Fragestellungen der Studie:

  • Unterscheiden sich handschriftlich verfasste Deutschaufsätze von computergeschriebenen bezüglich Textlänge und Rechtschreibfehlern?

Rezension zur Studie

Reble, R., Meyer, J., Fleckenstein, J. & Köller, O. (2020). Am Computer oder handschriftlich schreiben? Untersuchung des Testmodus-Effekts in Deutschaufsätzen der Sekundarstufe I. In K. Kaspar, M. Becker-Mrotzek, S. Hofhues, J. König & D. Schmeinck (Hrsg.), Bildung, Schule, Digitalisierung (S. 51−56). Münster u. a.: Waxmann.

Die Autorinnen und der Autor beschäftigen sich mit dem Einfluss des Testmodus (Texte werden handschriftlich oder am Computer geschrieben) auf die Textlänge und die Rechtschreibung. Als zusätzliche Variable berücksichtigen sie das Selbstkonzept in den Bereichen kreatives Schreiben und Rechtschreibung. Sie gehen also in ihrer Studie zwei Fragen nach:

  1. Gibt es einen Testmodus-Effekt hinsichtlich der Textlänge und wird dieser durch das Selbstkonzept im Bereich kreatives Schreiben moderiert?
  2. Gibt es einen Testmodus-Effekt hinsichtlich der Rechtschreibfehler und wird dieser durch das Selbstkonzept im Bereich Rechtschreibfähigkeiten moderiert?

Dazu ließen sie Schülerinnen und Schüler 10. Klassen am Gymnasium zu zwei kreativen Schreibanlässen Texte verfassen – je einen handschriftlich und einen mit einem Textverarbeitungsprogramm am Computer– und werteten diese hinsichtlich der Textlänge – als Annäherungsmaß für die Textqualität – und der Anzahl der Rechtschreibfehler aus. Zusätzlich erhoben sie über Fragebögen das Selbstkonzept in den Bereichen Rechtschreibung und kreatives Schreiben.

Die Studie zeigt, dass der Testmodus einen Einfluss sowohl auf die Textlänge als auch auf die Anzahl der Rechtschreibfehler hat. Die am Computer verfassten Texte waren länger und enthielten mehr Rechtschreibfehler. Zusätzlich zeigte sich, dass die Schülerinnen und Schüler mit einem höheren Selbstkonzept im Bereich kreatives Schreiben längere Texte schrieben – unabhängig davon, ob sie am Computer oder mit der Hand schrieben. Die Probanden mit einem höheren Selbstkonzept im Bereich Rechtschreibung machten unabhängig vom Testmodus signifikant weniger Fehler.

Die Autorinnen und der Autor ziehen aus diesen Ergebnissen den Schluss, dass im Deutschunterricht beide Arten der Textproduktion ihren Platz haben müssen, da man nicht von einer automatischen Übertragung der im handschriftlichen Schreiben erworbenen Kompetenzen auf das Schreiben am Computer ausgehen könne. Da Letzteres im Alltag und in der Berufswelt immer wichtiger werde, müsse es in der Schule mehr gefördert werden.

Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.

Reflexionsfragen für Lehrkräfte

  • Welche Rolle spielen verschiedene Schreibmedien in meinem Unterricht?
  • Wie leite ich systematisch auch zum Schreiben mit der Tastatur an?
  • Inwiefern setze ich den Computer gezielt zum Schreiben von Texten ein, um seine Möglichkeiten für eine prozess- und produktorientierte Schreibdidaktik zu nutzen?
  • Wie reflektiere ich mit den Schülerinnen und Schülern die Unterschiede der verschiedenen Schreibmedien?
  • Was weiß ich darüber, welche Auswirkungen das Schreiben am Computer auf meine Schülerinnen und Schüler hat?

Reflexionsfragen für Schulleitungen

  • Inwiefern gibt es an meiner Schule die technischen Voraussetzungen, damit der Computer als Schreibmedium eingesetzt werden kann?
  • Wie wird das Scheiben von Texten am Computer in unserem Medienkonzept reflektiert?
  • Welche systematischen Bemühungen gibt es, die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in diesem Bereich auszubauen?

Die Frage, welche Rolle das handschriftliche und welche das Schreiben am Computer in der Schule einnehmen sollte, wird in der Öffentlichkeit diskutiert und in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen empirisch untersucht. Die Ergebnisse sind dabei durchaus unterschiedlich wie auch überhaupt bei der Frage, welchen Unterschied es beispielsweise lernpsychologisch macht, ob handschriftlich oder über die Tastatur geschrieben wird.

Demgegenüber steht die Frage, welche Kompetenzen heutige Schülerinnen und Schüler in Ausbildung, Studium und Beruf im Bereich Schreiben benötigen und wie die Schule sie auf diese Anforderungen optimal vorbereitet, also eine soziokulturelle Perspektive (vgl. Reble et al., 2020, S. 51).

Aus Sicht des Deutschunterrichts steht die Frage im Zentrum, inwieweit das Schreiben am Computer genutzt werden kann für den Aufbau von Schreibkompetenz. Hier wird großes Potenzial gesehen aufgrund der besseren Möglichkeiten, den Schreibprozess in das Zentrum schreibdidaktischer Bemühungen zu rücken, indem zum Beispiel Überarbeitungen von Textentwürfen einfacher zu realisieren sind. Auch im Bereich handlungsorientierter Verfahren hat das digitale Schreiben großes Potenzial, etwa weil es die Veröffentlichung von Schreibprodukten sehr vereinfacht (vgl. Becker-Mrotzek, 2006).

Die Textlänge wird als grober Indikator für die Qualität der Texte genutzt. In einer Untersuchung, die vier verschiedene Methoden zur Messung der Textqualität in den Blick nahm, erwies sie sich als geeignet als Annäherung an dieses komplexe Konstrukt, da sie hohe Korrelationen zu komplizierteren Rating-Verfahren aufwies (vgl. Grabowski et al., 2014).

Rechtschreibung ist als Teil der Schreibkompetenz zu betrachten, denn ein stark fehlerhafter Text erschwert das Rezipieren desselben. Zudem können schwach ausgeprägte Rechtschreibkompetenzen den Schreibprozess negativ beeinflussen (vgl. Reble et al., 2020, S. 52).

Für die Studie schrieben 226 Schülerinnen und Schüler (davon 123 weiblich) aus elf 10. Klassen dreier verschiedener G9-Gymnasien in Schleswig-Holstein je zwei Texte zu zwei unterschiedlichen kreativen Schreibimpulsen – einen handschriftlich und einen am Computer. Außerdem wurde das Selbstkonzept in den Bereichen Rechtschreibung und kreatives Schreiben in einem Fragebogen erfasst. Die dabei verwendeten Selbstkonzeptskalen beruhen auf der Arbeit von Schwanzer (2002) und wiesen eine hohe interne Konsistenz auf.

Die Untersuchung hatte also ein Messwiederholungsdesign. Sie fand in den Klassenräumen jeweils in einem Zeitraum von ca. drei Zeitstunden statt, innerhalb derer die Jugendlichen zunächst die Fragebögen ausfüllten und dann jeweils einen Text am Computer und einen mit der Hand schrieben – genaue Angaben zur Reihenfolge, in der die Texte geschrieben wurden, fehlen.

Ausgewertet wurden die Texte zum einen im Hinblick auf die Textlänge, indem die Wörter gezählt wurden. Die Rechtschreibfehler wurden ebenfalls gezählt, wobei bei den computergeschriebenen Texten auf die durch Microsoft Word als falsch markierten Wörter zurückgegriffen wurde. Diese Fehler wurden korrigiert in Bezug auf Eigennamen, englische Begriffe, nicht ausgeschriebene Wörter am Ende des Textes und fehlende Leerzeichen hinter einem Komma (vgl. Reble et al., 2020, S. 53). Die Anzahl der Rechtschreibfehler wurde an der Wortanzahl relativiert. Eine Auswertung nach Fehlerarten fand nicht statt, da zunächst nur interessierte, ob sich die Leistungen in den beiden Modi generell unterschieden.

Die statistische Auswertung erfolgte anhand von zwei Kovarianzanalysen (ANCOVA) mit Messwiederholung, „wobei der Testmodus durch zwei Stufen repräsentiert und das Selbstkonzept als kontinuierliche Kovariate berücksichtigt wurde“ (vgl. ebd.).

Insgesamt zeigt sich, dass der Testmodus einen Einfluss sowohl auf die Textlänge als auch auf die Anzahl der Rechtschreibfehler hatte.

Die am Computer geschriebenen Texte enthielten durchschnittlich mehr Wörter (F(1, 214) = 8.47, p < .004, d = 0.38) und auch mehr Rechtschreibfehler (F(1, 214) = 86.30, p < .001, d = 1.27) als die per Hand geschriebenen.

Weiterhin zeigte sich ein Einfluss der Selbstkonzepte, indem Schülerinnen und Schüler mit einem höheren Selbstkonzept im Bereich kreatives Schreiben signifikant längere Texte schrieben (F(1, 208) = 17.07, p < .001, d = .57). Der Testmodus war hierbei nicht statistisch relevant.

Anders bei den Rechtschreibfehlern. Hier produzierten zwar die Schülerinnen und Schüler mit einem höheren Selbstkonzept in diesem Bereich unabhängig vom Testmodus signifikant weniger Rechtschreibfehler (F(1, 208) = 32.12, p < .001, d = 0.79). Bei den Jugendlichen mit einem geringeren Selbstkonzept hinsichtlich der eigenen Rechtschreibfähigkeiten zeigte sich hingegen ein stärkerer Testmodus-Effekt. Der Unterschied in der Anzahl der gemachten Fehler zwischen den handschriftlichen und den am Computer geschriebenen Texten fiel signifikant größer aus.

Hintergrund
Das Thema, welche Auswirkungen das Schreiben am Computer auf die Kompetenzentwicklung von Schülerinnen und Schülern hat, ist hoch aktuell und noch erstaunlich wenig beforscht. Insofern trägt die vorliegende Studie dazu bei, einige Fragen zu klären und damit die Frage nach dem Stellenwert der verschiedenen Schreibmedien in der Schule ein Stück weiter zu beantworten.

Design
Die Anlage der Studie leuchtet unmittelbar ein, denn die Textlänge und die Anzahl der Rechtschreibfehler scheinen gute Indikatoren, um sich dem Einfluss des Testmodus auf die Textproduktion zu nähern. Wie die Autorinnen und der Autor selbst anführen, ist die Validität der Textlänge als Indikator für die Textqualität aber durchaus umstritten (vgl. ebd. S. 54), weshalb ein Rating der Textqualität hier der geeignetere Weg erscheint.

Zu bedauern ist, dass im Bereich der Sprachrichtigkeit lediglich die Anzahl der Rechtschreibfehler gezählt wurde und hier auch nur die von Word angegebenen. Nun ist diese Anzeige besonders im Bereich von Fehlern im syntaktischen Bereich nicht hundertprozentig zuverlässig. Zum anderen wäre es interessant zu wissen, welche Art von Fehlern gemacht wurden, um daraus didaktische Erkenntnisse gewinnen zu können (s. Diskussion Ergebnisse).

Ergebnisse
Dass die Jugendlichen längere Texte schreiben, wenn sie diese am Computer tippen, ist für die Schreibdidaktik ein gutes Ergebnis. Denn gerade bei schwachen Schreiberinnen und Schreibern geht eine Erhöhung der Textmenge meist mit einer Verbesserung der Texte einher (vgl. Grabowski et al., 2014).

Weniger aussagekräftig sind die Ergebnisse zu den Rechtschreibfehlern, da hier – wie oben erwähnt – eine Auswertung nach Fehlerarten fehlt. Es ist also unklar, worauf der Anstieg der Rechtschreibfehler beim Schreiben mit der Tastatur zurückgeht: auf Tippfehler – wie die Autorinnen und der Autor mutmaßen – oder vielleicht auf motorische Defizite, die dazu führen, dass Großbuchstaben nicht adäquat getippt werden. Da das Schreiben mit der Tastatur in der Schule nicht gelehrt wird und im Alltag vieler Jugendlicher selten vorkommt, ist es eine für sie motorisch ungewohnte Tätigkeit.

Festzuhalten ist, dass das Schreiben mit der Hand und am Computer nicht das Gleiche sind. Daraus ergeben sich Implikationen für die Verwendung digitaler Medien im (Deutsch-) Unterricht. Man kann nicht davon ausgehen, dass Lernende ihre Schreibfertigkeiten nur durch Schreiben mit der Hand ausbilden und die Übertragung auf das Schreiben am PC anschließend reibungslos gelingt. Daraus folgt, dass das Schreiben am Computer genauso trainiert werden muss und mehr gefördert werden sollte, wobei sich der Deutschunterricht dafür anbietet. Nur so können die Schülerinnen und Schüler den speziellen Anforderungen, die sie spätestens nach der Schule erwarten, gerecht werden.

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Unterstützung für die Praxis
Diese Rezension wurde erstellt von:
Dr. Sonja Hensel, Lehrerin am Berufskolleg in Siegburg sowie Lehrbeauftragte an der Universität Siegen. Arbeitsschwerpunkte: Rechtschreib-, Schreib- und Lesedidaktik, selbstreguliertes und kooperatives Lernen.

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