Fragestellungen der Studie:

  • Inwiefern wird das Engagement und Führungshandeln von Schulleitungen durch die soziale Lage der Schule und die Unterstützung vom Kollegium beeinflusst?

Rezension zur Studie

Tulowitzki, P., Pietsch, M., Grigoleit, E. & Sposato, G. (2014). Der Einfluss von sozialer Unterstützung und Arbeitsengagement auf transformationale Führung an Schweizer Schulen in sozial benachteiligter und begünstigter Lage – Befunde einer nationalen Befragung von Schulleitungen. Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften 46(1), 30–46.FIS Bildung

Tulowitzki, Pietsch, Grigoleit und Sposato gehen in ihrer Studie der Frage nach, was die Art und Weise beeinflusst, in der Schulleitungen ihre Leitungsfunktion ausüben. Dabei fragen sie konkret: Inwiefern beeinflussen die soziale Unterstützung und die Lage der Schule das Engagement und die Ausprägung transformationaler Führung von Schulleitungen in der Schweiz?

Sie legen in ihrer Studie die Annahme zugrunde, dass nicht nur das Führungsverhalten das Verhalten der Lehrkräfte beeinflusst, sondern dass dieses selbst von bestimmten Faktoren beeinflusst wird. Hier nehmen sie die Lage der Schule (sozial benachteiligt oder nicht) und die wahrgenommene soziale Unterstützung durch das Kollegium in den Blick. Sie untersuchen, wie diese beiden Faktoren mit dem Engagement der Schulleitungen und dem Verfolgen eines transformationalen Führungsansatzes zusammenhängen.

Im Rahmen der Studie wurden 2011 Onlinefragebögen ausgewertet, die von Schulleitungen schweizerischer Volksschulen ausgefüllt worden waren. Die Forschenden finden einen positiven Zusammenhang zwischen der transformationalen Führung und dem Arbeitsengagement sowie der sozialen Unterstützung – unabhängig von der sozialen Lage. Letztere hängt aber mit dem Arbeitsengagement zusammen: Schulleitungen von Schulen in benachteiligter Lage weisen ein geringeres Arbeitsengagement auf als solche in nicht sozial benachteiligten Lagen. Indirekt steht damit die soziale Lage der Schule in Zusammenhang mit der Ausprägung eines transformationalen Führungsstils, da ein geringer ausgeprägtes Arbeitsengagement damit korreliert, dass seltener transformational geführt wird. Die wahrgenommene soziale Unterstützung ist ebenfalls mit dem Arbeitsengagement verbunden: Je positiver diese wahrgenommen wird, umso höher ist das Engagement.

Die Autorinnen und Autoren betonen abschließend, dass es aufgrund ihrer Ergebnisse wichtig erscheint, Schulleitungen von Schulen in benachteiligter Lage zu unterstützen, um ihr Arbeitsengagement zu fördern. Dieses ist ihrer Meinung nach besonders wichtig, da das Engagement in einem Zusammenhang mit der Ausprägung eines transformationalen Führungsstils steht, der erforderlich ist, damit diese Schulen die an sie gestellten Herausforderungen meistern können.

Auch wenn die Studie in der Schweiz durchgeführt wurde, liefert sie interessante Impulse für die Schulentwicklung an deutschen Schulen. Denn sie rückt einige der Faktoren in den Blick, die beeinflussen, wie Schulleitungen ihre Führungsrolle ausfüllen.

Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.

Reflexionsfragen für Lehrkräfte

  • Wie erlebe ich die Führung durch meine Schulleitung?
  • Inwiefern erfährt die Schulleitung durch mich bzw. durch das Kollegium Unterstützung?

Reflexionsfragen für Schulleitungen

  • Wie schätze ich meine Leitungsrolle im Zusammenhang mit dem Leitbild einer transformationalen Führung ein?
  • Welche Unterstützung erfahre ich durch mein Kollegium?
  • Inwiefern fühle ich mich durch mein Kollegium emotional unterstützt?
  • Welche Rolle spielt das soziale Umfeld meiner Schule bei den Herausforderungen, denen ich mich in meinem Berufsalltag gegenübersehe?
  • Wo kann ich ansetzen, um meine Ressourcen zu stärken?

Die Studie stützt sich zum einen auf das Konzept der transformationalen Führung, wie es von Bernard M. Bass in den 90er Jahren formuliert wurde (vgl. z. B. Bass, 1990). Für Tulowitzki et al. ist dabei die Idee zentral, „dass Mitarbeitende die Interessen der Gruppe und der Organisation priorisieren, das ‚grosse (sic!) Ganze‘ in den Blick nehmen und sich eigenständig im Rahmen einer übergeordneten Vision einbringen (Bass, 1990; Leithwood & Menzies, 1998)“ (Tulowitzki et al., 2024, 31). Führungskräfte, die auf diese Art und Weise führen, zeichnen sich u. a. dadurch aus, dass sie selbst als Vorbild agieren, ihren Mitarbeitenden eine Vision nahebringen, diese intellektuell stimulieren und sie emotional unterstützen. Die Forschenden weisen darauf hin, dass die positive Wirkung einer solchen Führung, die ursprünglich für das Management von Unternehmen postuliert und erforscht wurde, auch für den schulischen Bereich bereits nachgewiesen werden konnte, da sie beispielsweise die Zufriedenheit und das Selbstwirksamkeitsempfinden von Lehrpersonen fördere.

Zum anderen setzt die Studie bei Konzepten an, die darstellen, dass auch das Arbeitsengagement und Arbeitsverhalten von Führungspersonen von bestimmten Einflussfaktoren abhängen. Die Forschenden legen das „Job-Demands-Resources-Model“ zugrunde (Bakker, Demerouti & Sanz-Vergel, 2023), welches modelliert, „wie sich Arbeitsanforderungen (job demands) und Arbeitsressourcen (job resources) sowohl unabhängig voneinander als auch in Wechselwirkung auf Belastungserleben und Motivation auswirken können“ (Tulowitzki et al., 2024, 33). Von den Ressourcen, die Bakker et al. nennen, wird in dieser Studie die soziale Unterstützung untersucht, persönliche Faktoren wie Resilienz und Optimismus bleiben außer Betracht. Im Hinblick auf die arbeitsbezogenen Anforderungen fokussiert die Studie die soziale Lage der Schule. In dem der Untersuchung zugrunde liegenden Modell wird davon ausgegangen, dass die Ressourcen und die Anforderungen das arbeitsbezogene Engagement beeinflussen, das wiederum Einfluss auf das Arbeitsverhalten – hier: Facetten transformationaler Führung – hat. Schließlich wird angenommen, dass dieses Arbeitsverhalten der Schulleitungen wiederum auf die soziale Unterstützung zurückwirkt, die die Führungsperson aus dem Kollegium erhält.

Die Daten stammen aus einer groß angelegten Onlinestudie im Kontext des Projekts „Schulleitungsmonitor Schweiz“ im Herbst 2021, bei der 4 701 Schulleitungen Schweizerischer Volksschulen ein standardisierter Fragebogen mit geschlossenen Fragen zugeschickt wurde. Davon konnten die Antworten aus 2011 ausgefüllten Bögen in die Auswertung einfließen. Die Fragebögen enthielten Items zu demografischen Angaben und zu drei thematischen Blöcken:

  • transformationale Führung: Kurzfassung des Multifactor Leadership Questionnaire (vgl. Bass & Avolio, 1995) mit Items wie „Ich helfe Lehrpersonen an meiner Schule, ihre Stärken auszubauen“),
  • Arbeitsengagement: Kurzform der Utrecht Work Engagement Scale (Schaufeli, Bakker & Salanova, 2006) mit Items wie „Meine Arbeit inspiriert mich“
  • soziale Unterstützung: adaptierte Kurzfassung der Skala zur Erhebung sozialer Unterstützung im Arbeitskontext (Ksienzyk, 2006).

Des Weiteren gaben die Schulleitungen an, ob ihrer Einschätzung nach ihre Schule eine Schule in benachteiligter Lage ist. Dazu bekamen sie eine Erklärung angelehnt an wissenschaftliche etablierte Konzepte, was mit diesem Begriff gemeint ist.

Die statistischen Analysen mithilfe der Software Mplus 8.6, brachten das Ergebnis, „dass die Modellvariablen alle statistisch signifikant miteinander korrelieren (p < .001) und dass für alle Konstrukte eine diskriminante Validität angenommen werden kann“ (Tulowitzki et al., 2024, 35), aber das Konstrukt der transformationalen Führung durch die genutzten Indikatoren nicht vollständig zufriedenstellend erklärt wird. Aufgrund der geringen Anzahl von Antworten aus der italienischsprachigen Schweiz konnte eine kontrastive Auswertung der Regionen nicht in allen Bereichen vorgenommen werden.

Die Analysen auf Grundlage eines Strukturgleichungsmodells erbringen, dass sowohl das Arbeitsengagement (β = .50, p < .001) als auch die soziale Unterstützung (β = .13, p < .001) durch Kolleginnen und Kollegen direkte positive Effekte auf die transformationale Führung von Schulleitungen haben, wobei die soziale Unterstützung, vermittelt über das Arbeitsengagement, einen zusätzlichen indirekten Einfluss aufweist (β = .18).  Das Arbeitsengagement wirkt also auch als vermittelnde Variable: Je mehr Unterstützung die Schulleitung erfährt, desto engagierter ist sie und desto ausgeprägter ist die transformationale Führung.

Es wird kein direkter Zusammenhang zwischen der sozialen Lage der Schule (ob die Schule in einem sozial benachteiligten Umfeld liegt) und der Führung festgestellt (soziale Lage der Schule β = .043, p = .137). Allerdings berichten Schulleitungen an sozial benachteiligten Schulen tendenziell geringfügig weniger Arbeitsengagement (β = -.072, p < .01), was sich in Folge in einem negativen indirekten Effekt mit ihrem transformationalen Führungsstil niederschlägt (β = -.036, p < .01).

Die Forschenden fassen zusammen, „dass das Arbeitsengagement von Schulleitungen sowie die soziale Unterstützung, die Schulleitungen in der Schule erhalten, wichtige Prädiktoren dafür sind, wenn es darum geht, Schule durch Führung zu verändern“ (Tulowitzki et al., 2024, 37). Schulen in sozial benachteiligten Lagen benötigen deshalb nach Meinung der Forschenden mehr Unterstützung, damit ihre Schulleitungen genauso transformational führen können wie jene in nicht benachteiligten Schulen.

Hintergrund
Die Forschenden stützen sich mit dem Konzept der transformationalen Führung auf eine weit rezipierte und akzeptierte Theorie. Das Konzept wurde auch bereits für Schulen in seiner Wirkung erforscht. Die Verknüpfung mit dem „Job-Demands-Resources-Model“ erscheint gewinnbringend, wird jedoch eher knapp und damit nur bedingt nachvollziehbar dargestellt.

Design
Eingeschränkt wird die Aussagekraft der Studie zum einen dadurch, dass sie in der Schweiz durchgeführt wurde und nur an einer bestimmten Schulform. Zum anderen handelt es sich bei sämtlichen Ergebnissen um Selbstauskünfte der Schulleitungen, wodurch es nur sehr bedingt möglich ist, von diesen auf das tatsächliche Führungshandeln oder die tatsächliche Unterstützung durch das Kollegium zu schließen.

Die statistische Analyse der Daten erlaubt zudem aufgrund der querschnittlichen Studienanlage keine Aussagen über Kausalitäten.

Ergebnisse
Die Forschenden finden einen positiven Zusammenhang zwischen der transformationalen Führung und dem Arbeitsengagement sowie der sozialen Unterstützung – unabhängig von der sozialen Lage. Letztere hängt aber mit dem Arbeitsengagement zusammen: Schulleitungen von Schulen in benachteiligter Lage weisen mit einer kleinen Tendenz ein geringeres Arbeitsengagement auf als solche in nicht sozial benachteiligten Lagen. Indirekt steht damit die soziale Lage der Schule so in einem Zusammenhang mit der Ausprägung eines transformationalen Führungsstils, da ein geringer ausgeprägtes Arbeitsengagement damit korreliert, dass seltener transformational geführt wird. Die wahrgenommene soziale Unterstützung ist ebenfalls mit dem Arbeitsengagement verbunden: Je positiver diese wahrgenommen wird, umso höher ist das Engagement.

In der Studie wird ein Zusammenhang zwischen der sozialen Lage einer Schule und dem selbstberichteten Arbeitsengagement der Schulleitungen gefunden: Schulleitungen von Schulen in sozial benachteiligten Lagen schätzen ihr Arbeitsengagement geringer ein. Interessant wäre es hier, die Gründe für diesen Zusammenhang zu eruieren, denn diese Gründe würden Hinweise darauf geben, wo eine Unterstützung der Schulleitungen ansetzen kann.

Gleiches gilt für den gefundenen Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen sozialen Unterstützung und dem Arbeitsengagement: Je mehr sich die Schulleitungen durch ihr schulisches Umfeld unterstützt fühlen, desto engagierter schätzen sie ihre eigene Arbeit ein. Hier bringt die Studie zum einen nur einen Zusammenhang ans Licht, jedoch keine Wirkungsrichtung und zum anderen bleiben die genaueren Umstände und Elemente der wahrgenommenen sozialen Unterstützung unklar. Diese genauer zu eruieren wäre wichtig, denn auch in diesem Bereich könnten Überlegungen ansetzen, wie Hilfen für Schulleitungen in einem besonders herausfordernden Arbeitsumfeld aussehen könnten.

Der gefundene Zusammenhang zwischen den Variablen soziale Unterstützung und Arbeitsengagement sowie der Ausprägung eines transformationalen Führungsstils unterstreicht die Bedeutung weitergehender Forschung in diesem Bereich, damit Hilfestellungen für Schulleitungen auch in dieser Hinsicht zielgerichteter möglich werden.

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Unterstützung für die Praxis

nrw-wappenAus der Reihe "Beiträge zur Schulentwicklung"

Diese Rezension wurde erstellt von:
Dr. Sonja Hensel, Lehrerin am Berufskolleg in Siegburg sowie Lehrbeauftragte an der Universität Siegen. Arbeitsschwerpunkte: Rechtschreib-, Schreib- und Lesedidaktik, selbstreguliertes und kooperatives Lernen.

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