Fragestellungen der Studie:
Rezension zur Studie
Bodensteiner, J. (2016). Selbstregulationsstrategien bei der Unterrichtsvorbereitung als Ressource für den Einstieg in den Lehrerberuf. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 63(4), 292–304.FIS BildungAngehende Lehrkräfte empfinden das neben dem Unterrichten anfallende Arbeitspensum, das u. a. die Unterrichtsplanung, das Erstellen und Korrigieren von Lernzielkontrollen sowie außerunterrichtliche Verwaltungsaufgaben umfasst, häufig als belastend, sie beklagen den resultierenden Mangel an Privatleben und wünschen sich Unterstützung bei der Aneignung geeigneter Strategien zur Bewältigung des Arbeitspensums.
Bodensteiner untersucht, inwiefern der Einsatz von Selbstregulationsstrategien bei der Unterrichtsvorbereitung durch angehende Lehrkräfte zu einer geringeren emotionalen Erschöpfung und in Folge zu einer höheren Zufriedenheit mit der Freizeit führt. Befragt wurden 189 angehende Lehrkräfte von 9 bayerischen Studienseminaren für das Lehramt an Gymnasien (6) und Grundschulen (3), die an drei Zeitpunkten (t1-t3) standardisierte Fragebögen zum Einsatz von Selbstregulationsstrategien (t1), zur emotionalen Erschöpfung (t2) und zur Zufriedenheit mit der Freizeit (t3) bearbeiteten.
Im Ergebnis sagt ein höherer Einsatz von Selbstregulationsstrategien eine geringere emotionale Erschöpfung vorher; diese erweist sich als Prädiktor für eine höhere Zufriedenheit mit der Freizeit. Eine Analyse auf Grundlage längsschnittlicher Strukturgleichungsmodelle erbringt, dass der Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Selbstregulationsstrategien und der Zufriedenheit mit der Freizeit vollständig durch die Ausprägung der emotionalen Erschöpfung vermittelt wird, wobei die Schulart des angestrebten Lehramts (Grundschule, Gymnasium) keine Rolle spielt.
Angesichts einiger Schwächen der Untersuchungsanlage sind die Ergebnisse eingeschränkt aussagekräftig, daher können die ermittelten Auswirkungen des Einsatzes von Selbstregulationsstrategien bei der Unterrichtsvorbereitung auf das Ausmaß an emotionaler Erschöpfung und an Zufriedenheit mit der Freizeit von angehenden Lehrkräften nicht als gesichert gelten.
Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.
Reflexionsfragen für Lehrkräfte:
Reflexionsfragen für Schulleitungen:
Ausgangslage der Untersuchung von Bodensteiner sind empirische Befunde, nach denen angehende Lehrkräfte sehr viel Zeit für Tätigkeiten außerhalb ihres eigenen Unterrichtens aufwenden (z. B. zur Vor- und Nachbereitung, zur Entwicklung und Korrektur von Lernzielkontrollen sowie zur Erledigung administrativer Erfordernisse). Sie beklagen den resultierenden Mangel an Privatleben und wünschen sich Unterstützung bei der Aneignung geeigneter Strategien zur Bewältigung des Arbeitspensums.
Unter Bezug auf die Conservation-of-Resources-(COR)-Theorie (Hofboll, 2002) argumentiert die Autorin, dass durch den Mangel an freier Zeit die Regeneration von Ressourcen behindert werde, die erforderlich seien, um den Stress aufgrund der hohen Arbeitslast adäquat zu bewältigen. Angesichts dessen stellt sich die Frage, inwiefern Selbstregulationsstrategien als Ressourcen für Wohlbefinden dienen können, da durch ihren Einsatz die Arbeitsweise optimiert und die Arbeitszeiten verkürzt würden, was zu einem geringeren Belastungserleben und mehr Zeit für das Privatleben führe. Auf diese Weise werde einem drohenden Verlust von Ressourcen entgegengewirkt, da andernfalls durch das Zusammenwirken von hoher Arbeitslast und deren inadäquater Bewältigung eine Ressourcenverlustspirale, Stress und Burnout entstehen könnten.
Bodensteiner legt für ihre Untersuchung ein Prozessmodell der Selbstregulation bei der Unterrichtsvorbereitung mit den Phasen „Planen“, „Durchführen“ und „Reflektieren“ zugrunde, das an Modellen selbstregulierten Lernens orientiert ist und von ihr andernorts bereits validiert wurde (Mattern & Bauer, 2014). In der Planungsphase können Selbstregulationsstrategien wie das Setzen realistischer Ziele sowie das Erstellen von Handlungsplänen unter Berücksichtigung vielfältiger Rahmenbedingungen angewendet werden. In der Durchführungsphase sind Maßnahmen der Selbstmotivation, der Strukturierung des Arbeitsumfelds und der Vermeidung von Prokrastination mögliche Selbstregulationsstrategien. Beim Reflektieren dienen der Selbstregulation etwa die Selbstevaluation von Arbeitsweise und -ergebnissen sowie die Bildung von Vorsätzen.
Als Indikatoren von Wohlbefinden, das durch den Einsatz von Selbstregulationsstrategien bei der Unterrichtsvorbereitung befördert werden soll, wird einerseits emotionale Erschöpfung, die durch Zeitdruck bzw. Zeitmangel (mit)bedingt ist, in den Blick genommen und andererseits die Zufriedenheit der angehenden Lehrkräfte mit ihrer Freizeit, da ausufernde außerschulische Unterrichtsvorbereitung zu einem Mangel an Privatleben führen können.
Die Beziehung zwischen den Indikatoren des Wohlbefindens spezifiziert die Autorin unter Bezug auf die COR-Theorie dahingehend, dass ein geringeres Ausmaß an emotionaler Erschöpfung die Zufriedenheit mit der Freizeit steigern sollte, da bei geringerer emotionaler Erschöpfung die vorhandene Freizeit besser zur Regeneration der in die Unterrichtsvorbereitung investierten Ressourcen genutzt werden könne. Infolgedessen sollte die emotionale Erschöpfung als Mediatorvariable die Beziehung zwischen dem Einsatz von Selbstregulationsstrategien und der Zufriedenheit mit der Freizeit vermitteln.
Geprüft wurde darüber hinaus, inwiefern die Schulart (Grundschule, Gymnasium) den Zusammenhang zwischen Selbstregulation bei der Unterrichtsvorbereitung und der Zufriedenheit mit der Freizeit moderiert.
Die vorliegende Untersuchung beruht auf Sekundäranalysen von Daten, die im Rahmen einer längsschnittlichen Interventionsstudie zur Förderung der Selbstregulation bei der Unterrichtsvorbereitung erhoben wurden. Die Stichprobe umfasst 189 angehende Lehrkräfte aus neun bayerischen Studienseminaren, sechs für das Lehramt an Gymnasien, drei für das Lehramt an Grundschulen; die Teilnahme an der Studie war für alle Mitglieder der beteiligten Studienseminare verpflichtend.
Die Teilnehmerinnen (80 %) und Teilnehmer (20 %) bearbeiteten an drei Messzeitpunkten
(t1-t3) im Abstand von je zwei Monaten standardisierte Fragebögen .
Neben Korrelationen wurden zur Überprüfung der angenommenen Mediation Strukturgleichungsmodelle berechnet, wobei die Komplexität des Messmodells durch Zusammenfassung von Items verringert wurde, um die Anzahl der zu schätzenden Parameter zu reduzieren. Dieses Vorgehen wird als adäquat erachtet, da das Strukturmodell, d. h. die Beziehungen zwischen den latenten Konstrukten im Fokus stünden und nicht das Messmodell. Angesichts fehlender Werte (im Durchschnitt 17 % pro Item) wurde die Full Information Maximum Likelihood-Methode (FIML) eingesetzt.
Die Skalenmittelwerte sind für Selbstregulation bei der Unterrichtsvorbereitung 2,76 (vierstufig, SD = 0,40), für Emotionale Erschöpfung 2,38 (vierstufig, SD = 0,61) und für Zufriedenheit mit der Freizeit 3,67 (siebenstufig, SD = 1,42). Korrelationen ergeben, dass ein stärkerer Einsatz von Selbstregulationsmechanismen tendenziell mit einer niedrigeren emotionalen Erschöpfung (r = -.42) wie auch mit einer höheren Zufriedenheit mit der Freizeit (r = .22) einhergeht, wobei eine niedrigere emotionale Erschöpfung ihrerseits mit einer höheren Zufriedenheit mit der Freizeit in Zusammenhang steht (r = -.52).
Die Überprüfung der angenommenen Mediation durch den Vergleich verschiedener Strukturgleichungsmodelle bestätigt die Annahme, dass ein größeres Maß an Selbstregulation zum Messzeitpunkt 1 eine geringere emotionale Erschöpfung zum Messzeitpunkt 2 und diese eine höhere Zufriedenheit mit der eigenen Freizeit zum Messzeitpunkt 3 voraussagt. Ein moderierender Effekt der Schulart (Grundschule, Gymnasium) lässt sich nicht nachweisen.
Bodensteiner wertet die Ergebnisse als Hinweis, dass Selbstregulationsstrategien eine Ressource zur Bewältigung eines hohen Arbeitspensums, wie es von angehenden Lehrkräften im Referendariat berichtet wird, darstellen und einen effektiven Umgang mit diesem Stressor ermöglichen können. Allerdings formuliert sie einige Einschränkungen, die geeignet sind, diese Schlussfolgerung in Frage zu stellen: Zum einen könne die postulierte Wirkrichtung grundsätzlich auch entgegengesetzt sein, zum anderen sei unsicher, ob die Arbeitszeiten bei höherem Einsatz von Selbstregulationsstrategien tatsächlich kürzer ausfallen, ob die Freizeit in Abhängigkeit vom Ausmaß emotionaler Erschöpfung tatsächlich anders genutzt werde und ob die angehenden Referendarinnen und Referendare aus gerade diesem Grund zufriedener mit ihrer Freizeit seien.
Des Weiteren verweist die Autorin auf mindestens drei methodische Einschränkungen: Trotz der längsschnittlichen Untersuchungsanlage und der verpflichtenden Teilnahme könnten Alternativerklärungen für die Ausprägung der Indikatoren des Wohlbefindens z. B. aufgrund des Einflusses von Drittvariablen (Ferien zwischen den Erhebungszeitpunkten etc.) nicht ausgeschlossen werden. Bei Fragebogenerhebungen lasse sich zudem nicht mit Bestimmtheit sagen, ob tatsächlich Verhalten und nicht nur Verhaltensintentionen gemessen werden. Schließlich sei ein zur Prüfung einer möglichen Kausalität informativeres Latent True Change Modeling aufgrund der geringen Stichprobengröße nicht möglich gewesen.
Bodensteiner schlussfolgert, dass die Befunde neben wissenschaftlicher Bedeutung auch praktische Relevanz hätten: Sie regt an, einer Forderung des Aktionsrats Bildung (Blossfeld et al., 2014) nachzukommen und die Vermittlung von Selbstregulationsstrategien als burnoutpräventive Maßnahme in die Ausbildung angehender Lehrkräfte zu integrieren. Hierzu sei bereits ein vielversprechendes situationsbasiertes Trainingskonzept entwickelt worden: Mattern (2012).
Zum Hintergrund: Bodensteiner konzipiert ihre Erhebung vor dem Hintergrund empirischer Befunde dazu, dass Referendarinnen und Referendare „enorme Zeitmengen“ für die unterrichtsnahe und unterrichtsferne Vorbereitung des Unterrichts aufwenden und infolgedessen einen Mangel an Privatleben beklagen. Unter Bezugnahme auf die Conservation-of-Resources-(COR)-Theorie (Hobfoll, 2002) wird die Annahme formuliert, dass Selbstregulationsstrategien zu effektiverer Arbeit verhelfen, und geprüft, ob aus einem höheren Einsatz von Selbstregulationsstrategien bei der Unterrichtsvorbereitung eine geringere emotionale Erschöpfung und eine höhere Zufriedenheit mit der Freizeit resultieren, was dann zu einem höheren Regenerationswert der Freizeit und schlussendlich einer geringeren Burnout-Gefahr führen soll.
Wenngleich der postulierte Zusammenhang zwischen Selbstregulation und effizienter Zeitnutzung plausibel anmutet, erscheint es nicht unmittelbar naheliegend, dass angehende Lehrkräfte bezüglich des Einsatzes von Selbstregulationsstrategien bei der Unterrichtsvorbereitung wesentliche Defizite aufweisen sollten, nicht zuletzt da Selbstregulation auch im Studium von Bedeutung ist. Jedoch unterscheidet sich Selbstregulation im Studium möglicherweise von zielführender Selbstregulation im Vorbereitungsdienst, der klar definierte, auch kurzfristig zu erledigende, ungeübte Pflichten und das rasche Einarbeiten in ein unbekanntes und dazu stark formalisiertes System erfordert.
Übergänge sind – auch in der Lehramtsausbildung – häufig mit neuen Anforderungen verbunden, für die vorhandene Kompetenzen nicht ausreichen oder mindestens adaptiert werden müssen. Darüber hinaus finden derartige Irritationen von Routine durch neue komplexe Anforderungen auch während des Berufslebens einer Lehrkraft, z. B. im Rahmen von Schulentwicklung oder Reformen aber auch in herausfordernden Situationen alltäglichen professionellen Handelns, statt und gehen mit einem erhöhten Ressourceneinsatz einher. Insofern wird mit der Untersuchung möglicherweise ein integraler Bestandteil des Berufs einer Lehrerin bzw. eines Lehrers behandelt, der sich nicht auf einen einmaligen „Praxisschock“ reduzieren lässt (vgl. Dicke et al. 2016).
Zum Design: Jenseits der von Bodensteiner angeführten Einschränkungen hinsichtlich des Untersuchungsdesigns (s. o.) sind folgende Aspekte zu beachten.
Die Untersuchung beschränkt sich auf Daten aus bayerischen Studienseminaren für das Lehramt an Grundschulen und Gymnasien. Für eine allgemeine Aussage wäre wegen des föderalen Systems der Vergleich mit anderen Bundesländern aber auch der Vergleich verschiedener Schulformen hilfreich. Hierdurch ließen sich u. U. belastungsreduzierende Elemente in verschiedenen Konzeptionen des Vorbereitungsdienstes identifizieren.
Für die Erhebungsinstrumente trifft die Autorin eine eigene Auswahl von 15 Items aus etablierten Instrumenten zur Selbstregulation, zur emotionalen Erschöpfung und zur Zufriedenheit mit der Freizeit. Inwiefern ihrer Auswahl von Items vergleichbare Konstrukte wie die ihnen zugrundeliegenden Originalinstrumente erfasst, wird von der Autorin nicht diskutiert.
Schwerwiegender als die zuvor angeführten Punkte ist jedoch zu werten, dass die theoretisch begründete Ableitung des postulierten Wirkungspfads, nach dem der Einsatz von Selbstregulationsstrategien vermittelt über die emotionale Erschöpfung die Zufriedenheit mit der Freizeit beeinflusst, nicht zur gewählten Operationalisierung passt: Nach Bodensteiner bedingt das Ausmaß an emotionaler Erschöpfung die qualitative Nutzung der vorhandenen Freizeit und die hieraus resultierende Zufriedenheit (ebd., S. 296). Dahingegen wird, wenn man das als Beispiel angeführte Item zugrunde legt, mit dem verwendeten Fragebogen die Zufriedenheit mit der Freizeit bezüglich ihrer Quantität erfasst („Mit der Menge an Zeit, die ich für meine Hobbys zur Verfügung habe, bin ich...“, ebd., S. 297). Für diesen Fall wäre jedoch eher anzunehmen, dass die (Zufriedenheit mit der) Zeit, die für Freizeitaktivitäten (nicht) zur Verfügung steht, ihrerseits das Ausmaß an emotionaler Erschöpfung bedingt, wie dies etwa in der Untersuchung von Philip und Kunter (2013) belegt wird.
Darüber hinaus erscheint die Untersuchung der Forschungsfrage mittels Längsschnittdaten einer Interventionsstudie (!) zur Förderung der Selbstregulation bei der Unterrichtsvorbereitung fragwürdig: Inwiefern ist die emotionale Erschöpfung zum Messzeitpunkt 3 noch auf den Einsatz von Selbstregulationsstrategien vor sechs Monaten rückführbar, wenn zwischenzeitlich eine Intervention stattgefunden hat mit dem Ziel, den Einsatz von Selbstregulationsstrategien und in Folge die emotionale Erschöpfung zu beeinflussen?
Die vorgenommene Sekundäranalyse basiert demnach auf einem Untersuchungsdesign, in dem Theorie, Erhebungsinstrumente und -plan nicht hinreichend stimmig verbunden sind.
Zu den Ergebnisse: Die Ergebnisse der Untersuchung belegen, dass die Annahme eines Einflusses des Einsatzes von Selbstregulationsstrategien bei der Unterrichtsvorbereitung auf die Zufriedenheit mit der Freizeit, vermittelt über die emotionale Erschöpfung, grundsätzlich in Einklang mit den erhobenen Daten steht. Allerdings sind die Ergebnisse aufgrund der oben beschriebenen Einschränkungen und der Inkonsistenzen des Untersuchungsdesigns nicht eindeutig interpretierbar. Die von der Autorin abgeleitete Forderung nach der Integration eines Trainings zur Selbstregulation in die Lehrkräfteausbildung erscheint zwar plausibel, jedoch können die ermittelten Auswirkungen des Einsatzes von Selbstregulationsstrategien bei der Unterrichtsvorbereitung auf das Ausmaß an emotionaler Erschöpfung und Zufriedenheit mit der Freizeit von angehenden Lehrkräften nicht als gesichert gelten.
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