Fragestellungen der Studie:
Rezension zur Studie
Kurz, K. & Böhner-Taute, E. (2014). Wer profitiert von den Korrekturmöglichkeiten in der Sekundarstufe? Zeitschrift für Soziologie, 45(6), 431–451.FIS BildungAus der früh einsetzenden Stratifizierung des deutschen Schulsystems und seiner föderalen Struktur ergibt sich die hohe Relevanz einer vergleichenden Untersuchung, welche die Frage nach dem Ausgleich von Bildungsungleichheiten durch einen Schulwechsel stellt. Die Autorinnen untersuchen unter diesem Aspekt den Wechsel von Schülerinnen und Schülern nach Abschluss der Sekundarstufe I zu einer Schulform, welche die Sekundarstufe II anbietet.
Sie stellen am Beispiel von vier Bundesländern unterschiedlich restriktive Möglichkeiten des Bildungsaufstiegs durch Wechsel in Schulformen vor, welche die (Fach-) Hochschulreife ermöglichen. Bayern erweist sich in dieser Hinsicht gegenüber NRW, Niedersachsen und Baden-Württemberg als besonders restriktiv. Sie legen dar, dass zu Beginn der Sekundarstufe I bestehende Bildungsungleichheiten durch den nachträglichen Schulwechsel nicht verstärkt werden: soziale Herkunftseffekte nehmen nicht zu, Jugendliche mit Migrationshintergrund können ihren Rückstand tendenziell abbauen. Bayern erweist sich als das Land mit der geringsten Bildungsaspiration unter den Schülern und der geringsten Bildungsmobilität, wobei vor allem soziale Herkunftseffekte deutlich ausgebildet sind. Die Unterschiede der Bundesländer im Hinblick auf die Aufhebung der Auswirkungen sozialer Herkunftseffekte sind insgesamt gering und nicht immer statistisch eindeutig abzusichern. Es deutet sich an, dass Jugendliche aus Familien mit geringerem Bildungshintergrund in Baden-Württemberg bessere Aufstiegsmöglichkeiten haben als in den anderen untersuchten Bundesländern. Die Ergebnisse werden mit Hilfe einer statistischen Analyse des SOEP-Datenbestandes erzielt.
Problematisch sind jedoch die vergleichsweise geringen Fallzahlen, die Problematik einer vergleichenden Erfassung der je nach Bundesland unterschiedlichen Schultypen der Sekundarstufe II, die häufig nicht statistisch signifikanten Ergebnisse und die sich z.T. überlappenden 95%-Konfidenzintervalle. Die mitgeteilten Befunde sind dadurch nicht immer ausreichend gut abgesichert und bedürfen einer Überprüfung auf einer breiteren Datenbasis.
In Deutschland findet im Rahmen eines – mit vielen regionalen Abwandlungen – mehrgliedrigen Schulsystems der Übergang in die weiterführenden Schulen vergleichsweise früh statt. Ein Wechsel der Schulform zu einem späteren Zeitpunkt innerhalb der Sekundarstufe bzw. von der Sekundarstufe I zur Sekundarstufe II ist zwar möglich, erfolgt aber aufgrund der föderalistischen Struktur des Bildungssystems nach Regeln, die von Bundesland zu Bundesland stark voneinander abweichen.
Die Studie befasst sich mit diesem nachträglichen Wechsel von Schülerinnen und Schülern zu Schulformen, welche die (Fach-) Hochschulreife ermöglichen, was von den Autorinnen als ‘Bildungsaufstieg‘ bezeichnet wird. Es werden Schulwechsel untersucht, welche im Anschluss an die Sekundarstufe I (und somit in die Sekundarstufe II) stattfinden.
Die Untersuchung zielt auf zwei Aspekte ab: Zum einen wird analysiert, inwiefern durch den Wechsel (nach der Sekundarstufe I zu einer Schulform mit Sekundarstufe II) Ungleichheiten modifiziert werden, die sich beim Übergang aus der Grundschule herausgebildet hatten: So erfolgt bei Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund oder mit Eltern niedriger Bildungsherkunft der Wechsel von der Grundschule ins Gymnasium oder die Gesamtschule vergleichsweise selten. Zum anderen wird untersucht, welchen Einfluss die unterschiedlich restriktiven Regeln der Bundesländer für den Schulwechsel (im Anschluss an die Sekundarstufe I) auf die Häufigkeit haben, mit der dieser stattfindet. Aus der Kombination dieser beiden Aspekte ergibt sich, ob restriktive oder ob offene Strukturen des nachträglichen Übergangs zwischen den Schulformen eher geeignet sind, den zunächst geringen Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund oder mit Eltern niedriger Bildungsherkunft zu erhöhen.
Bei den bisherigen Studien zum Bildungsaufstieg lag der Fokus auf dem Einfluss der sozialen Herkunft, wobei widersprüchliche Ergebnisse erzielt wurden. Befunde zu den Auswirkungen von ethnischer Herkunft und bundeslandspezifischen Regeln gab es aber bislang ebenso wenig wie für die in dieser Untersuchung betrachtete Alterskohorte.
Zunächst stellen die Autorinnen die unterschiedlichen Regelungen der Bundesländer hinsichtlich des nachträglichen Übergangs in eine zur (Fach-) Hochschulreife führende Schule vor. Hierbei dienen die Länder Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern als Beispiele, die differenziert betrachtet werden, da sie diesbezüglich besonders deutliche Unterschiede aufweisen sollen.
Die Untersuchung verwendet Daten des SOEP (Sozioökonomisches Panel) der Jahre 2000 bis 2011. Auf diese Weise gehen Daten der Geburtsjahrgänge 1983 bis 1993 in die Untersuchung ein; der Studie liegen die Angaben für diese Gruppe zum Schulbesuch bis zum Alter von 18 – 20 Jahren zugrunde.
Hinsichtlich der Auswertung wird zwischen konditionaler und unkonditionaler Perspektive unterschieden: Eine unkonditionale Analyse betrachtet alle Schülerinnen und Schüler, für die Daten zum besuchten Schultyp zu Beginn der Sekundarstufen I und II vorliegen. Das sind bundesweit 2.099 Befragte, auf die 4 näher betrachteten Bundesländer entfallen davon 1.167. Bei der konditionalen Analyse hingegen werden nur die Zahlen verwandt, die für Schülerinnen und Schüler vorliegen, welche zu Beginn der Sekundarstufe I auf eine Haupt-, Real- oder Gesamtschule gingen. Dies betraf in Deutschland 1.245 Befragte; auf die vier Bundesländer entfallen 697 Personen.
Im Hinblick auf die Feststellung der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler verwendet man den allgemeinbildenden Schulabschluss der Eltern. Hierbei gilt als entscheidendes Kriterium, ob mindestens ein Elternteil die (Fach-) Hochschulreife erreicht hat.
Darüber hinaus werteten die Autorinnen die mit dem SOEP-Jugendfragebogen ermittelten Antworten von 16- und 17-Jährigen auf Fragen nach dem höchsten angestrebten Schulabschluss aus, um die Bildungsaspiration zu erfassen.
Die Daten wurden mit multiplen logistischen Regressionsanalysen ausgewertet. Zu Fragen der Aufstiegsmobilität wurden fünf Modelle berechnet, wobei die Modelle 1 – 4 sich ausschließlich auf die 4 ausgewählten Bundesländer beziehen; in das fünfte Modell gehen die Daten für ganz Deutschland ein. Das erste Modell verwendet neben den Indikatoren für die Bundesländer und dem Erhebungsjahr Daten zur Bildung der Eltern und dem Migrationshintergrund; Modell 2 bezieht den in der Sekundarstufe I besuchten Schultyp und die Durchschnittsnoten (Deutsch, Mathematik) ein. Modell 3 schließlich berücksichtigt mögliche Interaktionen zwischen der Bildungsherkunft und den Bundesländern in Bezug auf den Bildungsaufstieg, während Modell 4 die Effekte für Interaktionen zwischen Bundesländern und den Migrationshintergrund darlegt. Abschließend prüft Modell 5 für die Bundesrepublik, welchen Einfluss Bildungsherkunft und Migrationshintergrund auf den Bildungsaufstieg haben, wobei Durchschnittsnote und die in der Sekundarstufe I besuchte Schulart als Kontrollvariablen dienen.
Um festzustellen, ob schulische Aufstiege während der Sekundarstufe zu einer Verringerung von Bildungsungleichheiten führen, werden aus unkonditionaler Perspektive Herkunftseffekte (Bildungsherkunft, Migrationshintergrund) zu Beginn der Sekundarstufe I mit denjenigen in der Sekundarstufe II verglichen. Dabei werden auf der Basis logistischer Regressionsmodelle Wahrscheinlichkeiten dafür ermittelt, ob Jugendliche aus niedriger oder hoher Bildungsherkunft jeweils die Sekundarstufe I in Gymnasien und die Sekundarstufe II in Gymnasien oder Fachoberschulen besuchen. Die gleiche Berechnung erfolgt im Hinblick auf den Migrationshintergrund. Diese Wahrscheinlichkeiten werden für die Sekundarstufen I und II verglichen, sowohl für die Bundesrepublik als auch für die 4 Bundesländer.
Das inhaltliche Gerüst für die statistischen Untersuchungen bilden 11 Hypothesen zu Aufstiegsentscheidungen in der Sekundarstufe, zur Ungleichheitsentwicklung im Bildungsverlauf, zum Einfluss bundeslandspezifischer Rahmenbedingungen auf schulische Aufstiege und die Entwicklung von Bildungschancen. Den Hypothesen liegen theoretische Ansätze zugrunde, welche auf die Erklärungen der Ursachen von Bildungsungleichheiten abzielen. Dabei wird einerseits auf die Ressourcenausstattung des Elternhauses abgehoben, andererseits auf die Bildungsaspirationen und die damit zusammenhängenden subjektiv rationalen Laufbahnentscheidungen.
Die Auswertungen der bundesländerspezifischen Regelungen zum Übergang ergeben, dass der Übergang in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen leichter möglich ist als in Baden-Württemberg, die höchsten Anforderungen – v.a. hinsichtlich des Wechsels von Hauptschulabsolventen ins Gymnasium – stellt Bayern.
Die vergleichende Untersuchung verdeutlicht, dass nicht in allen Bundesländern die gleichen Schulformen bestehen, welche zu einer (Fach-) Hochschulreife führen: Lediglich das Gymnasium ist in allen Bundesländern vertreten; die Gesamtschule spielt in Nordrhein-Westfalen eine nennenswerte Rolle, fehlt aber in Bayern völlig auch Fachgymnasien fehlen in Bayern, während es in Baden-Württemberg keine Fachoberschulen gibt. Da die bayerischen Fachoberschulen kaum Möglichkeiten bieten, einen über die Fachhochschulreife hinausgehenden Abschluss zu erlangen, besteht auch in dieser Hinsicht in Bayern eine Restriktion für Schüler, welche nach Abschluss der Sekundarstufe I wechseln.
Die Auswertungen zu den Daten der Bildungsaspirationen von 16- oder 17-jährigen Jugendlichen zeigen, dass die (Fach-) Hochschulreife als gewünschter Abschluss von Schülerinnen und Schülern der Hauptschule seltener, der Real- und Gesamtschule häufiger und der Gymnasien beinahe immer genannt wird. Auffällig ist, dass die Bildungsaspirationen von Haupt- und Realschülern in Bayern (also dem Land mit den restriktivsten Schulwechselbedingungen) geringer sind als in den anderen untersuchten Bundesländern.
Im Gegensatz zu älteren Untersuchungen stellen die Autorinnen für die Geburtskohorte 1983 – 1993 des SOEP dar, dass schulische Aufstiege häufiger sind als schulische Abstiege. Dies leiten sie aus der Verteilung der Schülerinnen und Schüler auf die unterschiedlichen Schulformen jeweils zu Beginn der Sekundarstufen I und II ab: So besuchten in Deutschland zu Beginn der Sekundarstufe I ca. 40 Prozent der erfassten Schülerinnen und Schüler das Gymnasium, zu Beginn der Sekundarstufe II jedoch 45 Prozent. Dabei bleibt in Bayern und NRW der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die das Gymnasium besuchen, in den Sekundarstufen I und II annähernd gleich, in Baden-Württemberg und Niedersachsen hingegen steigert sich der Anteil der Gymnasiasten in der Sekundarstufe um ca. 12 bzw. 18 Prozentpunkte. Nimmt man den Anteil der Fachoberschüler hinzu, dann erhöht sich die Zahl der Schüler, die einen (Fach-) Hochschulabschluss erwerben können, in allen untersuchten Bundesländern um 7,8 (Bayern) bis 25,5 (Niedersachsen) Prozentpunkte.
Im Rahmen der konditionalen Analyse der 697 Datensätze aus den 4 Bundesländern – bei der die Daten von Bayern als Bezugsgröße dienen – zeigt sich für das Berechnungsmodell 1, dass die Aufstiegschancen in Bayern niedriger sind als in den anderen drei Bundesländern und dass Jugendliche aus Elternhäusern mit höherer Bildung selbst höhere Aufstiegschancen haben als andere Jugendliche. Das Ergebnis bezüglich des Einflusses der Bildung der Eltern erweist sich im Rahmen von Modell 5 als auf ganz Deutschland übertragbar. Der Einfluss der Bildungsherkunft soll nach den Berechnungen von Modell 1 im Bildungsverlauf deutlich abnehmen. Dabei unterscheiden sich die Aufstiegschancen von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund während der Sekundarstufen in den 4 Bundesländern nicht (bzw. je nach Berechnungsmodell kaum) signifikant. Zieht man jedoch alle 1.245 für Deutschland vorliegenden Datensätze heran, dann ist ein signifikanter Bildungsaufstieg bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund erkennbar.
Die Modelle 2 und 4 liefern keine bzw. nur wenig signifikante Daten und auch bei Modell 3 ergibt sich nur ein signifikantes Ergebnis: In Baden-Württemberg ist der Einfluss der elterlichen Bildung auf den Bildungsaufstieg geringer als in Bayern. Das widerspricht der Annahme der Autorinnen, dass die schulischen Aufstiege in Bayern aufgrund der dortigen stärkeren Bindung an schulische Leistungen weniger stark von der sozialen Herkunft abhängen sollten. Die Autorinnen halten es für möglich, dass der breite Ausbau von beruflichen Gymnasien in Baden-Württemberg sowohl Kindern aus niedriger wie auch aus höher gebildeten Familien zugute kommt.
Ob schulische Aufstiege mit einer Verringerung von Ungleichheiten einhergehen, beantworten die Autorinnen widersprüchlich: In der Sekundarstufe I ist die Wahrscheinlichkeit für den Besuch einer höheren Schulform für Kinder (ohne Migrationshintergrund) von höher gebildeten Eltern 2,1 mal höher als für Kinder bildungsferner Familien. In der Sekundarstufe II beträgt dieser Wert nur noch 1,8. Für die untersuchten Bundesländer liegen die entsprechenden Zahlen für die Sekundarstufe I zwischen 3,2 (Bayern) und 2,3 (NRW), für die Sekundarstufe II zwischen 2,6 (Bayern) und 1,5 (Niedersachsen), in beiden Sekundarstufen ist der Einfluss der Bildungsherkunft also in Bayern am höchsten. Dabei ist der Rückgang der Ungleichheit im Rahmen des Bildungsaufstiegs in Bayern und NRW vergleichsweise gering, für Baden-Württemberg und Niedersachsen vergleichsweise groß. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass in die Berechnung nicht die in NRW verbreiteten Gesamtschulen eingingen. Auf der Ebene der 95%-Konfidenzintervalle zeigen sich zudem deutliche Überlappungen, so dass der Einfluss der Bildungsherkunft unsicherer ist als die oben angegebenen Zahlen andeuten. Auch sind die Unterschiede zwischen den Bundesländern für die Sekundarstufe I nicht statistisch signifikant; lediglich bei der Sekundarstufe II sind die für Baden-Württemberg und Niedersachsen ermittelten Werte signifikant. Insgesamt kann aber festgehalten werden, dass sich die Bildungsungleichheit für Schülerinnen und Schüler mit niedrigerem Bildungshintergrund bezüglich der Möglichkeit des Schulwechsels zumindest nicht verschärft.
Aus den bundesweit erhobenen Daten des SOEP leiten die Autorinnen für Jugendliche, deren Eltern keine (Fach-) Hochschulreife erworben haben, ab, dass die Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium in der Sekundarstufe I zu besuchen, im Falle eines Migrationshintergrundes signifikant niedriger ist als bei Kindern ohne Migrationshintergrund. Bei den entsprechenden Daten für die Sekundarstufe II ist kein Unterschied im Hinblick auf den Migrationshintergrund erkennbar, was zeigen würde, dass die Jugendlichen mit Migrationshintergrund aufgeholt hätten. Doch auch hier überlappen sich die 95%-Konfidenzintervalle, so dass keine zweifelsfreie statistische Absicherung des Befundes möglich ist. Bei der Differenzierung nach Bundesländern gibt es nur ein statistisch signifikantes Ergebnis: in der Sekundarstufe I ist die Wahrscheinlichkeit für Kinder ohne Migrationshintergrund, ein Gymnasium zu besuchen, in Niedersachsen nur etwa halb so groß ist wie für jene mit Migrationshintergrund. Auch hier deutet sich für die Sekundarstufe II ein erhebliches Aufholen der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund an, jedoch verhindert auch in diesem Fall das Überlappen der 95%-Konfidenzintervalle einen sicheren statistischen Nachweis. In den anderen 3 untersuchten Bundesländern gibt es keine Hinweise, dass sich die Wahrscheinlichkeit des Besuchs einer zur (Fach-) Hochschulreife führenden Schule für Jugendliche mit bzw. ohne Migrationshintergrund für Sekundarstufe I und II spürbar unterscheidet.
Betrachtet man mögliche Faktoren (Migrationshintergrund, Bildungsstand der Eltern) für die Ungleichheit beim Übergang in die Sekundarstufe I, so scheint die Wahrscheinlichkeit einer nachträglichen Korrektur des Bildungsganges für die Gruppe von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund eher zu bestehen als bei Jugendlichen aus Familien mit niedrigem Bildungshintergrund. Die Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind allerdings nur dann die Gewinner, wenn man sie mit Jugendlichen des gleichen Bildungshintergrundes vergleicht.
Bei dem frühen Wechsel aus der Grundschule in die Sekundarstufe I gehen v.a. Schülerinnen und Schüler, welche Familien mit Migrationshintergrund oder niedriger gebildeten Elternhäusern entstammen, vergleichsweise selten auf Schulen, welche die (Fach-) Hochschulreife ermöglichen. Daher kommt der Frage nach der Möglichkeit einer Korrektur dieser Ungleichheit im Anschluss an die Sekundarstufe I eine große Relevanz zu, die – dem föderalen Charakter des Bildungswesens entsprechend – im Hinblick auf ihre bundeslandspezifische Differenzierung zu untersuchen ist. Dass die Korrektur die Ungleichheiten nicht verstärkt, sondern tendenziell abbaut – bei der Gruppe mit Migrationshintergrund stärker als bei der Gruppe aus Familien mit niedrigerem Bildungshintergrund – ist ein wichtiger Befund. In Bezug auf die untersuchten Bundesländer bestehen Unterschiede: So erweist sich Bayern als das Land, welches im Vergleich die restriktivere Bedingungen für einen schulischen Aufstieg hat, was sich mit vergleichsweise niedrigen Aufstiegsaspirationen, geringer Aufstiegsmobilität und starkem Einfluss der Bildungsherkunft auf die Schulwahl verbindet. Damit erweist sich das Design einer bundeslandspezifischen Betrachtung des Bildungsaufstiegs als sinnvoll gewählt. Auch die Analyse einer vergleichsweise jungen Geburtskohorte erhöht die Relevanz der Untersuchung.
Andererseits gibt es auch Schwächen: Durch die Verwendung der SOEP-Daten ist die Fallzahl – wie die Autorinnen am Beispiel der ethnischen Gruppen selbst anmerken – so klein, dass sich die Frage ihrer Repräsentativität stellt. Dieses Problem dürfte – v.a. bei konditionalen Analysen und Betrachtungen einzelner Bundesländer – auch für die Untersuchung als Ganzes gelten. Für zukünftige Analysen nennen die Autorinnen selbst einen Ausweg, nämlich die Heranziehung der Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS).
Auch die untersuchten Ungleichheiten selbst sind zu hinterfragen. Ist der Bildungsabschluss der Eltern wirklich ein verlässlicher Indikator für soziale Ungleichheiten? Wären das Familieneinkommen oder die Herkunft aus einem sozial benachteiligten Wohngebiet nicht auch wichtige Indikatoren (auch wenn die benutzte Datenquelle hierzu keine adäquaten Angaben macht)?
Ein weiteres Problem der Untersuchung ist, dass die statistischen Analysen zwar durchweg auf den ersten Blick plausible Befunde liefern. Eine Überprüfung der Ergebnisse durch Feststellung der Signifikanzniveaus oder der Abdeckung der 95%-Konfidenzintervalle schränkt die Aussagekraft der Zahlen aber in so vielen Fällen ein, dass letztlich nur wenige auf statistischem Wege ermittelte Befunde uneingeschränkte Gültigkeit beanspruchen können.
Daher ist der Eindruck von der Studie zwiespältig: Die Fragestellung ist wichtig und plausibel, die Ergebnisse werden aber spätestens dann zu überprüfen sein, wenn mit den NEPS-Erhebungen ein umfassenderer Datensatz vorliegt.
Ein schwer lösbares Problem – auch für zukünftige Untersuchungen – dürfte sein, dass die Bundesländer z.T. nur schwer miteinander vergleichbare Schulformen für die Sekundarstufe II vorsehen, lediglich das Gymnasium ist ubiquitär. Schon in Bezug auf die in NRW verbreiteten Gesamtschulen dürfte es Probleme geben, das Aufstiegsverhalten eindeutig zu analysieren, da hier nicht zwingend ein Schulwechsel die Voraussetzung für einen schulischen Aufstieg ist. Die in Bayern wiederum weit verbreiteten Fachoberschulen führen in der Regel lediglich zur Fachhochschul-, nicht jedoch zur allgemeinen Hochschulreife.
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