Fragestellungen der Studie:
Rezension zur Studie
El-Khechen, W., McElvany, N., Wolter, I. & Kessels, U. (2017). Was heißt „kannibalisch“, „foltern“ und „zerstören“? Psychologie in Erziehung und Unterricht, 64(2), 123–137.In der vorliegenden Studie wird untersucht, ob Mädchen und Jungen der vierten Jahrgangsstufe die Bedeutung von Wörtern mit geschlechtsbezogenen Konnotationen unterschiedlich gut kennen und ob solche Unterschiede im passiven Wortschatz bei Kindern mit und ohne Migrationshintergrund verschieden ausfallen.
Für die Gesamtstichprobe (n = 371) zeigt sich, dass Jungen in einem standardisierten Wortschatztest die Bedeutung von männlich konnotierten Wörtern besser kennen als Mädchen. Dagegen kennen Mädchen häufiger die Bedeutung weiblich konnotierter Wörter. Hinsichtlich der neutralen Wörter lassen sich keine signifikanten geschlechtsspezifischen Unterschiede feststellen. Allerdings sind die ermittelten Geschlechtsunterschiede nur bei den Kindern mit Migrationshintergrund (n = 230) nachweisbar, nicht hingegen bei den Kindern ohne Migrationshintergrund (n = 121).
Die Autorinnen folgern, dass Mädchen und Jungen bei der Sprachproduktion möglicherweise auch aufgrund unterschiedlicher Wortschatzkenntnisse auf verschiedene Inhalte des „mentalen Lexikons“ zugreifen. Dieser Erklärungsansatz ergänzt vorliegende Erkenntnisse zu geschlechtsspezifischen Unterschieden bei der Sprachproduktion, allerdings ist er nur für Kinder mit Migrationshintergrund tragfähig. Angesichts der Bedeutung des passiven Wortschatzes für schulisches Lernen und die Entwicklung der Lesekompetenz von Kindern mit Migrationshintergrund plädieren die Autorinnen für zielgruppenspezifische Interventionsmaßnahmen, die den Kontakt mit Objekten und Tätigkeiten, die nicht der eigenen Geschlechtsrolle entsprechen, fördern.
Wenngleich die Ergebnisse durchgängig den aufgestellten Annahmen entsprechen, stehen sie unter Vorbehalt, da der eingesetzte Wortschatztest nicht für die Studie entwickelt wurde und für die Untersuchung der Fragestellungen nicht optimal geeignet ist. Daneben ist die Stichprobe verhältnismäßig klein und nicht repräsentativ, sodass die Befunde nicht verallgemeinert werden können.
Das Beherrschen der deutschen Sprache gilt als zentrale Kompetenz für schulisches Lernen. Große Bedeutung wird einem umfangreichen Wortschatz zugeschrieben, der durch Erziehung und Sozialisation wie auch durch persönliche Interessen und Aktivitäten geprägt wird und in einen produktiven bzw. aktiven sowie einen rezeptiven bzw. passiven Teil differenziert werden kann. Ersterer bezieht sich auf die Bildung sinnvoller Äußerungen, während letzterer sich auf das Verständnis gesprochener und geschriebener Sprache bezieht (Graves, 2006).
In Studien zum aktiven Wortschatz wurde festgestellt, dass Mädchen und Jungen sich geschlechtsspezifisch äußern (Richter & Brügelmann, 1996; Stennes et al., 2005). Allerdings fehlen Untersuchungen, die geschlechtsspezifische Unterschiede im passiven Wortschatz in den Blick nehmen. Da Geschlechterrollenkonzepte der Eltern die geschlechtsspezifischen Aktivitäten der Kinder beeinflussen (Tenenbaum & Laeper, 2002; Tobin et al., 2010), folgern El-Khechen et al., auch der Wortschatz der Kinder könne geschlechtsspezifisch ausgerichtet sein. In diesem Zusammenhang verweisen sie auf Befunde, nach denen in Familien mit türkischem Migrationshintergrund sowohl bei Eltern als auch bei Jugendlichen traditionellere Geschlechterrolleneinstellungen vorherrschen als in Familien ohne Migrationshintergrund (Diehl et al., 2009). Allerdings gebe es keine Belege für die Geschlechterrollenvorstellungen von jüngeren Kindern. Weiterhin sei der Wortschatz bei bilingual aufwachsenden Kindern in der einzelnen Sprache geringer als bei Kindern, in deren Familie lediglich eine Sprache gesprochen wird (Bialystok, 2009).
Aus diesen Befunden und dem vorliegenden Forschungsdesiderat leiten die Autorinnen folgende Hypothesen ab: Die Wortschatzkenntnisse von Jungen sind in Bezug auf männlich konnotierte Wörter größer als die von Mädchen. Äquivalent dazu wird angenommen, dass Mädchen größere Wortschatzkenntnisse bezüglich weiblich konnotierter Wörter aufweisen. Eine weitere Hypothese ist, dass Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund geringere rezeptive Wortschatzkenntnisse im Deutschen haben als Kinder ohne Migrationshintergrund. Außerdem nehmen die Autorinnen an, dass Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der Kenntnis der Bedeutung von männlich bzw. weiblich konnotierten Wörtern bei Kindern mit Migrationshintergrund größer sind als bei Kindern ohne Migrationshintergrund. Für die Prüfung dieser Hypothese werden sowohl die Gesamtgruppe aller Kinder mit Migrationshintergrund untersucht als auch fokussiert die Gruppe der Kinder mit türkischem Migrationshintergrund.
Die Daten, auf die die Autorinnen der Studie zugreifen, entstammen der Studie POTential ErstSPRACHE aus dem Jahr 2011. Am Wortschatztest nahmen 375 Kinder aus 24 vierten Klassen aus Dortmund und Umgebung teil, wobei für 371 Informationen über das Geschlecht vorliegen (170 Mädchen und 201 Jungen). Zur Operationalisierung des Migrationshintergrunds wurde die in der Familie gesprochene Sprache erfragt. Insgesamt 250 Kinder weisen einen Migrationshintergrund auf (davon 230 mit türkischem Migrationshintergrund), 121 haben keinen Migrationshintergrund. Nach fallweisem Ausschluss beziehen sich die Analysen auf 371 Kinder. Jungen und Mädchen waren in beiden Gruppen etwa gleich verteilt.
Als Wortschatztest wurde ein Subtest aus dem verbalen Teil eines kognitiven Fähigkeitstests für 4. bis 12. Klassen (KFT 4-12+ R) von Heller und Perleth (2000) eingesetzt. In dem Test sollen die Kinder für jedes der 25 Wörter jeweils ein Synonym oder einen Oberbegriff aus fünf Alternativen auswählen (z. B. ein Synonym für das Wort „ordentlich“ aus folgenden Alternativen auswählen: schlampig, sauber, abgetragen, ärmlich oder modisch).
Für die Kategorisierung der Wörter als männlich, weiblich oder neutral wurden Merkmale aus der Literatur herausgearbeitet, die Eigenschaften, Interessen und Aktivitäten beschreiben, die geschlechterspezifisch konnotiert sind. Spezifisch weibliche Indikatoren sind demnach beispielsweise Emotion und Expressivität; Indikatoren, die in der Fachliteratur als männlich konnotiert aufgeführt werden, sind u. a. Maskulinität und Dominanz. Mithilfe der Indikatoren wurden die Wörter von drei der Autorinnen als weiblich oder männlich konnotiert oder geschlechtsneutral eingeordnet. Wenn für ein Wort mindestens zwei übereinstimmende Urteile vorlagen, wurden diese dementsprechend kategorisiert. Sieben Wörter wurden als männlich, vier als weiblich konnotiert und elf als neutral eingestuft.
Für die empirischen Analysen wurden durchschnittliche Lösungshäufigkeiten der Wörtergruppen bestimmt und für die inferenzstatistischen Analysen als abhängige Variable betrachtet. Bezüglich der Frage, ob Jungen und Mädchen systematisch unterschiedliche geschlechtsspezifische Wortschatzkenntnisse aufweisen, wurde eine multivariate Varianzanalyse über die drei abhängigen Variablen (männlich/weiblich/neutral konnotierte Wörter) und das Geschlecht durchgeführt. Außerdem wurden univariate F-Tests durchgeführt. Zur Untersuchung der Frage nach Geschlechtsunterschieden im Wortschatz bei Mädchen und Jungen mit und ohne Migrationshintergrund wurde eine dreifaktorielle Varianzanalyse mit den jeweils zweistufigen Faktoren Geschlecht, Migrationshintergrund und einem Messwiederholungsfaktor (männlich/weiblich konnotierte Wörter) berechnet.
Mädchen und Jungen unterscheiden sich bezüglich der mittleren Lösungshäufigkeit im Wortschatztest nicht signifikant (t(369) = 0.92, n. s.). Erwartungskonform schneiden die Kinder ohne Migrationshintergrund signifikant besser ab als Kinder mit Migrationshintergrund (t(369) = 7,63, p < .01). Dieses Ergebnis zeigt sich auch, wenn die Kinder ohne Migrationshintergrund ausschließlich mit den Kindern mit türkischem Migrationshintergrund verglichen werden (t(214) = 7,46, p < .01).
Beim Vergleich von Mädchen und Jungen der gesamten Stichprobe hinsichtlich geschlechtsspezifischer Wortschätze ergibt die multivariate Varianzanalyse einen signifikanten Effekt des Faktors Geschlecht (F(3, 367) = 7,52, p < .001). Die univariaten F-Tests unterstützen die Annahme, dass Jungen in der Gesamtgruppe einen größeren Wortschatz bezüglich männlich konnotierter Wörter aufweisen (F(1, 260) = 9,44, p < .01) und Mädchen über einen größeren Wortschatz hinsichtlich weiblich konnotierter Wörter verfügen (F(1, 369) = -4,44, p < .05). Allerdings zeigen sich keine signifikanten Geschlechtsunterschiede in der Gruppe ohne Migrationshintergrund.
Hinsichtlich der Frage nach den Wortschätzen bei Kindern mit und ohne Migrationshintergrund bestätigt sich durch die dreifaktorielle Varianzanalyse, dass der Migrationshintergrund einen signifikanten Effekt auf den Wortschatz hat (F(1, 369) = 53,91, p < .001). Bezüglich des Geschlechts zeigt sich bei den Kindern mit Migrationshintergrund eine signifikante Interaktion zwischen dem Faktor Geschlecht und männlich/weiblich konnotierte Wörter, d. h. ein Vorteil der Jungen bei männlich konnotierten Wörtern sowie ein Vorteil der Mädchen hinsichtlich weiblich konnotierter Wörter (F(1, 369) = 11,04, p < .01). Außerdem ergibt sich eine signifikante Dreifachinteraktion der Faktoren Geschlecht, Migrationshintergrund und männlich/weiblich konnotierte Wörter (F(1, 369 = 9,81, p < .01): Die Gruppe der Kinder mit Migrationshintergrund unterscheidet sich zu den Kindern ohne Migrationshintergrund erwartungskonform: In der Gruppe der Kinder ohne Migrationshintergrund kann kein signifikanter Unterschied im passiven Wortschatz festgestellt werden. Bei den Kindern mit Migrationshintergrund zeigt sich im Gegensatz dazu, dass Mädchen deutlich weniger männlich konnotierte Wörter als Jungen und gleichzeitig deutlich mehr weiblich konnotierte Wörter als Jungen kennen.
Die Autorinnen folgern, dass die in vorherigen Studien festgestellten Geschlechtsunterschiede im aktiven Wortschatz in der Grundschule nicht ausschließlich auf motivationale Gründe zurückzuführen sein könnten, sondern möglicherweise auch dadurch begründet seien, dass Mädchen und Jungen über unterschiedliche Wortschatzkenntnisse verfügten und die Kinder entsprechend auf verschiedene Inhalte ihres mentalen Lexikons zugriffen.
Bei der Interpretation der Daten müsse berücksichtigt werden, dass in dem Test der deutsche Wortschatz der Kinder geprüft wurde, was für die Kinder mit Migrationshintergrund im Gegensatz zu den Kindern ohne Migrationshintergrund die Zweitsprache abfragt. Darüber hinaus gebe es beispielsweise im Türkischen kein grammatisches Geschlecht, was für diese Kinder demnach eine andere Ausgangslage darstelle. Unklar bleibe demnach, ob die stärkere Geschlechtsspezifik bei Kindern mit Migrationshintergrund nur im Deutschen oder auch in ihrer Erstsprache vorliege.
Weiterhin merken die Autorinnen an, dass die weiblich konnotierten Wörter eher leicht bis mittelschwer waren und dies der Grund für das bessere Abschneiden bezüglich dieser Wörter sei. Darüber hinaus wurde der Test ursprünglich nicht als reiner Wortschatztest konzipiert, sondern erfordere außerdem kognitive Fähigkeiten. Des Weiteren war die Anzahl der weiblich konnotierten Wörter insgesamt sehr gering (vier Wörter). Daher sollte in zukünftigen Untersuchungen aufbauend auf diesen ersten Hinweisen mit größeren Itemgruppen gearbeitet werden.
Da die Stichprobe der Untersuchung vorwiegend Kinder aus sozial schwächeren Familien umfasst, sollte sie auf andere Stichproben ausgeweitet werden. In einer weiteren Studie würde es sich darüber hinaus anbieten, auch die Geschlechtsrollenorientierung und geschlechtstypisierende Erziehung in den Familien zu untersuchen, um Zusammenhänge mit den individuellen geschlechtsspezifischen Wortschatzkenntnissen herauszuarbeiten.
Für Kinder mit Migrationshintergrund seien die Ergebnisse insbesondere nachteilig, da gerade für diese Gruppe der rezeptive Wortschatz von hoher Bedeutung sei und sich bei ihnen ohne ausreichenden Wortschatz geschlechtsspezifische Benachteiligungen stärker ausbilden könnten. Die Autorinnen regen an, für diese Gruppe Interventionsmaßnahmen anzubieten, die den Kontakt mit Objekten und Tätigkeiten, die nicht der eigenen Geschlechtsrolle entsprechen, fördern, wodurch nicht nur den Wortschatz vergrößert, sondern auch der Erfahrungshorizont der Kinder erweitert würde.
Zum Hintergrund: Das Untersuchungsthema ist unter mehreren Perspektiven bedeutsam. Im Kontext von Gleichstellungspolitik, Gender Mainstreaming und gendersensibler Bildung sollten Schülerinnen und Schüler (unabhängig von der Herkunft) auch im sprachlichen Kontext ein egalitäres Geschlechterrollenverständnis besitzen oder entwickeln (vgl. Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2015; European Commission, 2015). Jenseits dieser ideologischen Zielsetzung ist, wie die Autorinnen konstatieren, das Beherrschen der deutschen Sprache wichtig für schulische Lernprozesse und für die Entwicklung von Lesekompetenz insbesondere von Kindern mit Migrationshintergrund, die Deutsch häufig als Zweitsprache erlernen. Angesichts der andernorts belegten differenten Geschlechterrollenvorstellungen von Familien mit und ohne Migrationshintergrund ist es aufschlussreich, den Wortschatz von Kindern mit Migrationshintergrund gezielt in den Blick zu nehmen. Schließlich ist hinsichtlich der Untersuchung des rezeptiven Wortschatzes von Kindern im Grundschulalter ein Forschungsdesiderat zu konstatieren, sodass die Untersuchung in mehrfacher Hinsicht interessante Erkenntnisse verspricht. Allerdings hätten die Autorinnen detaillierter auf die Definition und Bedeutung des rezeptiven Wortschatzes eingehen können, um herauszuarbeiten, warum der rezeptive Wortschatz eine wichtige Rolle spielt.
Die Autorinnen vermuten, dass sich geschlechtsspezifische Rollenvorstellungen im Wortschatz von Mädchen und Jungen niederschlagen, da sich Kinder in unterschiedlichen Erziehungs- und Sozialisationsumgebungen (egalitär/traditionell) verschiedene Rollenvorstellungen aneignen würden. Diese Vorüberlegung ist inhaltlich angemessen, in der Untersuchung wird ihr aber nicht nachgegangen, indem beispielsweise das Umfeld der Kinder ergründet wird.
Den Forschungsstand legen die Autorinnen ausführlich dar. Die Forschungsfragen und Hypothesen, die sie für ihre Untersuchung aufstellen, entspringen den theoretischen Vorannahmen und den Ergebnissen der präsentierten Forschungsarbeiten. Allerdings ist die Hypothese, dass Kinder mit Migrationshintergrund einen geringeren rezeptiven Wortschatz als Kinder ohne Migrationshintergrund haben, zwar grundsätzlich interessant, aber für den vorliegenden Kontext eher irrelevant, da sie nicht geschlechtsspezifisch ist und sich daher von der eigentlichen Fragestellung abhebt.
Zum Design: Der Wortschatztest wird im Beitrag knapp erläutert und entstammt einem standardisierten kognitiven Fähigkeitstest (KFT 4—12+ R, Heller & Perleth, 2000). Zwar handelt es sich um einen etablierten Test, aber da er das zentrale Instrument der Datenerhebung darstellt, wäre eine nähere Beschreibung wünschenswert gewesen.
Zumal der Test für die Untersuchungszwecke nicht optimal geeignet ist: Zum einen testet er nicht nur den Wortschatz, sondern auch kognitive Fähigkeiten. Zum anderen führte die nachträgliche Kategorisierung der Wörter in „männlich, weiblich oder neutral konnotiert“ dazu, dass lediglich vier Wörter weiblich, dagegen sieben als männlich und elf als neutral eingeordnet wurden. Die Kategorisierung erfolgte mittels zuvor entwickelter literaturbasierter Indikatoren, wobei unklar ist, welche Wörter welchen Indikatoren zugeordnet wurden. Die Interkoderreliabilität ist fraglich, da die Zuordnung bereits bei einer Übereinstimmung von zwei der drei Autorinnen, welche die Kategorisierung unabhängig voneinander vornahmen, erfolgte. Offen bleibt auch, inwiefern die Wörter „kannibalisch“, „foltern“ und „zerstören“, die im Titel genannt werden, eingesetzt wurden und welche Konnotation ihnen zugeordnet waren. Nicht zuletzt angesichts des unterschiedlichen Schwierigkeitsgrads der Wörter und der höheren Vertrautheit mit den weiblichen Wörtern erscheint es zweifelhaft, dass die Konstrukte männlich bzw. weiblich konnotierter Wortschatz mit dem eingesetzten Verfahren valide erfasst wurden.
In der Untersuchung wurden zusätzliche Informationen erfragt, wie Geschlecht, Alter, Migrationshintergrund und sozioökonomischer Familienhintergrund. Die Stichprobe ist nicht repräsentativ, da sie sich vorwiegend aus Kindern aus Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status aus dem Raum Dortmund und Umgebung zusammensetzt.
Zu den Ergebnissen: Die Forschungsfragen und Hypothesen der Untersuchung werden klar beantwortet, die Ergebnisse decken sich mit den Vorannahmen der Autorinnen und passen zu vorliegenden Befunden. Über die Geschlechterrollenvorstellungen in den Familien werden jedoch durch die Erhebung keine Informationen geliefert. Es ist daher unklar, woraus die differenten Ergebnisse bezüglich der geschlechtsspezifischen Ausprägungen im Wortschatz resultieren.
Die Autorinnen empfehlen angesichts der geschlechtsspezifischen Unterschiede im Wortschatz bei Kindern mit Migrationshintergrund Interventionsmaßnahmen für Mädchen und Jungen, die den Kontakt mit Objekten und Tätigkeiten, die nicht der eigenen Geschlechtsrolle entsprechen, fördern. Jene Maßnahmen könnten, so die Autorinnen, in der Schule oder bereits in Kindergärten eingeführt werden. Diese Schlussfolgerung unterstellt allerdings Kausalzusammenhänge, die aus der Untersuchung nicht eindeutig hervorgehen, da, wie bereits oben beschrieben, keine familiären Hintergründe erfragt wurden. Weitere Forschung sollte daher Zusammenhänge zwischen geschlechtsspezifischen Wortschätzen und dem familiären Erziehungs- und Sozialisationskontext in den Blick nehmen. Nichtsdestotrotz entspricht die Empfehlung, beispielsweise Lesetexte mit Themen mit egalitärem Rollenverständnis und weniger traditionellen Rollenstereotypen zu präferieren, bildungspolitischen Vorgaben (z. B. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2015).
In manchen Sprachen gibt es darüber hinaus kein grammatisches Geschlecht. Daher sollten, wie auch die Autorinnen konstatieren, nachfolgende Studien beispielsweise untersuchen, ob und wie der in verschiedenen Sprachen variierende Genus von Substantiven, der mit unterschiedlichen Konnotationen verbunden sein kann, die Kenntnis der Wörter von Jungen und Mädchen sowohl in Erst- als auch in der Zweitsprache beeinflusst.
Für Politik und Praxis wird durch die vorliegende Studie noch einmal die Bedeutsamkeit sowohl der Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund als auch der Vermittlung von egalitären Rollenkonzepten unterstrichen. Insofern ist der Forderung der Autorinnen zuzustimmen, dass Lehrkräfte darauf achten sollten, möglichst keine Lesetexte o. Ä. mit überwiegend traditionellen Rollenkonzepten für den Unterricht auszuwählen.
Kultusministerium BW
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