Fragestellungen der Studie:
Rezension zur Studie
Teerling, A., Zitzmann, S., Igler, J., Schlitter, T., Ohle-Peters, A., McElvany, N. & Köller, O. (2020). Kommunikative Rahmenbedingungen beim Change Management in der Schule. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie A&O, 64(4), 249–262.Spätestens seit den Ergebnissen der PISA-Studie 2000 können sich auch Schulen in Deutschland nicht mehr den Forderungen nach Veränderung, Fortschritt und Weiterentwicklung entziehen. In der rezensierten Studie wird das Change Management als Form des geplanten Wandels neben der Schulentwicklung als zentrales Instrument zur Gestaltung von Veränderungsprozessen an Schulen ausführlich erläutert und empirisch untersucht.
Teerling et al. analysieren mithilfe einer Mehrebenenanalyse, zur Kombination der Mikro- und Makroperspektive, inwieweit kommunikative Rahmenbedingungen im Veränderungsprozess als relevant für die wahrgenommene Entwicklung der Lehrkräfte und die Diffusion der Veränderung sowie Schüler-Outcomes sind. Hierfür werden Daten von 66 Lehrkräften und Schulleitungen mittels digitaler Fragebögen erhoben und ausgewertet. Ergänzend werden die Lesekompetenzen von 539 Schülerinnen und Schülern untersucht.
Das Autorenteam formuliert ausgehend von den neu gewonnenen Erkenntnissen konkrete Hinweise beispielsweise über den Zusammenhang der individuellen Eigenschaften der Betroffenen sowie die Häufigkeit der Kooperation und die Bedeutung der Zusammensetzung von Projektgruppen für den Erfolg von Veränderungsprozessen.
Die Freiwilligkeit bei der Stichprobenauswahl sowie deren geringer Umfang führen zu einer eingeschränkten Generalisierbarkeit der Ergebnisse. Insgesamt erscheinen die methodische Durchführung und Auswertung jedoch theoretisch fundiert, chronologisch nachvollziehbar und damit für mögliche Folgeforschungen durchaus replizierbar.
Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.
Reflexionsfragen für Lehrkräfte
Reflexionsfragen für Schulleitungen
Anpassung, Fortschritt, Veränderung und Weiterentwicklung von Unternehmen und Organisationen sind in der heutigen Zeit omnipräsente Themen und Herausforderungen. Seit den Ergebnissen internationaler Schulleistungsstudien macht dieser Veränderungsdruck auch vor den Schulen keinen Halt mehr. Verschiedene Programme, wie beispielsweise „Bildung durch Sprache und Schrift“ (BiSS) (McElvany et al., 2018) oder „Steigerung der Effizienz des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts“ (SINUS) (Fischer et al., 2014), sollen Schulen durch gezielte Fortbildungsangebote für Lehrkräfte (Personalentwicklung) sowie die Ausstattung mit entsprechenden Unterrichtsmaterialien (Unterrichtsentwicklung) dabei unterstützen, Veränderungsprozesse zielgerichtet – beispielsweise durch die Einrichtung von Projekt- und Steuergruppen (Organisationsentwicklung) – und damit auf allen drei Ebenen der Schulentwicklung (Rolff, 2007) anzugehen. Schlussendlich sollen entsprechende Programme die Ergebnisse von Schulleistungsstudien positiv beeinflussen.
Aufgrund des Autonomie-Paritäts-Musters wird angenommen, dass Lehrkräfte für ihr berufliches Handeln Autonomie einfordern und Beeinflussung von außen ablehnen. Vor dem Hintergrund des Autonomie-Paritäts-Musters, welches von Lortie (1972) erstmals als berufstypische Verhaltens- und Einstellungsform unter Lehrkräften benannt wurde, seien oben beschriebene Veränderungsprozesse im Kontext Schule mit entsprechenden Schwierigkeiten verbunden. Entsprechend sei die Kooperation zwischen Lehrkräften nicht nur eine zentrale Voraussetzung für Veränderungsprozesse, sondern auch eine große Herausforderung hierfür (Steinert et al., 2006).
In der rezensierten Studie wird die Thematik bezüglich der Veränderungsprozesse in Organisationen von den Autorinnen und Autoren theoretisch eingebettet und erläutert. Hierbei wird vor allem auf die Unterscheidung beziehungsweise das Zusammenspiel von Organisationsentwicklung (als Bestandteil von Schulentwicklung) und Change Management eingegangen. Nach Nerdinger (2019) besteht der wesentliche Unterschied zwischen Change Management und Organisationsentwicklung im Einbezug der Betroffenen in den Prozess selbst. Während das Change Management den geplanten Wandel von außen durch beratende Personen meine, sei bei der Organisationsentwicklung die Schulung der Lern- und Problemlösefähigkeit der Beteiligten selbst und damit eine Entwicklung von innen heraus zentral. Rolff (2012) definiert Change Management im schulischen Kontext als Ergänzung zur von innen angetriebenen Organisationsentwicklung. Er sieht die Ergänzung im Change Management in der Steuerung, Führung und Evaluation von oben.
Teerling et al. betrachten in ihrer Untersuchung sowohl die Häufigkeit als auch die Qualität der Kooperation sowie die (kommunikativen) Eigenschaften zwischen Lehrkräften als bedeutenden Faktor für die Initiierung von Veränderungsprozessen. Hierfür wird ein theoretisches Modell des BiSS-Programms zum fächerübergreifenden Lesen an Grundschulen (McElvany et al., 2018) zugrunde gelegt. Ausgehend von Strukturen und Prozessen an der Einzelschule werden programmbezogene Strukturen und Prozesse fokussiert. Laut Modell wirken diese auf die Unterrichtsqualität sowie die Lehrkraftkompetenz, welche – so die Annahme – sich positiv auf die Schülerkompetenzen im Bereich des Lesens auswirken sollen.
Bei der Implementierung des BiSS-Programms an Einzelschulen werden alle drei Bereiche der Schulentwicklung (Organisation, Unterricht, Personal) miteinbezogen, wobei lediglich die konkrete Umsetzung auf Organisationsebene (z. B. Verankerung im Schulprogramm) eigenständig (bottom-up) gestaltet werden kann. Die zur Verfügung gestellten Unterrichtsmaterialien sowie die Fortbildungsangebote werden hierarchisch (top-down) bereitgestellt. Entsprechend finden sich in den Veränderungsprozessen, die durch das untersuchte BiSS-Programm initiiert wurden, sowohl Elemente der Organisationsentwicklung (durch die Beteiligten selbst) als auch Elemente des Change Managements (gesteuerte Führung und Evaluation von außen).
Teerling et al. untersuchen hierbei kommunikative und kooperative Strukturen und überprüfen diese als mögliche Prädiktoren für die Entwicklung seit Programmbeginn. Ergänzend werden organisationale Prädiktoren über die Schulleitungsvariable (Diffusion der Veränderung) betrachtet und schlussendlich die Wirkung auf die Lernleistungen untersucht. Rogers (2003) definiert in der sozialwissenschaftlichen Diffusionstheorie das Ausmaß oder die Geschwindigkeit, mit der sich neue Ideen dynamisch entwickeln und in einem sozialen System (z. B. Schule) verbreiten. Ziel der Studie ist auch die Formulierung konkreter Hinweise, um durch vergleichbare Programme Veränderungsprozesse an Schulen voranzubringen und in der Folge die Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern zu fördern.
Als Forschungsfrage wird sowohl auf der individuellen Ebene als auch auf Organisationsebene anhand des oben genannten theoretischen Wirkmodells untersucht, inwieweit sich kommunikative Strukturen und Prozesse in den Einzelschulen als relevant für Entwicklungsprozesse identifizieren lassen. Hierfür werden ergänzend die folgenden einseitigen Hypothesen formuliert (Teerling et al., 2020, S. 252):
Stichprobe
Im Rahmen des BiSS-Programms wurden im Zeitraum von 2015 bis 2018 Konzepte und Maßnahmen zur fachübergreifenden Leseförderung und -diagnostik an Grundschulen in sieben Verbünden beziehungsweise Bundesländern evaluiert (BiSS-EvalLesen). Innerhalb der hier vorgestellten Studie wurden in einem querschnittlichen Design an 33 Grundschulen Lehrkräfte (n = 71) sowie Schülerinnen und Schüler (n = 736) auf freiwilliger Basis befragt. Die Daten wurden zum zweiten Messzeitpunkt des Teilprojektes im Sommer 2016 erhoben. Die Schulen bearbeiteten die Module 3 (Diagnose und Förderung der Leseflüssigkeit und ihre Voraussetzungen) und 4 (Diagnose und Förderung des Leseverständnisses). Ein Rücklauf der Fragebögen erfolgte von 30 Schulleitungen (Rücklauf 90,9 %) und 41 Lehrkräften (Rücklauf 57,7 %). In die Datenauswertung konnten jedoch lediglich 66 Fragebögen miteinbezogen werden, da 5 Personen aufgrund ihrer angegebenen Funktion nicht zur Stichprobe gehörten. Die Stichprobe entspricht hinsichtlich Geschlecht und Alter der Grundgesamtheit deutscher Grundschullehrkräfte. Im Durchschnitt waren die Lehrkräfte bereits 21.25 Jahre bei einer Spannweite von 2 bis 42 Jahren im Schuldienst (ohne Referendariat) (SD = 11.2). Am BiSS-Programm wurde im Durchschnitt 21.6 Monate (SD = 9.88) teilgenommen. Zur Erfassung der Lesekompetenz der Schülerinnen und Schüler wurden Daten von 736 Schülerinnen und Schülern mittels Testaufgaben zur Lesekompetenz aus dem IQB-Bildungstrend 2016 erhoben. Insgesamt konnten davon 572 Schülerdatensätze den vorliegenden Lehrkräftedaten zugeordnet werden. In die statistischen Auswertungen fließen die Daten von 539 Schülerinnen und Schüler ein. Der Grund für den Ausschluss der übrigen Schülerdaten wird nicht näher erläutert.
Erhebungsinstrument
Die Daten wurden mittels digitaler Fragebögen mit Likert-Skalen erhoben. Hierfür wurden entsprechende Skalen aufgrund ihrer statistischen Kennwerte (z. B. Cronbachs α) sowie aufgrund ihrer inhaltlichen Passung ausgewählt. Die drei zuerst genannten Skalen wurden mittels explorativer Faktorenanalyse um je ein oder zwei Items gekürzt, wodurch die Reliabilität verbessert werden konnte.
Skalen (Anzahl der Items):
Als abhängige Variable wurde die wahrgenommene Entwicklung seit Programmbeginn zur Erfassung des Veränderungsprozesses erfasst, wobei mittels explorativer Faktorenanalyse drei Subskalen gebildet wurden:
Alle verwendeten Skalen weisen eine akzeptable bis sehr gute Reliabilität (.68 ≤ α ≤ .87) auf.
Da die aufgestellten Hypothesen aufgrund der theoretischen Herleitung gerichtet formuliert sind, wird einseitig getestet und die in Mplus ausgegebenen Signifikanzen werden halbiert.
Datenauswertung
Mithilfe der Statistiksoftware SPSS wurden Lehrkräfte- sowie Schüler- und Schülerinnendaten auf Itemebene ausgewählt und Skalen gebildet. Bei der Mehrebenenanalyse wurden zwei verschiedene Modelle gerechnet, da die Schülerdaten nicht den Lehrkräften, sondern lediglich den Schulen zugeordnet werden konnten. Um Effekte sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene zu berücksichtigen, wird ein Mehrebenensystem gewählt. Hierdurch können individuelle mit organisationalen Faktoren kombiniert betrachtet werden.
In Modell 1 wurden Lehrkräftedaten (individuelle Ebene), Schulleitungsdaten und aggregierte Lehrkräftedaten (Organisationsebene) zusammengefasst. Das Modell 2 berücksichtigte Schülerdaten (individuelle Ebene), Schulleitungsdaten und aggregierte Lehrkräftedaten (Organisationsebene).
Im ersten Mehrebenenmodell wurden die wahrgenommene Entwicklung und die Diffusion der Veränderung als abhängige Variablen untersucht. Ausgehend von einer Intraklassenkorrelation von ρIC= .23 bis .45 können somit 23 bis 45 % der Varianz in den wahrgenommenen Entwicklungen (mental, sensibel, praktisch) auf Unterschiede zwischen den Schulen zurückgeführt werden. Vereinfacht ausgedrückt: Je höher der Intraklassenkoeffizient, desto ähnlichere Ergebnisse werden innerhalb einer Schule im Vergleich zu anderen Schulen erzielt. Aufgrund dessen werden auf Level 2 Prädiktorvariablen auf der Organisationsebene betrachtet.
Ergebnisse zu Hypothese 1
Auf individueller Ebene sind die (kommunikativen) Eigenschaften positiv prädiktiv für die sensible Entwicklung (β = 0.36; p < .05). Die Häufigkeit der Kooperation hängt positiv mit der mentalen (β = 0.44; p < .05) und der sensiblen Entwicklung (β = 0.44; p < .01) zusammen. Ein negativer Zusammenhang wird zwischen der Qualität der Kooperation und der sensiblen Entwicklung (β = –0.33; p < .05) aufgedeckt.
Auf individueller Ebene können die kommunikativen Strukturen und Prozesse 33 bis 49 % der Varianz erklären und damit die Hypothese stützen (bei der Berechnung ohne Kontrollvariablen konnten auf individueller Ebene immerhin 25 bis 43 % der Varianz erklärt werden). Lediglich der negative Zusammenhang bezüglich der Qualität der Kooperation muss weiter geprüft werden.
Ergebnisse zu Hypothese 2
Ein positiver Zusammenhang ergibt sich lediglich zwischen der Zusammensetzung der Projektgruppe mit der sensiblen Entwicklung (β = 0.55; p < .05) sowie mit der Diffusion der Veränderung (β = 0.30; p < .05). Auf organisationaler Ebene können zwischen 41 und 61 % der Varianz damit aufgeklärt werden. Somit kann Hypothese 2b angenommen werden, wohingegen bei Hypothese 2a lediglich die sensible Entwicklung, nicht aber die mentale und praktische Entwicklung gestützt werden können.
Ergebnisse zu Hypothese 3
Positiv prädiktiv auf die Schülerkompetenzen im Bereich Lesen wirkt auf Organisationsebene lediglich die Diffusion der Veränderung (β = 0.68; p < .001). Durch die wahrgenommene Entwicklung der Beteiligten (mental, sensibel, praktisch) können auf organisationaler Ebene 50 % der Varianz aufgeklärt werden. Auf individueller Ebene wird die Lesekompetenz durch das Geschlecht und die Muttersprache zu 9 % aufgeklärt. Insgesamt fällt bei einer Intraklassenkorrelation von ρIC = .12 erwartungsgemäß auf, dass die Ausprägung der Lesekompetenz hauptsächlich auf individueller Ebene entschieden wird.
Hypothese 3b wird somit von den Daten gestützt, wohingegen Hypothese 3a verworfen werden muss.
Hintergrund
Ausgehend von einer umfassenden theoretischen Ausführung über die Merkmale von Organisationsentwicklung und Change Management im schulischen Kontext wird die Lehrerkooperation als zentrale Voraussetzung und mit Blick auf das Autonomie-Paritäts-Muster (Lortie, 1972) als große Herausforderung in Veränderungsprozessen an Schulen benannt. In der Schuleffektivitätsforschung wird die Kooperation zwischen Lehrkräften zudem als Merkmal guter Schulen hervorgehoben (Steinert et al., 2006). Effektive Schulen sind in diesem Zusammenhang durch höhere Schülerleistungen definiert, als es aufgrund des sozioökonomischen Status der Schülerschaft zu erwarten wäre (ebd.). Insofern vereint die rezensierte Studie das Forschungsinteresse bezüglich der Förderung beziehungsweise Anhebung von Schülerleistungen als auch bezüglich der Veränderungsprozesse (u. a. durch Change Management und Kooperation) im schulischen Kontext in einem Forschungsvorhaben und versucht damit, ein bestehendes Forschungsdesiderat zu füllen.
Nach Rolff (2012) müssen bei schulischen Veränderungsprozessen sowohl Elemente des Change Management (als Führung und Steuerung von oben) als auch alle drei Ebenen der Schulentwicklung (Organisation, Unterricht, Personal) berücksichtigt werden. Interessant wäre in diesem Zusammenhang eine weitergehende theoretische und empirische Berücksichtigung der Rolle der Schulleitung, da diese hierbei als Primus inter Pares eine interessante Doppelrolle einnehmen kann.
Insgesamt betten Teerling et al. ihr empirisches Vorhaben ausreichend theoretisch ein. Auch die Auswahl der Fragebogenskalen wird theoretisch und inhaltlich begründet. Insgesamt wird in der theoretischen Beschreibung jedoch nur sparsam auf bestehende Forschungsbefunde zum Zusammenhang von Change Management, Lehrerkooperation sowie -kommunikation und Schülerleistungen eingegangen, wenngleich im Rahmen der Diskussion die gewonnenen Erkenntnisse immer wieder in Bezug auf bisherige Ergebnisse betrachtet werden.
Design
Die Herleitung und Begründung der zugrunde gelegten Forschungsfrage und Hypothesen geschieht theoretisch fundiert, ausführlich und logisch nachvollziehbar. Insgesamt erscheint der Versuchs- und Erhebungsplan nachvollziehbar und ausreichend begründet, wenngleich die Stichprobenziehung kritisch betrachtet werden kann, da hier nach dem Prinzip der Freiwilligkeit vorgegangen wurde. Diesbezüglich wird nicht klar erläutert, wie die teilnehmenden Schulen ausgewählt wurden, beziehungsweise es nimmt unter Umständen bereits nur eine engagierte Positivauswahl an Schulen am BiSS-Projekt teil. Entsprechend kann eine Verzerrung der Ergebnisse nicht ausgeschlossen werden. Auch verweisen Teerling et al. an dieser Stelle darauf, dass die Teilnahme am BiSS-Projekt zumeist durch die Schulleitung, Externe (z. B. Schulamt) oder einzelne engagierte Lehrkräfte und selten durch das Kollegium initiiert wurde. Offen bleibt auch, aus welchem Grund sich die Schülerstichprobe von 572 auf 539 reduziert hat.
Dadurch, dass die Daten der Lehrkräfte sowohl auf individueller Ebene als auch auf Aggregatebene vorliegen, können nicht nur individuelle Einschätzungen, sondern auch Kontexteffekte beispielsweise durch das Schul- oder Arbeitsklima geprüft werden (van Dick et al., 2005). Der Umgang mit möglichen Ausreißern oder entsprechend möglichen Transformationen wird nicht näher erläutert, wenngleich dies bei entsprechend kleinen Stichproben nicht unwichtig ist. Um Ausreißer zu erkennen, können beispielsweise Streudiagramme (Residuen als senkrechter Abstand zwischen Regressionsgeraden und (Ausreißer-)Messwert) oder Perzentile verwendet werden (Urban et al., 2018).
Fehlende Daten im Lehrkraft- beziehungsweise Schülerdatensatz (zwischen 3 und 42 % pro Skala) wurden mittels Multipler Imputation in Mplus 7.4 oder anhand von Klassenlisten (z. B. Geschlecht, Alter) geschätzt beziehungsweise ergänzt. Die Größe der Stichprobe und die Freiwilligkeit der Teilnahme schränken die Generalisierbarkeit der Ergebnisse ein. In Folgestudien wären somit größere Stichproben und darüber hinaus längsschnittliche Erhebungen und gegebenenfalls Auswertungsmethoden, die Effekte differenzierter aufdecken können, weiterführend. Limitierend wirkt bei der rezensierten Studie zudem die Erhebung der wahrgenommenen Entwicklung durch Selbstbeobachtung. Dies führt unter Umständen zu einer Einschränkung der Reliabilität und Validität der Daten (McGraw et al., 2000). Eine weitere Einschränkung ergibt sich hinsichtlich der Zuordnung der Daten. Da Lehrkräfte und Lernende nicht einzeln einander zugeordnet werden konnten, wurden diese lediglich auf Schulebene zusammengefasst (Schulmittelwerte). Dies führt zu einer Vernachlässigung der Varianz innerhalb einer Schule. Zudem wurde nur ein kleiner Teil der jeweiligen Kollegien der teilnehmenden Schulen befragt. Auch bleibt es Aufgabe möglicher Folgeforschungen, weitere Mediationseffekte (ausgehend vom theoretischen Wirkmodell) aufzudecken.
Ergebnisse
Ziel der rezensierten Studie war es, konkrete Hinweise zu formulieren, durch welche individuellen und organisationalen Strukturen Entwicklungsprozesse sowohl auf Ebene der Lehrkräfteprofessionalisierung als auch Verbesserungen der Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler beim Lesen erreicht werden können. Für ein erfolgreiches Change Management in Schulen formulieren Teerling et al. als konkrete Hinweise auf individueller Ebene die sorgfältige Auswahl der Beteiligten und damit die Zusammensetzung von Projektgruppen. Um die eingangs angesprochene Herausforderung im Zuge des Autonomie-Paritäts-Musters möglichst gewinnbringend zu nutzen, erscheint hierbei die freiwillige beziehungsweise wohlüberlegte Zusammenstellung der Projektgruppen äußerst wichtig, um auf der Ebene der Personalentwicklung die beteiligten Lehrkräfte darin zu bestärken, ihren Unterricht und ihre Ideen offen zu teilen und auszutauschen. Die Erkenntnis, dass auf individueller Ebene vor allem die Kooperationshäufigkeit positiv prädiktiv mit der wahrgenommenen Entwicklung der Beteiligten zusammenhängt, wird auf eine bewusste Reflexion durch häufigere Rückmeldungen durch Kolleginnen und Kollegen erklärt. Auch die kooperative Unterstützung kann sich entsprechend positiv auf die wahrgenommene Entwicklung auswirken. Dies deckt sich auch mit bisherigen Studienergebnissen, wonach die Bedeutung von Kooperation in schulischen Implementationsprozessen relevant ist (Steinert et al., 2006; Borko, 2004; Gräsel et al., 2006; Jäger, 2004; Goldenbaum, 2013).
Schätzen die Lehrkräfte ihre Kommunikationsfähigkeit und Vernetzung im Kollegium gut ein, wird eine verstärkte individuelle sensible Entwicklung seit Programmbeginn berichtet. Nehmen die Beteiligten hingegen eine hohe Qualität der Kooperation wahr (z. B. Erreichen von gemeinsamen Zielen), wird die individuelle sensible Entwicklung geringer eingeschätzt. Erklärt wird dies anhand der Entlastung der einzelnen Lehrkraft. Erreicht das Kollegium kooperativ gemeinsam gesetzte Ziele, wird vermutlich weniger über die individuelle Leistung reflektiert und entsprechend wird die sensible Entwicklung geringer wahrgenommen. Auch dieser Befund deckt sich mit Ergebnissen von Steinert et al. (2006), wonach Kooperation differenziert betrachtet werden muss, um detaillierte Zusammenhänge und (Moderations-)Effekte zu erkennen. Der negative Zusammenhang in der rezensierten Studie verschwindet, sobald die kommunikativen Eigenschaften aus dem Modell gerechnet werden.
Auf organisationaler Ebene zeigt sich, dass sich die kooperativen Strukturen und Prozesse (z. B. ausgewiesene Kooperationszeiten) nicht positiv auf die wahrgenommene Entwicklung der Einzelnen auswirken. Hingegen ist hier die Zusammensetzung der Projektgruppen (u. a. Bereitschaft zur Zusammenarbeit, Altersstruktur) entscheidend für die selbst eingeschätzte Entwicklung und die Diffusion beziehungsweise Dynamik der Entwicklung. Auch dies deckt sich mit bisherigen Forschungsergebnissen (z. B. Zacher et al., 2008). An dieser Stelle sei nochmals an die fachübergreifende Struktur des BiSS-Projektes erinnert, wonach die Diagnose und Förderung der Lesekompetenz nicht nur den Deutsch-, sondern auch den Fachunterricht betrifft.
Die Lesekompetenzen der Schülerinnen und Schüler hängen zwei Jahre nach Programmbeginn am stärksten mit der Diffusion der Veränderung an der jeweiligen Schule zusammen. Beispielhaft für die Diffusion kann die Kommunikation durch die Schulleitung über den Erfolg des Programms genannt werden, wobei hier eine ähnliche Begründung wie oben bei den Lehrkräften herangezogen werden kann. Wird der Veränderungsprozess und damit die (erfolgreiche) Teilnahme am BiSS-Projekt für die Lernenden (und Lehrenden) offen kommuniziert, so reflektieren diese vermutlich eher ihren Lernzuwachs. Ist die Teilnahme am BiSS-Programm entsprechend an einer Schule verbreitet und werden Veränderungsprozesse angestoßen, so können schlussendlich auch Schülerkompetenzen gefördert werden.
Abschließend verweisen Teerling et al. darauf, dass die gewonnenen Ergebnisse nicht nur für Schulen interessant sind, sondern auch ähnlich aufgebauten Organisationen, wie beispielsweise Krankenhäusern oder Universitäten, in möglichen Veränderungsprozessen dienlich sein können. Rückschließend können entsprechende Forschungsergebnisse solcher Organisationen auch ansatzweise auf die Organisation Schule übertragen werden beziehungsweise im schulischen Kontext repliziert werden.
Insgesamt sind damit beim Change Management Maßnahmen auf allen Ebenen der Schulentwicklung nach Rolff (2012) einzubeziehen. Eine Kombination aus Top-down-Strategien (z. B. Change Management durch Einrichtung einer BiSS-Projektgruppe) und Bottom-up-Strategien (z. B. Organisationsentwicklung durch die Einbettung von BiSS ins Schulprogramm durch die Beteiligten selbst) scheinen hierbei besonders zielführend zu sein.
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