Fragestellungen der Studie:
Rezension zur Studie
Trumpa, S., Franz, E.-K. & Greiten, S. (2016). Forschungsbefunde zur Kooperation von Lehrkräften. Ein narratives Review. Die Deutsche Schule, 108(1), 82–92.FIS BildungAnhand einer Literaturauswertung des Forschungsstands zur Kooperation von Lehrerinnen und Lehrern wird der Frage nachgegangen, inwiefern sich Implikationen für die Praxis aus einer solchen Sichtung ergeben. Im Ergebnis wird u.a. herausgestellt, dass Lehrerkooperation insbesondere bezüglich ihrer Effekte auf Leistungen von Schülerinnen und Schülern nicht als „Universalstrategie“ in Schulentwicklungsbemühungen zu sehen ist.
Zur Förderung von Lehrerkooperation ist vor allem eine kooperationsfreundliche Schulkultur zu entwickeln, die wiederum von zentralen Rahmenbedingungen, wie etwa einer gelingenden Führung der Schule bedingt wird. Schließlich implizieren Unterschiede im Kooperationsverhalten bzw. der Kooperationsbereitschaft in Abhängigkeit von personalen Merkmalen wie etwa Berufserfahrung, dass ein entsprechendes Berufsverständnis in allen Phasen der Lehrerbildung gefördert werden sollte. Die Analyse bietet einen guten Überblick zum empirisch gesicherten Erkenntnisstand zur Lehrerkooperation und liefert hierüber bereits Anregungen für praxisbezogene Überlegungen im Umgang mit diesen Erkenntnissen. Aufgrund der zumeist nicht dargelegten Eckdaten zum Design und zur Güte der einbezogenen Studien empfiehlt es sich jedoch, ggfs. die entsprechenden Primärquellen im Einzelfall für die Ableitung von praxisrelevanten Maßnahmen etc. hinzuzuziehen.
Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.
Reflexionsfragen einer Lehrerin/eines Lehrers, die/der sich in kooperativen Prozessen befindet oder sich in solche begeben möchte:
Reflexionsfragen einer Schulleitung, die die Kooperationskultur an ihrer Schule fördern möchte:
Gegenstand vorliegender Untersuchung ist ein Bereich, der in der Diskussion um gelingende Schulentwicklung und die Qualitätsverbesserung von Schule spätestens seit dem „PISA-Schock“ 2001 an erheblicher Bedeutung gewonnen hat: Die Frage nach der Wirksamkeit der Kooperation von Lehrkräften für die Unterrichtsqualität und damit einhergehend nach Gelingensbedingungen einer solchen Kooperation. Auch einhergehend mit dem Inklusionserfordernis wird zunehmend nach gelingender Kooperation der verschiedenen in Schule tätigen Professionen gefragt.
Die vorliegende Analyse widmet sich diesen Fragestellungen und greift dabei auf die in den letzten Jahren gewachsene Anzahl an Studien zurück, in denen sich mit diesem Themenkomplex befasst wurde. Die Autorinnen fragen konkret danach, inwiefern aus den vorliegenden empirischen Erkenntnissen zur Lehrerkooperation Implikationen für die Praxis abgeleitet werden können. Darüber hinaus werden aus der Sichtung der Ergebnisse Forschungsdesiderate und methodische Anknüpfungspunkte für zukünftige Forschung zur Lehrerkooperation herausgearbeitet (hierauf wird in der Rezension nicht eingegangen).
Die Autorinnen nehmen zunächst eine Klärung der Begriffe Kooperation und Lehrerkooperation sowie unterschiedlicher Kooperationsformen vor und rekurrieren hier auf bekannte Ansätze aus der Schulentwicklungsforschung wie z.B. der Unterscheidung zwischen den Kooperationsformen Austausch, Synchronisation und Ko-Konstruktion (vgl. Gräsel & Fußangel 2006), wonach die Ko-Konstruktion zu den anspruchsvolleren Kooperationsformen zählt und sich etwa im Teamteaching abbilden kann. Bezugnehmend auf den Forschungsstand stellen die Autorinnen heraus, dass sich gerade diese Formen der Kooperation bislang empirisch wenig nachweisen lassen. Insgesamt unterscheiden die Autorinnen zwischen drei Diskurslinien, der (1) Kooperation zwischen Lehrkräften, der (2) multiprofessionellen Kooperation (z.B. im Ganztag) und (3) der Vernetzung, womit die Kooperation mit außerschulischen Partnern gemeint ist. In der Analyse wird sich vorrangig auf Befunde zur Lehrerkooperation beschränkt und die multiprofessionelle Kooperation lediglich exemplarisch beleuchtet.
Für die Analyse der Forschungsliteratur wurde auf die Methode des narrativen Reviews zurück-gegriffen. Narrative Reviews bieten einen Überblick zu einem bestimmten Thema und eignen sich besonders gut, um z.B. einen raschen Einblick in ein Thema, etwa dem jeweiligen Forschungsstand, zu gewinnen. Sie unterscheiden sich z.B. von systematischen Reviews, mit denen der Anspruch verfolgt wird, entlang festgelegter Kriterien das gesamte Feld zu einem Thema zu erfassen.
Einbezogen wurden relevante Studien, die seit dem Jahr 2000 durchgeführt wurden und mithilfe einer schlagwortgestützten Suche in ausgewählten Online-Datenbanken ermittelt wurden. Die Begrenzung auf diesen Zeitraum begründen die Autorinnen mit der Annahme, dass die seit den Ergebnissen aus den internationalen Vergleichsstudien vorgenommenen Steuerungsversuche auch Auswirkungen auf die Kooperation zwischen Lehrkräften (gehabt) haben. Die Beschränkung auf deutschsprachige Forschung wird mit der Annahme begründet, dass der Beruf des Lehrers/der Lehrerin im Zusammenhang mit spezifischen kultur- und gesellschaftlichen Einflüssen zu sehen ist.
Berücksichtigt wurden insgesamt 30 Studien, deren Befunde in einer Gegenüberstellung herausgearbeitet wurden. Induktiv wurden hierüber insgesamt fünf Kategorien ermittelt, die die Autorinnen zur systematisierten Darstellung der Befunde nutzen. Ergänzend werden vereinzelt Befunde zur multiprofessionellen Kooperation als 6. Kategorie berichtet.
Die Ergebnisse der Literatursichtung bündeln die Autorinnen in folgenden Kategorien:
1. Lehrerkooperation: Ko-konstruktive Prozesse als anspruchsvoller geltende Kooperationsformen finden sich empirisch am wenigsten. Als relevante Einflussfaktoren für Lehrerkooperation zeigen die gesichteten Studien, dass individuelle Motive wie soziale Orientierung, Aufgabenorientierung und Autonomiemotive sowie Merkmale wie gemeinsame Zielbildung und arbeitsbezogenes Vertrauen signifikante Einflussgrößen sind. Dabei verhält sich das Kooperationsniveau positiv proportional zu unterstützenden Strukturen und Rahmenbedingungen. Die Autorinnen führen aus, dass insbesondere der Schulleitung hier eine zentrale Rolle zukommt.
Die Literaturauswertung zeigt außerdem schulformspezifische Unterschiede, wonach an Grundschulen eher ein höheres Kooperationsniveau zu finden ist als an Schulen des Sekundarbereichs. Ferner sind Frauen kooperationsbereiter und jüngere Lehrkräfte sind interessierter, unterrichtsbezogen zu kooperieren als ältere. Inhaltlich bezieht sich Lehrerkooperation zumeist auf die Unterrichtsentwicklung, die integrative Förderung sowie auf gelingenden Umgang mit Heterogenität. Die Autorinnen geben zudem an, dass es den Studien zufolge keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Belastung und Lehrerkooperation gibt.
2. Wirksamkeit von Lehrerkooperation auf Schülerleistungen: Die Forschungslage zur Frage danach, ob Lehrerkooperation Auswirkungen auf die Leistung von Schülerinnen und Schüler hat, ist laut den Autorinnen nicht eindeutig. Sie resümieren auf Grundlage ihrer Auswertung der Studien, dass Lehrerkooperation demnach nicht als Prädiktor für Leistungssteigerung gelten kann. Einzelne Studien zeigen einen Kompetenzzuwachs der Lernenden dann, wenn zwischen den Lehrkräften Konsens bezüglich der Curriculumumsetzung besteht.
3. Institutionelle Gelingensfaktoren: Basierend auf ihrer Analyse stellen die Verfasserinnen Zusammenhänge zwischen dem Grad der Lehrerkooperation und der Qualitätseinschätzung zu zentralen innerschulischen Schulentwicklungsfeldern wie z.B. Innovationsbereitschaft, Führungshandeln, Schulorganisation und Schulklima heraus. Die Autorinnen merken an, dass solche Rahmenbedingungen nicht stabil sind und entsprechend kontinuierlich in Kooperationsprozessen berücksichtigt werden müssen.
4. Erlernbarkeit von Lehrerkooperation: Auf Grundlage ausgewerteter Interventionsstudien, die Maßnahmen zur Intensivierung von Lehrerkooperation untersuchen, zeigt sich deutlich, dass vereinzelte Interventionen nicht zu ko-konstruktiven Prozesse führen. Signifikante Unterschiede zeigen sich zwischen Lehrkräften aus Schulen mit einer qualitativ hohen Kooperationskultur und Lehrkräften aus Schulen, wo eine entsprechende Kultur nicht existiert.
Bilanzierend stellen die Autorinnen nach ihrer Analyse fest, dass Lehrerkooperation nicht als „Universalstrategie“ für die Qualitätsentwicklung von Schule gesehen werden kann, sondern dass sie eine notwendige, jedoch nicht hinreichende Voraussetzung schulischer Innovationsarbeit ist. Als zentrale Praxisimplikationen betonen die Autorinnen, dass die Förderung von nachhaltiger Lehrerkooperation durch unterschiedliche Maßnahmen (z.B. Installation von festen Teams, gemeinsame Unterrichtszeiten, kollegiale Beratung, Fortbildungen zur Lehrerkooperation, ggfs. Supervision etc.) unterstützt werden könnte. Als bedeutsam für die Entwicklung einer kooperationsförderlichen Schulkultur sei zudem eine den Prozess unterstützende Schulleitung zu sehen. Für relevant erachtet wird zudem, dass die jeweiligen unterstützenden Maßnahmen auch im Prozess ggfs. optimiert werden und schließlich die Bereitschaft zur Kooperation mit einem Berufsverständnis einhergeht, das Kooperation als Bestandteil des professionellen Handelns von Lehrkräften begreift. Ein solches Berufsverständnis müsse aus Sicht der Autorinnen in allen Phasen der Lehrerbildung gefördert werden.
Da die Frage nach gelingender Kooperation zwischen Lehrkräften und zwischen unterschiedlichen Professionen in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, z.B. in der Diskussion um eine gelingende Umsetzung des Inklusionserfordernisses, stellt die mit dieser Literaturauswer-tung gewonnene Übersicht von empirischen Erkenntnissen zu Formen, Wirksamkeit und Gelingen solcher Kooperationen einen wertvollen Beitrag bereit. Ein wesentlicher Ertrag, neben dem generellen Überblick zu vorliegenden Forschungsergebnissen, ist es zudem, interessante Unterschiede z.B. zwischen Schulformen oder Altersdifferenzen bezüglich der Kooperationsbereitschaft oder des praktizierten Kooperationsniveaus herauszuarbeiten. Dies impliziert weitergehende Fragen, z.B. inwiefern die Förderung einer kooperationsfreundlichen Kultur insbesondere auch in den Schulen des Sekundarbereichs gelingen kann oder wie eine Lehrerausbildung über alle Phasen hinweg so gestaltet werden kann, dass sie ein Berufsverständnis befördert, das Kooperation als grundständiges professionelles Handeln von Lehrkräften begreift.
Darüber hinaus ist es den Autorinnen mit dieser Analyse gelungen, angesichts differenter Befundlagen deutlich zu betonen, dass Lehrerkooperation nicht als die zentrale alleinige „Universalstrategie“ in schulischer Qualitätsarbeit gelten kann, sondern dass gerade hinsichtlich der Effekte von Lehrerkooperation auf die Leistung von Schülerinnen und Schülern die empirische Befundlage es nicht zulässt, hier von unbedingten kausalen Wirkungsannahmen auszugehen.
In ihrem analytischen Vorgehen rekurrieren die Autorinnen zunächst auf zentrale Arbeiten z.B. zum konzeptionellen Verständnis von Lehrerkooperation. Die Datengrundlage ist transparent dargestellt, insbesondere auch hinsichtlich der selbst gesetzten Einschränkungen bezüglich des analysierten Zeitraums und der entsprechend einbezogenen Quellen. Im Unterschied zur transparenten Methodik der Recherche bleibt offen, welches methodische Auswertungsverfahren zur induktiven Kategorienbildung genutzt wurde und inwiefern hier Gütemaßstäbe angelegt wurden. Insgesamt wird seitens der Autorinnen von der Methode des narrativen Reviews gesprochen, was ein systematisches Vorgehen entlang streng wissenschaftlicher Kriterien eher ausschließt (im Unterschied zu Metaanalysen oder systematischen Reviews). Damit sind die Befunde der Analyse hinsichtlich ihrer Aussagekraft eher vorsichtig zu interpretieren. Zwar werden häufig signifikante Ergebnisse berichtet, allerdings bleibt zum Beispiel offen, inwiefern repräsentative Studien einbezogen wurden. Wünschenswert wäre eine ergänzende Information darüber, welche methodischen Designs beispielsweise in den Studien zur Lehrerkooperation dominieren und wie sich die einbezogenen 30 Studien auf die induktiv gebildeten Kategorien anteilig verteilen.
Eine Grenze der Analyse liegt in dem gewählten Fokus auf deutschsprachige Forschung. Gerade mit Blick auf die derzeit vielfach diskutierte und für Schule geforderte multiprofessionelle Kooperation vor dem Hintergrund bildungspolitischer Herausforderungen wie etwa dem Ganztag oder der Inklusion wäre womöglich der Blick auch in internationale Forschung wertvoll gewesen. So wirkt der Analysebereich der von den Verfasserinnen „exemplarisch“ bezeichneten Betrachtung von Befunden zur multiprofessionellen Kooperation als sehr randständig behandelt und angesichts einer vorhandenen breiteren internationalen Forschung unvollständig und keinesfalls einem Review-Verfahren entsprechend.
Schließlich formulieren die Autorinnen, der Methode des narrativen Reviews konsequent folgend, als Antwort auf ihre Fragestellung entsprechende Praxisimplikationen. Diese sind inhaltlich nachvollziehbar. Gleichwohl handelt es sich hierbei in erster Linie um eine interpretative Diskussion der eigentlichen Analyseergebnisse, also um Kommentare zu den Ergebnissen des narrativen Reviews und nicht um einen eigenen empirisch ermittelten Befund. Entsprechend können diese als „Praxisimplikationen“ bezeichneten vorgenommenen qualitativen Bewertungen vorrangig Anregungen z.B. für eigene praxisrelevante Überlegungen darstellen.
Allemal wird mit dieser Analyse das Desiderat bedient, gebündelt und auf Grundlage einer systematischen Recherche die Befundlage hinsichtlich der Frage nach Kooperation in Schule im deutschsprachigen Raum überblicksartig darzulegen. Inhaltlich ist es ein zentrales Ergebnis der Analyse, dass hierüber Handlungsfelder sichtbar werden, will man die schulische Kooperation befördern. Dies betrifft die Notwendigkeit, ko-konstruktive Prozesse nicht ohne ein entsprechendes unterstützendes Führungshandeln der Schulleitung und unter Berücksichtigung der jeweils schulkulturell bedingten und nicht statischen Rahmenbedingungen anzuregen. Darüber hinaus ergeben sich Implikationen im Hinblick darauf, dass zu fragen ist, inwiefern bestehenden Unterschieden im Kooperationsverhalten etwa hinsichtlich Schulform oder Alter begegnet werden kann, und wie beispielsweise ein pro Kooperation ausgerichtetes Berufsverständnis in allen Phasen der Lehrerbildung befördert werden kann.
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