Fragestellungen der Studie:
Rezension zur Studie
Funke, R. (2014). Erstunterricht nach der Methode Lesen durch Schreiben und Ergebnisse schriftsprachlichen Lernens – Eine metaanalytische Bestandsaufnahme. Didaktik Deutsch, 19(36), 21–41.FIS BildungErstunterricht nach der Methode Lesen durch Schreiben (LdS) wird derzeit viel diskutiert, insbesondere im Blick auf deren Lernwirksamkeit. Funke (2014) unternimmt in einer metaanalytischen Betrachtung eine Systematisierung der hierzu vorliegenden Forschungsbefunde. Ziel ist es, die Lernwirksamkeit der Methode für das Lesen und die Rechtschreibung abzuschätzen. Hierzu werden 16 Studien aus dem Zeitraum 1985 bis 2010 mit 21 unabhängigen Stichproben für die Klassenstufen 1-4 untersucht.
Ein Beleg dafür, dass LdS zu dauerhaft schlechteren Ergebnissen als der Fibelunterricht führt, lässt sich nicht finden. Es liegen jedoch Hinweise vor, dass Schülerinnen und Schüler mit ungünstigen Lernvoraussetzungen und ggf. auch solche mit bilingualem Hintergrund bei dieser Methode nicht optimal gefördert werden.
Die Aussagekraft der berücksichtigten Studien ist aber aufgrund verschiedener methodologischer Einschränkungen insgesamt sehr begrenzt. Die bisherigen Erkenntnisse sind mit Vorsicht zu interpretieren. Weitere Forschung ist nötig.
Erstunterricht nach der Methode Lesen durch Schreiben (LdS; häufig auch mit Schreiben nach Gehör bezeichnet) wird derzeit viel diskutiert. Bei dieser Methode werden Kinder zum Schreiben von Wörtern angeleitet, indem sie diese entsprechend ihrer phonetischen Wahrnehmung schrittweise in Laute zerlegen. Jedem Laut wird ein Bild aus einer Anlauttabelle zugeordnet. Neben dem Bild findet sich ein dazu passender Buchstabe, der von den Kindern übertragen wird. So entsteht ohne fremde Hilfe schrittweise ein Schriftwort und die Lesefähigkeit soll sich Stück für Stück von allein entwickeln. Dieser Methode liegt die Annahme zugrunde, dass der Schriftspracherwerb ein selbstgesteuerter Lernprozess sei. LdS ist in der Fachdiskussion jedoch sehr umstritten: es wird kritisiert, dass die Kinder bei dieser Methode sich selbst überlassen bleiben, Rechtschreibfehler zunächst nicht korrigiert und sprech- und schriftsprachliche Einheiten nicht aufeinander bezogen werden. Außerdem könnten Kinder aus sozial schwachen und bildungsfernen Elternhäusern benachteiligt sein.
Vor diesem Hintergrund untersucht Funke (2014) in seinem Beitrag die LdS-Lernwirksamkeit für das Lesen und die Rechtschreibung durch eine metaanalytische Systematisierung und Betrachtung bisheriger Forschungsbefunde. In diesem Zusammenhang merkt er im Rekurs auf zentrale Befunde der Unterrichtsforschung einleitend an, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Wirksamkeit einer Unterrichtsmethode nicht über die für Lernergebnisse bedeutsamere Unterrichtsqualität hinwegtäuschen solle.
Datenbasis: Zur Beantwortung seiner Zielstellung wertet der Autor 16 Studien aus dem Zeitraum 1985 bis 2010 mit 21 unabhängigen Stichproben für die Klassenstufen 1-4 aus, in denen LdS dem Fibelunterricht gegenüber gestellt wurde. Hierzu wurden verschiedene Recherchen in deutschen und Schweizer Literaturdatenbanken vorgeschaltet.
Untersuchungsablauf: Die Studie ist explorativ angelegt, sodass keine recherchierte Studie im Vorhinein ausgeschlossen wurde. Die berücksichtigten Studien sollten sich lediglich auf die Klassenstufe 1-4 beziehen und eindeutige Rückschlüsse auf die Verwendung der LdS-Methode zulassen.
Statistische Analysen: Der Autor berichtet für die Einschätzung der Lernwirksamkeit der LdS-Methode eine korrigierte Variante der Effektstärke d, bei der die klassenweise Abhängigkeit der Messwerte berücksichtigt wurde. Die für d wesentliche Intraklassenkorrelation p, welche besagt, inwiefern Effekte auf Unterschiede, die zwischen den Klassen oder zwischen den Probanden bestehen, zurückzuführen sind, wurde auf p = 0,25 gesetzt. Angaben zur Streuung der Werte wurden entweder aus den ausgewerteten Studien entnommen bzw. aus Testhandbüchern geschätzt, in einem Fall aus einer Vergleichsuntersuchung imputiert und in einem Fall statistisch modelliert. Lagen nur Effektstärken auf Klassenebene vor, wurden diese auf Probandenebene transformiert. In einem Fall wurden zu diesem Zweck die Originaldaten einer Studie reanalysiert.
Im Bereich des Lesens liegen die Leistungen der LdS-Klassen am Ende der Stufe 1 unter den Fibelklassen. In Klassenstufe 2-4 weichen sie nicht von denen der Fibelklassen ab. Im Bereich der Rechtschreibung erzielen die LdS-Klassen am Ende der Klassenstufe 1 bessere Leistungen als die Fibelklassen. In den Klassenstufen 2-4 erreichen die LdS-Klassen signifikant schlechtere Ergebnisse als die Fibelklassen; grenzt man die Betrachtung auf Studien ein, in denen die Lernausgangslagen berücksichtigt wurden, sind zwischen den LdS- und Fibelklassen mit Blick auf die Rechtschreibung keine signifikanten Unterschiede mehr erkennbar. Zudem wird deutlich, dass die LdS-Methode für Schülerinnen und Schüler mit ungünstigen Lernvoraussetzungen sowie möglicherweise auch für zweitsprachlich Lernende nicht optimal zu sein scheint. Ein Beleg dafür, dass LdS zu dauerhaft schlechteren Ergebnissen als der Fibelunterricht führt, lässt sich nicht finden.
Zum Hintergrund: Die Studie von Funke (2014) greift ein für die Grundschule und Bildungsadministration relevantes Forschungsdesiderat auf. Es wird die Lernwirksamkeit der im Erstunterricht häufig verwendeten Methode Lesen durch Schreiben im Rahmen einer Metaanalyse betrachtet.
Der Autor bezieht sich bei der Herausstellung der Relevanz seiner Untersuchung auf die in der Fachdiskussion häufig geäußerten Kritikpunkte dieser Methode. Zudem verweist er auf erste Forschungsüberblicke, die sich mit der Eignung von LdS im Erstunterricht befasst haben und an denen sein metaanalytisches Verfahren anknüpft. Die Argumentationsweise sowie die Diskursbezüge sind stringent, nachvollziehbar und überzeugend. Insbesondere die in der Einleitung vorgenommene Relativierung des Primats einer Unterrichtsmethode (z. B. Lesen durch Schreiben) im Vergleich zu zentralen und als lernwirksam identifizierten Merkmalen der Unterrichtsqualität wird von Seiten des Rezensenten als gelungen eingeschätzt. Hierdurch wird der Leserschaft geholfen, den Stellenwert des betrachteten Forschungsgegenstands im übergeordneten Kontext der aktuellen Forschung zur Unterrichtsqualität angemessen einzuschätzen.
Zum Design: Das Studiendesign und die statistische Modellierung werden ausführlich und gut nachvollziehbar berichtet. Die Ergebnisdarstellungen in schriftlicher und grafischer Form helfen bei der Erfassung der zentralen Ergebnisse. Die methodische Vorgehensweise entspricht den für Metaanalysen üblichen Konventionen. Hierzu wird auch immer wieder auf Primärquellen verwiesen.
Zu den Ergebnissen: Die Zielstellung der Untersuchung wird erreicht und die vorgenommenen Schlussfolgerungen und forschungsmethodologischen Konsequenzen erscheinen plausibel. Der vorübergehende Rückstand der LdS-Kinder in der ersten Klasse wird auf eine fehlende Forcierung des Leselernprozesses zurückgeführt, der auf längere Sicht nicht Bestand zu haben scheint. Funke (2014) diskutiert den für ihn überraschenden positiven Rechtschreibeeffekt gegen Ende der Klassenstufe 1 gegenüber den Fibelklassen im Zusammenhang mit dem zur Erfassung von Rechtschreibleistungen weniger charakteristischen Forschungsinstrument der Studien, die für diesen Effekt vor allem verantwortlich sind.
Die Befunde zum Rechtschreiben in den Klassenstufen 2-4 sind seiner Ansicht nach mehrdeutig und lassen keinen klaren Rückschluss auf schlechtere, durch die LdS-Methode bedingte Lernleistungen zu. Die Uneindeutigkeit der Ergebnisse liegt seiner Einschätzung nach vor allem an dem Untersuchungsdesign der berücksichtigten Studien (v. a. fehlende Randomisierung, eingeschränkte Validität der Ermittlung der Lernergebnisse, fehlender Fokus auf das Verhältnis zur Nutzung der Schriftsprache). Funke (2014) diskutiert vor diesem Hintergrund in angemessener Weise die Limitationen seiner metaanalytischen Bestandsaufnahme, die sich erstens aus der Anlage der berücksichtigten Studien und zweitens aus seinem gewählten meta-analytischen Vorgehen ergeben:
In Verbindung mit der Studienanlage diskutiert er (a) den Mangel an experimentellen Studien, um eindeutige Wirkungen der Methode untersuchen zu können, (b) inhomogene Statistiken und Ausreißer-Werte, die die Validität der Ergebnisse herabsenken, (c) die Beschränkungen auf Einzelaspekte der LdS-Methode ohne eine ganzheitliche Betrachtung des Anspruches dieser Methode, dass Schülerinnen und Schüler durch selbstgesteuertes Lesen und Schreiben ein positiveres Verhältnis zur Nutzung der Schriftsprache zu bekommen.
In Verbindung mit seinem gewählten Vorgehen diskutiert er (a) den Einbezug aller hierzu vorliegenden Studien ohne Berücksichtigung von Auswahlkriterien, (b) unsichere Effektstärkenschätzungen, (c) die Unsicherheit, alle Studien berücksichtigt zu haben, da er von einer unsicheren bibliographischen Erschließung der Studien ausgeht und (d) den sog. Publikations-Bias, da ggf. durchgeführte Studien zu dieser Methode ohne nachgewiesene Effekte gar nicht erst veröffentlicht wurden, sodass die veröffentlichten Studien mit Effekten überschätzt werden. Trotz der vielen offenen Fragen leitet der Autor aus den Daten ab, dass diese Methode einen selbstgesteuerten Lernprozess initiiert, der weiterer Forschung bedarf.
Landesbildungsserver BW
Bildungsserver MV
Aus der Reihe "Beiträge zur Schulentwicklung"
Schulentwicklung NRW
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