Fragestellungen der Studie:

  • Welche Auswirkungen hat die Einordnung einer Schule als "Schule mit erheblichem Entwicklungsbedarf" bei einer Schulinspektion auf die Entwicklung der Unterrichts- und Schulqualität?

Rezension zur Studie

Wenger, M., Gebhard, S. & Brunner, M. (2022). Wie verändert sich die Unterrichts- und Schulqualität, die Leistung und die Schülerzusammensetzung nach der Schulinspektionsdiagnose „erheblicher Entwicklungsbedarf“? Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 25, 1031–1058.FIS Bildung

Mit Schulinspektionen verbindet sich die Hoffnung auf die Initiierung positiver Entwicklungen im Hinblick auf Unterrichts- und Schulqualität sowie die Schulleistungen, aber auch die Befürchtung von unerwünschten Folgewirkungen (etwa soziale/ethnische Segregation). Die Forschungslage hierzu ist bislang noch z. T. widersprüchlich und v. a. im Hinblick auf Schulen mit erheblichem Entwicklungsbedarf lückenhaft.

Aus dem Pool der öffentlichen Grundschulen Berlins, die in 5-jährigen Zyklen inspiziert werden, betrachten Wenger et al. die Entwicklung von Schul- und Unterrichtsqualität für diejenigen 10 Schulen, bei denen erheblicher Entwicklungsbedarf diagnostiziert wurde und bereits eine Folgeinspektion erfolgte. Dies geschieht auf der Basis standardisierter Mittelwertdifferenzen bei den Indikatoren der Inspektionen. Darüber hinaus vergleichen sie alle 333 Schulen mit und ohne (erheblichen) Entwicklungsbedarf im Hinblick auf die Leistungsentwicklung bei Vergleichsarbeiten und die Zusammensetzung der Schülerschaft (sozioökonomischer Status, Gebrauch nichtdeutscher Herkunftssprache). Der Vergleich geschieht auf Grundlage der Ergebnisse von Strukturgleichungsmodellen.

Bei der Schul- und Unterrichtsqualität der Schulen mit erheblichem Entwicklungsbedarf zeigen sich nach der Inspektion leicht bis mittel positive Effekte bei den Indikatoren kognitive Aktivierung und konstruktive Unterstützung, leicht positive Effekte bei Personalentwicklung, Kooperation/Koordination, keine Effekte bei Klassenführung, Schulkultur und Schulmanagement. Bereits vor der Inspektion sind an den Schulen mit Entwicklungsbedarf die Leistungen der Schülerschaft schwächer, der Anteil der Kinder mit geringem sozioökonomischem Status oder nichtdeutscher Herkunftssprache ist höher. Nach der Schulinspektion holen die Schulen mit Entwicklungsbedarf gegenüber Schulen ohne Entwicklungsbedarf im Hinblick auf die Leistung nicht auf, der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit niedrigem sozialem Status ändert sich nicht, jedoch steigt der Anteil der Kinder mit nichtdeutscher Herkunftssprache signifikant an.

Die Untersuchung zielt methodisch angemessen auf ein Forschungsdesiderat und ermittelt relevante Ergebnisse, allerdings zeigt sie auch erheblichen Forschungsbedarf, etwa hinsichtlich der Übertragbarkeit der Befunde auf andere Bundesländer, der Vollständigkeit der Erfassung von Unterrichts-/Schulqualität, der zeitlichen Struktur der Entwicklungsprozesse und der Methoden und Voraussetzungen, welche zu schulischer Entwicklung führen. Ein Vergleich der Entwicklungen von Schulen mit vs. ohne festgestellten Entwicklungsbedarf war nicht möglich. Darüber hinaus wird zwar die Segregation der Schülerschaft angesprochen, das möglicherweise dazu führende Prozessgefüge aber nur rudimentär aufgelöst. Somit zeigt die Studie Perspektiven für zukünftige Forschung auf.

Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.

Reflexionsfragen für Lehrkräfte

  • Welche Maßnahmen lassen sich für meinen Unterricht / die Weiterentwicklung an meiner Schule aus dem Ergebnis ableiten, dass es bei der hier vorliegenden Studie leicht bis mittel positive Effekte bei den Indikatoren kognitive Aktivierung und konstruktive Unterstützung gab?
  • Welche Maßnahmen kann ich einleiten, wenn nach der Schulinspektion in meiner Klasse der Anteil der Kinder mit nichtdeutscher Herkunftssprache steigt, damit alle Schülerinnen und Schüler die Lernziele möglichst gut erreichen?

Reflexionsfragen für Schulleitungen

  • Welche Rolle räume ich der Schulinspektion bei der Entwicklung der Schule ein? Wie lassen sich auf der Basis der Ergebnisse Schulentwicklungsmaßnahmen anstoßen? Wie und von wem kann ich dabei Hilfe bekommen?
  • Gibt es spezielle Programme, um Schulen mit erheblichem Entwicklungsbedarf zu stärken?
  • Was beeinflusst das Schulwahlverhalten der Eltern von Schülerinnen und Schülern meiner Schule? Welche Möglichkeiten habe ich, dieses zu beeinflussen?

Mit dem Instrument der Schulinspektion als einer Reformmaßnahme, welche Mitte der 2000er Jahre als Konsequenz aus den PISA-Ergebnissen eingeführt wurde, verbindet sich die Hoffnung, eine Qualitätssteigerung von Schulen und Unterricht anstoßen zu können, indem auf der Basis einer durch umfangreiche Kriterien gestützten Untersuchung und normativer Festlegungen Informationen zur Schulqualität erhoben werden (Rechenschaftsfunktion). Dabei soll – evtuell unter Einbeziehung externer Unterstützungssysteme, aber auch angetrieben durch den Druck, der unter anderem durch die Publikation der Ergebnisse entsteht – eine schulinterne Qualitätsentwicklung initiiert werden. Allerdings ist ebenfalls möglich, dass die Befunde der Schulinspektion von den Schulen missverstanden oder gar zurückgewiesen werden und dass ein Stigmatisierungseffekt im Hinblick auf Schulen, Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler eintritt. Letzteres dürfte vor allem dann gegeben sein, wenn eine Schule deutlich hinter den Qualitätserwartungen zurückbleibt, also bei einer Vielzahl von Indikatoren ungünstige Ausprägungen erkennen lässt. Für Schulen, die in den Inspektionen deutlich hinter den Erwartungen zurückbleiben, wird in Berlin der Ausdruck „Schule mit erheblichem Entwicklungsbedarf“ verwendet.
Vor diesem zwiespältigen Hintergrund fragen Wenger et al. danach, ob mit dem Inspektionsbefund „erheblicher Entwicklungsbedarf“ ein Wandel in Bezug auf Unterrichts- oder Schulqualität, Leistung und Schülerzusammensetzung verbunden ist.

Bislang gibt es zwar zu diesen Punkten eine Reihe von Untersuchungen in Bezug auf die Auswirkungen von Schulinspektionen, doch sind deren Ergebnisse in Teilen widersprüchlich und die Folgen von Inspektionen für Schulen mit erheblichem Entwicklungsbedarf sind wenig bekannt. Wenger et al. fassen wesentliche Befunde der älteren nationalen und internationalen Studien zusammen. Eine Verbesserung von Schul- und Unterrichtsqualität sowie eine Leistungssteigerung der Lernenden als Folge von Schulinspektionen ist demnach möglich, aber keineswegs zwangsläufig und nachhaltig. Zudem treten unerwünschte Effekte auf: Stress, Liegenlassen anderer schulischer Aufgaben, kurzfristiges „Frisieren“ des Erscheinungsbildes (window dressing). Werden die Inspektionsergebnisse veröffentlicht, dann kann zudem das Problem der Stigmatisierung von Schulen auftreten und dies könnte das Schulwahlverhalten von Eltern beeinflussen.

Fokussiert man auf Schulen mit besonderem Entwicklungsbedarf, dann stellen die älteren Studien dort – auch unter der Wirkung externen Drucks – eine Verbesserung der Unterrichts- und Schulqualität fest. Die Schülerleistungen sollen sich stärker verbessern als an anderen Schulen. Allerdings treten auch unbeabsichtigte Effekte auf: pädagogische Akteure fühlen sich ungerecht behandelt, zumal die Dokumentationspflicht Kräfte bindet, strategisches Wissen und Strukturen zur Problemveränderung fehlen und die Unterstützung durch die Schulaufsicht als zu gering empfunden wird.

Aus dieser – speziell für die Verhältnisse an Schulen mit Entwicklungsbedarf in Deutschland lückenhaften – Befundlage leiten Wenger et al. Forschungsbedarf ab, hierzu betrachten sie drei Aspekte (a – c): Der externe Druck und die verstärkte Aufmerksamkeit der Schulaufsicht könnten zu einem großen Interesse führen, bei kommenden Inspektionen besser abzuschneiden. Daraus könnten Veränderungen der Schulpraxis resultieren, die

(a) zu Verbesserungen von Schul- und Unterrichtsqualität führen und

(b) bessere Leistungen von Schülerinnen und Schülern induzieren könnten.

Schließlich könnte die Veröffentlichung der Diagnose „erheblicher Entwicklungsbedarf“ dazu führen, dass

(c) es Veränderungen in der Schülerzusammensetzung gibt, d.h., Eltern könnten versuchen zu vermeiden, ihre Kinder auf eine derartige Schule zu schicken, wobei diese Tendenz je nach sozialem Hintergrund und Migrationsgeschichte der Familie unterschiedlich stark ausfallen könnte.

Stichprobe
Seit 2005 werden in Berlin in einem ca. fünfjährigen Zyklus alle öffentlichen Schulen durch die Schulinspektion begutachtet. Die Auswahl der im jeweiligen Schuljahr untersuchten Schulen erfolgt jeweils nach dem Zufallsprinzip. In die Untersuchung von Wenger et al. gingen die Daten von sämtlichen 333 öffentlichen Berliner Grundschulen aus dem zweiten Zyklus (Schuljahre 2011/12 bis 2016/17) ein.

Für 22 Grundschulen wurde in diesem Zusammenhang ein erheblicher Entwicklungsbedarf festgestellt, für 10 von ihnen erfolgte bis 2017 auch die Nachinspektion (welche im Abstand von 2 bis 3 Jahren nach der Regelinspektion erfolgen soll), 12 werden erst im Rahmen des dritten Zyklus nachinspiziert. Für eine der bereits nachinspizierten Schulen wurde erneut Entwicklungsbedarf festgestellt.

Bereits vor der Inspektion sind von jeder Schule Dokumente vorzulegen (schulinterne Curricula, Gremienprotokolle etc.), danach besucht ein Team aus vier Inspektoren/Inspektorinnen für mehrere Tage die Schule und gibt der Schule anschließend eine Rückmeldung in Form eines Evaluationsberichts zu Stärken und Schwächen der Schule, zum Qualitätsprofil und zum Entwicklungsbedarf. Die Diagnose „erheblicher Entwicklungsbedarf“ wird ausgesprochen, wenn

  • schlechte Ergebnisse bei Leistungsuntersuchungen ohne schulische Konsequenzen geblieben sind,
  • Mängel im Schul/Konflikt-/Beschwerdemanagement bestehen,
  • bei schulspezifischen Problemlagen keine Gegenmaßnahmen ergriffen wurden,
  • erhebliche Mängel beim Personal/Ressourcenmanagement festgestellt werden,
  • eine durchweg schwache Unterrichtsqualität auffällt.

Eine Kurzversion des Evaluationsberichts ist im Internet im Rahmen des Schulberichts öffentlich einsehbar. Zugleich wird den Schulen das Angebot einer prozessbegleitenden Schulberatung gemacht und es sollen Absprachen mit der Schulaufsicht erfolgen, in welchen dokumentiert wird, wie der Entwicklungsstand der Schule verbessert werden soll.

 

Erhebungsinstrumente
Die Untersuchung von Wenger et al. stützt sich auf drei Instrumente:

a. Die Erfassung der Unterrichts-/Schulqualität im Rahmen der Inspektion mit Qualitätsindikatoren.

Dabei werden 19 Merkmale erfasst, indem von mindestens 70 % der Schulkräfte jeweils 20 Minuten des Unterrichts begutachtet werden. Zu den Qualitätsindikatoren gehören zum Beispiel effiziente Klassenführung und kognitive Aktivierung. Ein Indikator für effiziente Klassenführung könnte etwa das Ausmaß sein, in dem Warte- oder Leerlaufzeiten im Unterricht auftreten; kognitive Aktivierung hingegen könnte sich in der Ergebnisoffenheit von Frage- und Problemstellungen spiegeln. Aus den Befunden wird das Unterrichtsprofil der Schule erstellt. Weiterhin werden Interviews mit der Schulleitung, mit Lehrkräften, Schülern/Schülerinnen und Eltern durchgeführt, Schuldokumente und Fragebögen analysiert. Anschließend wird für die 19 Indikatoren eine Bewertung von 1 (schwach ausgeprägter Qualitätsindikator) bis 4 (stark ausgeprägter Indikator) vorgenommen. In der Untersuchung von Wenger et al. werden die Indikatorwerte zusammengefasst für Dimensionen der Unterrichtsqualität (effiziente Klassenführung, kognitive Aktivierung, konstruktive Unterstützung) und der Schulqualität (Schulkultur, Schulmanagement, Kooperation/Koordination, Personalentwicklung).

b. Leistungen der Schülerinnen und Schüler

Die gemittelten Ergebnisse der Vergleichsarbeiten der 3. Jahrgangsstufe (VERA 3) für die Fächer Deutsch und Mathematik wurden als Indikator für die Leistungen von Schülern und Schülerinnen herangezogen. Mit Hilfe einer z-Standardisierung (bei M = 0 und SD =1) wurde der Vergleich von Schulen möglich, für die Tests aus unterschiedlichen Jahren vorlagen.

c. Zusammensetzung der Schülerschaft

Hier wurde – letztlich als Indikator für den Migrationshintergrund – aus der amtlichen Statistik entnommen, ob in der Familie Deutsch die Verkehrssprache ist (0 bis 100 %; 100 % = alle Schüler/Schülerinnen der Schule sprechen daheim nicht deutsch). Darüber hinaus wurde die Befreiung von der Lernmittelzuzahlung als Indikator für den sozioökonomischen Status der Familie herangezogen (0 bis 100 %; 100 % = kein Schüler / keine Schülerin wurde von der Zuzahlung befreit).

 

Auswertung
Bei den zehn Schulen, für die sowohl Ergebnisse der Inspektion als auch der Nachinspektion vorlagen, erfolgte der multitemporale Vergleich der Werte aller Indikatoren der Unterrichts- und Schulqualität auf der Basis von Mittelwertdifferenzen. Der Tatsache, dass die Stichprobengröße klein ist, begegnen Wenger et al. durch die Bestimmung standardisierter Mittelwertdifferenzen (Hedges g). Auch die 95%-Konfidenzintervalle für die Unterrichts- und Schulqualitätsindikatoren wurden berechnet.

Für die Aspekte Veränderungen von Schulleistungen (durch die Inspektion) und Zusammensetzung der Schülerschaft wurden Daten aller 333 öffentlichen Grundschulen ausgewertet. Im Hinblick auf die Vorhersage von (1) Schulleistung, (2) sozioökonomischem Status und (3) Anteil von Kindern mit nichtdeutscher Herkunftssprache wurden Strukturgleichungsmodelle gerechnet. Auf dieser Basis wurde eine Vorhersage dieser drei Aspekte für den Zeitraum ein, zwei und drei Jahre nach der Schulinspektion vorgenommen, unterschieden danach, ob die Schulen starken Entwicklungsbedarf aufwiesen oder nicht.

Mit Blick auf die standardisierten Mittelwertdifferenzen ist für die Schulen mit erheblichem Entwicklungsbedarf bei der Unterrichtsqualität ein geringer bis mittlerer positiver Effekt bei der kognitiven Aktivierung und der konstruktiven Unterstützung nachweisbar, bei der Klassenführung ist kein nennenswerter Effekt zu belegen.

Hinsichtlich der Schulqualität gibt es an Schulen mit erheblichem Entwicklungsbedarf geringe Effektstärken bei der Verbesserung von Kooperation/Koordination und Personalentwicklung, während für Schulkultur und -management keine Veränderungen nachzuweisen sind.

An den Schulen mit erheblichem Entwicklungsbedarf zeigten die Kinder bereits vor den Inspektionen eine geringere Leistung als die Kinder an den Schulen ohne Entwicklungsbedarf. Zugleich war der sozioökonomische Status an den Schulen mit erheblichem Entwicklungsbedarf geringer und der Anteil an Kindern mit nichtdeutscher Herkunftssprache höher.

Vergleicht man die zwischen den Schulen mit und ohne erheblichem Entwicklungsbedarf bestehenden Mittelwertdifferenzen für die drei Jahre nach der Inspektion, dann ist für die Schulleistung und den sozioökonomischen Status keine signifikante Veränderung zu belegen. Allerdings gibt es eine signifikante Erhöhung des Anteils von Schülern/Schülerinnen mit nichtdeutscher Herkunftssprache bei den Schulen mit erheblichem Entwicklungsbedarf gegenüber Schulen ohne festgestellten Entwicklungsbedarf.

Mit der Durchführung von Schulinspektionen verbinden sich sowohl Hoffnungen in Bezug auf die Verbesserung von unterrichtlicher und schulischer Qualität als auch Befürchtungen im Hinblick auf (nicht intendierte) Effekte. Schon vor diesem Hintergrund ist die Studie von Wenger et al. bedeutsam. Dies gilt umso mehr, da sie Schulen mit und ohne Entwicklungsbedarf vergleichend betrachtet und damit ein Forschungsdesiderat füllt. Der Weg zu diesen Befunden ist methodisch angemessen und nachvollziehbar. Dass in die Untersuchung von Wenger et al. die Daten von sämtlichen 333 öffentlichen Berliner Grundschulen aus dem zweiten Zyklus (Schuljahre 2011/12 bis 2016/17) eingingen, ist ein neues Vorgehen, welches einen Teil der Einzigartigkeit der Studie ausmacht.

Wichtig sind auch die Befunde: Es kommt bei Schulen mit Entwicklungsbedarf in der Folge der Inspektion zu einigen geringen/mittleren positiven Effekten bei der Schul- und Unterrichtsqualität, ein Aufholen bei der Leistung erfolgt nicht, auch ist nicht zu erkennen, dass Eltern mit höherem sozioökonomischem Status ihre Wahlentscheidung ändern, allerdings nimmt der Anteil an Schülerinnen und Schülern mit nichtdeutscher Herkunftssprache spürbar zu. Letzteren Effekt bringen Wenger et al. mit der Veröffentlichung der Ergebnisse von Inspektionen in Verbindung.

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So notwendig die hier vorgelegte Studie ist, um ein Forschungsdesiderat zu füllen, so lässt sie doch eine Reihe wesentlicher Aspekte offen und es ist ein Zeichen für die Qualität der Studie, dass Wenger et al. einen erheblichen Teil der weiterhin bestehenden Desiderate selbst benennen.

Die Ergebnisse der Studie sind abhängig vom konkreten Inspektionsverfahren. Dies ist aber von Bundesland zu Bundesland verschieden und auch der Aspekt, ob und wie Evaluationsergebnisse veröffentlicht werden, wird unterschiedlich gehandhabt. Eine Übertragbarkeit der Befunde auf andere Bundesländer ist damit höchstens eingeschränkt möglich. Auch ist fraglich, ob die Evaluation alle relevanten Aspekte von Schulqualität umfasst. Wenger et al. führen etwa an, dass beispielsweise nicht erfasst wird, ob sich Schülerschaft und Lehrkräfte an der Schule wohlfühlen.

Zudem könnte es sein, dass Veränderungsprozesse Zeit benötigen. Somit ist fraglich, ob die in der Studie betrachteten Zeitpunkte optimal gewählt sind.

Wenger et al. führen zu Recht an, dass die Veränderung von Unterrichts- und Schulqualität nur für zehn Schulen mit Entwicklungsbedarf überhaupt bestimmt werden kann. Das ist zum einen eine geringe Anzahl für eine statistische Analyse, die einen übergroßen Einfluss des Einzelfalls auf das Gesamtergebnis hat, zum anderen kann kein Vergleich mit Schulen ohne Entwicklungsbedarf erfolgen, da dort die nächsten Zahlen erst im Rahmen des kommenden Inspektionszyklus erhoben werden.

Nicht bekannt ist, ob und wie die Schulen mit Entwicklungsbedarf auf die Inspektion reagierten, auf welchen Maßnahmen an den Schulen die festgestellten Veränderungen von Schul- und Unterrichtsqualität beruhen und ob beziehungsweise welche Hilfen in Bezug auf Beratung / materielle und personelle Ausstattung hierfür geleistet wurden.

Schließlich erscheint der vermutete Zusammenhang von veröffentlichtem Inspektionsbefund und Schulwahl durch die Eltern stark verkürzt. Nach welchen Kriterien und auf welcher Informationsbasis Eltern die Schule für ihr Kind wählen, dürfte ein hochkomplexer Prozess sein. Dabei dürften neben der Mitteilung von Inspektionsbefunden auch

  • Informationen etwa aus dem Freundes- und Bekanntenkreis, aus eigenen Beobachtungen (etwa im Rahmen von Tagen der offenen Tür oder aus Erfahrungen mit eigenen älteren Kindern, die bereits die Schule besucht haben) sowie
  • Erwartungen an eine Schule im Hinblick auf Erreichbarkeit, schulische Qualitäten, vorherrschendes soziales, kulturelles, ethnisches, religiöses Milieu usw.

eine im Einzelnen schwer bestimmbare Rolle spielen. Ebenfalls eine Rolle könnte spielen, inwiefern es Eltern möglich ist, die Schule für ihr Kind selbst zu wählen und sich dabei gegebenenfalls auch über bestehende administrativ vorgegebene Schuleinzugsgebiete hinwegzusetzen.

Damit bleiben noch die Notwendigkeit und viel Raum für kommende Studien.

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Diese Rezension wurde erstellt von:
Dr. Heinz Sander, Lehrer am Gymnasium der Stadt Kerpen – Europaschule und Privatdozent an der Universität zu Köln

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