsystem ein Desiderat: Erstaunlicherweise wurden die Problemlagen und Unterstützungswünsche von Kindern und Jugendlichen unter Einbezug der Elternperspektive zuvor in der Breite im deutschsprachigen Raum nicht untersucht.

Design: Für die Studie wurden 1.155 Kinder und Jugendliche der Klassenstufen fünf bis acht aus den für Österreich wesentlichen Sekundarschultypen Gymnasium und Hauptschule befragt sowie 798 dazugehörige Eltern. Die Fülle der erhobenen Daten zog einen immensen Aufwand an inhaltsanalytischer Datenauswertung in Kombination mit personenorientierten Verfahren (Konfigurationsfrequenzanalyse) nach sich. Stichprobe, Instrumente und weitere Details des Designs sind ausführlich, chronologisch und nachvollziehbar beschrieben. Bei allem Lob für Fleiß und Akribie des Forscherteams um Petra Wagner sind drei kleinere Kritikpunkte dem Design der Untersuchung entgegenzubringen.

Erstens kam es bei den Kindern und Jugendlichen im Bereich der offenen Fragen zu den Problemlagen der Schülerinnen und Schüler zu Datenausfällen, weil Fragen nicht beantwortet wurden. Möglicherweise entschieden sich Kinder und Jugendliche zum Auslassen einzelner Fragen, weil sie im Verlauf des Schuljahres keine Problemlagen erlebten bzw. erleben. Dies aber bleibt spekulativ. Wenn jedoch die Autorin darauf verweist, dass das bewusste Entschließen, „[…] einzelne Fragen nicht zu beantworten ein häufig zu beobachtendes Phänomen bei schriftlichen Befragungen“ (Wagner, 2018, S. 270) sei, so bleibt die Frage, warum dies nicht zuvor ins Kalkül gezogen wurde. Das Problem des Datenausfalls hätte über den Fragenbogen durch entsprechende Ankreuzmöglichkeiten reduziert oder über die Untersuchungsleiterin in der Schule beim Einsammeln der Bögen kurz erfragt und dokumentiert werden können. Auf diese Weise bestünde weniger Spekulationspotenzial hinsichtlich der schülerseitigen Motivationen, einzelne Problemlage-Fragen nicht zu beantworten.

Zweitens sind die Elternfragebögen anders als die der Kinder und Jugendlichen zu Hause ausgefüllt worden. Damit lässt sich nicht ermitteln, unter welchen Rahmenbedingungen einzelne Eltern ihre Fragebögen ausfüllten. Konstante Rahmenbedingungen, wie sie bei den Kindern Standard sind, müssen grundsätzlich ausgeschlossen werden.

Drittens kann aus der Studie nicht gelesen werden, ob die Problemlagen und die Unterstützungsbedarfe in Abhängigkeit der Jahrgangsstufe variieren oder nicht.

Ergebnisse: Auf alle drei Forschungsfragen liefert die Studie Antworten. Hierbei zeigen sich teilweise überraschende Befunde. So fokussieren Kinder und Jugendliche stärker auf die eigenen Lern- und Leistungsprobleme als deren Eltern. Letztere nehmen in deutlich höherem Ausmaß auch Lehrperson, Unterricht, soziale und familiäre Probleme in den Blick. Anschlussuntersuchungen sollten darauf aufbauend Folgerungen für Beratungsgespräche durch Lehrkräfte ableiten – insbesondere vor dem Hintergrund, dass Eltern sowie Schülerinnen und Schüler Lehrkräfte eher selten als Bewältigungsoption von Problemen wählen.

Ein weiteres und deutlich umfangreicheres Desiderat leitet sich aus den identifizierten Unterstützungsbedarfen der Kinder und Jugendlichen sowie deren Eltern ab: Denn ob Schule diese Bedarfe tatsächlich bedienen kann, bleibt ebenso offen wie die Frage, wie Unterstützungsangebote in den Schulen konzipiert werden sollten, damit sie adressatengerecht und niederschwellig wirken und eine abgestimmte kooperative Aufgabenverteilung zwischen den schulinternen und schulexternen Beratungs- und Unterstützungssystemen gewährleisten. Oder wie Wagner formuliert: „Insgesamt ergibt sich daraus die Notwendigkeit, verstärkt Forschungsarbeiten diesem Themenkomplex zu widmen“ (Wagner, 2018, S. 272).

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Diese Rezension wurde erstellt von:
Dr. Holger Braune, Schulleiter an der Freien Christlichen Gesamtschule Düsseldorf

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