Fragestellungen der Studie:
Rezension zur Studie
Stegmann, K. (2020). Effekte digitalen Lernens auf den Wissens- und Kompetenzerwerb in der Schule. Eine Integration metaanalytischer Befunde. Zeitschrift für Pädagogik, 66(2), 174–190.FIS BildungHinsichtlich des Einsatzes von digitalen Medien im Unterricht und der damit einhergehenden Effekte auf den Wissens- und Kompetenzerwerb untersucht Stegmann auf Basis von vorliegenden Metaanalysen, ob und in welchem Umfang kognitive Aktivierungspotenziale durch digitale Mediennutzung zusätzlich erschlossen werden können. Hierfür nutzt er die ICAP-Taxonomie, die 4 Ebenen der kognitiven Aktivierung (passiv, aktiv, konstruktiv, interaktiv) umfasst, wobei die Prozesse auf den höheren Aktivitätsebenen, zum Beispiel kollaboratives Problemlösen als interaktiver Lernprozess, zunehmend lernförderlich sind.
Insgesamt wurden 10 Metaanalysen mit 79 Effektstärken berücksichtigt. Stegmann kategorisiert die Kontroll- und Experimentalbedingungen der Studien nach den Aktivitätsebenen und untersucht 2 Fragen: „Werden Lernprozesse derselben Aktivitätsebene durch den Einsatz digitaler Medien lernförderlicher gestaltet“ (1) und „führt der Einsatz digitaler Medien auf höheren Aktivitätsebenen zu wirksameren Lernprozessen“ (2) im Vergleich zu Unterricht ohne den Einsatz digitaler Medien?
Zu (1): Vorteile durch den Einsatz digitaler Medien zeigen sich bei passiven Lernprozessen, z. B. durch Visualisierung von Lerninhalten oder beim Ausbau deklarativen Wissens. Zudem gelingen konstruktive Lernprozesse teilweise besser, z. B. steigt die Qualität und Quantität von Texten beim Einsatz einer Textverarbeitung. Die Stärke des positiven Effekts variiert demnach abhängig von der jeweils betrachteten Stufe und ist auch mit der Art der Nutzung und dem Lernziel verknüpft.
Zu (2): Auch hier belegt das Review, dass die unterrichtliche Nutzung digitaler Medien zum Zweck einer Erhöhung der Aktivitätsebene, z. B. durch kooperatives Game-Based Learning, einen positiven Effekt auf den Lernerfolg haben kann. Allerdings sind die Befunde spärlich, uneindeutig und die nachgewiesenen Effekte überwiegend klein.
Trotz einiger Limitationen legt Stegmann wichtige Befunde zu den Effekten des digitalen Medieneinsatzes für die Lernprogression vor. Hervorzuheben ist die Bezugnahme auf die ICAP-Taxonomie, denn damit wird sichtbar, wie kognitive Aktivierung als zentrale Dimension von Unterrichtsqualität durch den Einsatz digitaler Medien gefördert werden kann. Insbesondere reflexionsstarke und medienaffine Lehrkräfte können hieraus nutzbringende Rückschlüsse für ihre weitere Unterrichtsentwicklung und Lehrerprofessionalität ableiten.
Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.
Reflexionsfragen für Lehrkräfte
Reflexionsfragen für Schulleitungen
Seit dem Aufkommen digitaler Medien beschäftigt sich die Lehr-Lernforschung mit dem systematischen Einsatz digitaler Medien im Unterricht. Nur selten allerdings berücksichtigten, prüften und entwickelten die Forschenden in den bisher vorgelegten experimentellen Studien oder Metaanalysen theoretische Modelle zu den Wirkmechanismen digitaler Medien auf den Wissens- und Kompetenzerwerb der Schülerinnen und Schüler.
An diesem Desiderat setzt Stegmann an, wobei er für seine Untersuchung auf eine weite Definition von digitalen Medien zurückgreift. Er versteht digitale Medien als computerbasierte Technologien, „[…] die fachliche und überfachliche Inhalte präsentieren oder eine Interaktion mit und/oder über diese Inhalte ermöglichen“ (Stegmann, 2020, S. 175). Dabei nimmt er dezidiert nicht die technische Realisation einer Übertragung von Informationen in den Blick. Er lenkt die Aufmerksamkeit vielmehr auf die Zeit, das Material und ganz besonders auf die Lernaktivität im Zusammenhang mit dem Einsatz digitaler Medien beim Lehren und Lernen, da bestehende Forschung einen deutlichen Zusammenhang zwischen kognitiver Aktivierung und Lernerfolg zeige (Kunter & Voss, 2011).
Vor diesem Hintergrund verwendet der Autor die ICAP-Taxonomie zur Klassifikation von unterrichtlichen Lernprozessen, mit der vier Ebenen kognitiver Aktivierung differenziert werden (Chi & Wylie, 2014):
Forschungsbefunde zeigen, so Stegmann, dass für Lernprozesse auf Klassenebene vorrangig die letzten beiden Aktivitätsebenen positive Effekte auf den Lernerfolg im Sinne eines tiefergehenden Verständnisses haben.
Daraus leitet der Autor zum einen ab, dass der Einsatz digitaler Medien lernwirksamer ist als ein Unterricht ohne digitale Medien, mit dem kognitive Prozesse derselben Aktivitätsebene angeregt werden sollen (z. B. Quizz-App vs. mündliche Abfrage). Zum anderen stellt er die These auf, dass der Einsatz digitaler Medien, der darauf abzielt, kognitive Prozesse auf höheren Aktivitätsebenen auszulösen als im verglichenen Unterricht ohne digitale Medien, sich positiv auf den Lernerfolg auswirkt.
Davon ausgehend formuliert Stegmann zwei Forschungsfragen (ebd., S. 178):
Mit der Moderation wird jeweils untersucht, ob spezifische Aspekte beim Einsatz digitaler Medien (z. B. hohes Vorwissen vs. niedriges Vorwissen) zu unterschiedlichen Effekten führen.
Für die Beantwortung der beiden Forschungsfragen analysierte Stegmann publizierte Metaanalysen, die die Ergebnisse vieler Einzelstudien quantitativ zusammenfassen. Metaanalysen haben den Vorteil, dass in ihnen die Stichprobengröße erheblich ansteigt, was zugleich die Irrtumswahrscheinlichkeit reduziert. Mit der Vergrößerung der Stichprobe geht zudem eine größere Genauigkeit bei der Effektstärkenschätzung und eine Verringerung von zufälligen Einflüssen und Messfehlern einher.
Allerdings können durch die Zusammenfassung verschiedener Studien in einer Metaanalyse neue Fehler auftreten, wenn den kombinierten Einzelstudien unterschiedliche Effekte zugrunde liegen, was Verzerrungen provoziert. Diese Probleme umging Stegmann, indem er hinsichtlich der Effektstärken nur Studien mit möglichst homogenen Eigenschaften berücksichtigte. Folgende Inklusionskriterien waren für die Zusammenstellung handlungsleitend (Stegmann, 2020, S. 180):
Nach Anwendung der ersten vier Kriterien isolierte der Autor aus 542 infrage kommenden Metaanalysen 32 kriterienkonforme Metanalysen. Nach Hinzunahme der Kriterien fünf und sechs verringerte sich die Anzahl der zu berücksichtigenden Metaanalysen auf zehn. Stegmann isolierte aus diesen zehn Metaanalysen 79 Effektstärken, die Effekte von digitalen Medien auf unterrichtliches Lehren und Lernen betrafen. Als Maß für die Effektstärken nutzten die berücksichtigten Metaanalysen Hedges g+. Beim Zusammenfassen der einzelnen Werte verschiedener Studien wurden außerdem in allen Metaanalysen durch Gewichtung die Stichprobengrößen berücksichtigt. Für die zehn Metaanalysen wurde schließlich jeweils kodiert, welcher Aktivitätsebene (passiv, aktiv, konstruktiv, kollaborativ) sich die dort genutzten Lernaktivitäten in den Experimentalgruppen (mit digitalen Medien) und den Kontrollgruppen (ohne digitale Medien) zuordnen ließen.
Forschungsfrage 1: Inwieweit haben digitale Medien einen Effekt auf den Wissenserwerb innerhalb derselben Aktivitätsebene und inwieweit werden diese Effekte durch die Art der Nutzung digitaler Medien moderiert?
Forschungsfrage 2: Inwieweit haben digitale Medien einen Effekt auf den Wissenserwerb zwischen den Aktivitätsebenen und inwieweit werden diese Effekte durch die Art der Nutzung digitaler Medien moderiert?
Zum Hintergrund
Mit seiner Untersuchung zum Einsatz digitaler Medien im Unterricht und zu den Effekten digitalen Lernens auf den Wissens- und Kompetenzerwerb greift Stegmann nicht nur ein wesentliches Forschungsdesiderat auf, sondern bezieht sich hierbei auf aktuelle Daten aus zehn Metaanalysen. Die Datenbreite und Datenaktualität ist mit Blick auf die zugrundeliegenden wichtigen Forschungsfragen einzigartig.
Im Theorieteil liefert der Autor effektiv und zweckmäßig einen Überblick des Forschungsstands zu den Effekten digitaler schulischer Mediennutzung und ordnet durchaus kritisch bestehende Befunde zur Wirksamkeit digitaler Medien den einschlägigen Untersuchungen der empirischen Unterrichtsforschung zu – allen voran der umfassenden Analyse von Hattie (2009). Transparent wird der verwendete Begriff „digitale Medien“ ebenso eingeführt wie die für die Untersuchung der Wirkmechanismen von Effekten digitaler Medien zugrunde gelegte ICAP-Taxonomie.
Zum Design
Aus den theoretischen Ausführungen und der Skizze des Forschungsstandes leitet Stegmann plausibel seine Annahmen und zwei geeignete Forschungsfragen ab, um unter Einbezug der ICAP-Aktivitätsebenen Wirkmechanismen zu identifizieren, welche einen positiven Effekt auf das schulische Lernen durch den Einsatz digitaler Medien haben können. Ausführlich erläutert der Autor zudem die Vorteile von Metaanalysen zur Erzeugung robuster empirischer Befunde. Zugleich weist er auf die Erfordernisse für eine korrekte Komposition von Metaanalysen hin.
Nachvollziehbar erfolgt die Zusammenstellung und Darstellung der Inklusions- und Exklusionskriterien bei der Metaanalysenauswahl. Die Beschreibung des Prozesses zur Auswahl der berücksichtigten zehn Metaanalysen erfolgt knapp und weitgehend nachvollziehbar. Die zehn Metaanalysen werden in den relevanten Parametern effektiv tabellarisch vorgestellt. Die Kodierung der Aktivitätsebenen zu den Kontroll- und Experimentalbedingungen der Metaanalysen werden stimmig ausgeführt.
Leider erschließt sich nicht restlos, welche konkreten methodischen Prozeduren im Rahmen der Integration der metaanalytischen Befunde vorgenommen wurden. Hier mag man dem Autor zugutehalten, dass dies den Umfang des Beitrags vermutlich gesprengt hätte.
Zu den Ergebnissen
Die vorgelegten integrierten Analysebefunde liefern auf beide Forschungsfragen substanzielle Antworten. Je eine Subdimension beider Forschungsfragen ließ sich aufgrund der Datenlage allerdings nicht beantworten. Hier sind Anschlussuntersuchungen mit breiterer Datenbasis notwendig. Selbstkritisch weist der Autor darauf hin, dass die der ICAP-Taxonomie inhärente Trennung der vier Ebenen kognitiver Aktivierung nicht der unterrichtlichen Praxis entspreche, welche ein steter Wechsel des Aktivierungslevels kennzeichne. So bleibt es Aufgabe zukünftiger Forschung, auf die vorgelegten Befunde unter Laborbedingungen so aufzubauen, dass eine größere Anschlussfähigkeit an die dynamische Unterrichtswirklichkeit gelingt.
Begrenzt ist die Aussagekraft der Befunde auch darum, weil in den zehn zugrundeliegenden Metaanalysen innovative Anwendungen digitaler Medien unberücksichtigt sind. Zu nennen wären hier beispielsweise Formen des „mobile learning“. „Darüber hinaus führen die nicht systematisch vorhandenen Informationen über die Heterogenität der Effektstärken [in den berücksichtigten Metaanalysen] dazu, dass weitere Interaktionseffekte mit deutlich höheren und niedrigeren Effektstärken für bestimmte Rahmenbedingungen nicht ausgeschlossen werden können“ (Stegmann, 2020, S. 187).
Davon unberührt legt Stegmann eine Reihe von Befunden vor, die zeigen, dass digitale Medien dann lernförderlich wirken können, wenn sie gezielt zur Initiation kognitiv aktivierender Lernprozesse auf möglichst hoher Aktivitätsebene eingesetzt werden. Umgekehrt deuten die Befunde an, dass der Einsatz digitaler Medien im Unterricht hinsichtlich der Aktivitätsebene keinen negativen Effekt auf das Lernen hat. Das schließt freilich nicht aus, dass eine gesteigerte Aktivierung kognitiver Prozesse auch ohne den Einsatz digitaler Medien möglich bleibt. Dennoch, so schließt der Autor zutreffend, sollte der „[…] Einsatz digitaler Medien zur effektiven Gestaltung des Unterrichts […] aber zum selbstverständlichen Methodenrepertoire von Lehrkräften gehören“ (ebd., S. 188).
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