Fragestellungen der Studie:

  • Wie hängen Sprachkompetenzen mit mathematischen Leistungen in der 3. Klasse zusammen?

Rezension zur Studie

Brunner, E., Bernet, F. & Nänny, S. (2022). Zum Zusammenhang zwischen sprachlichen und mathematischen Leistungen in unterschiedlichen Inhaltsbereichen. Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften 44(2), 167–179.FIS Bildung

Die Forschenden untersuchen in ihrer Studie den Zusammenhang zwischen sprachlichen und mathematischen Kompetenzen bei Schweizer Kindern in der 3. Klasse. Sie erheben dazu zum einen die Sprachkompetenz durch C-Tests, die sie sowohl in Bezug auf die inhaltliche als auch auf die sprachliche Korrektheit der Lösungen auswerten. Zum anderen messen sie die mathematischen Leistungen durch einen standardisierten Test, der Aufgaben aus den Bereichen Arithmetik, Geometrie und Sachrechnen enthält.

Dabei geht es konkret um die Forschungsfrage:
Wie hängen einzelne sprachliche Kompetenzen von Kindern des 3. Schuljahres in der Schweiz mit der mathematischen Leistung in unterschiedlichen Inhalts- bzw. Kompetenzbereichen zusammen?

Die Forschenden finden in ihrer Studie einen engen Zusammenhang zwischen den mathematischen und den sprachlichen Kompetenzen, der im Bereich der Arithmetik weniger stark ist als bei Sachrechenaufgaben. Die Korrelation für Geometrie liegt zwischen den beiden Extremen. Dabei erweist sich der Zusammenhang zwischen den grammatikalisch richtigen Einsetzungen in den C-Tests und den mathematischen Leistungen als höher als der der nur inhaltlich richtigen.
Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, schneiden bei den C-Tests signifikant schlechter ab. In den Mathematikleistungen liegen sie in allen Bereichen hinter den Kindern mit Erstsprache Deutsch, außer beim Subtest Arithmetik.

Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.

Reflexionsfragen für Lehrkräfte

  • Inwiefern mache ich mir die sprachlichen Anforderungen von Mathematikaufgaben bewusst?
  • Wie stelle ich die sprachsensible Gestaltung meiner Aufgaben sicher?
  • Über welche sprachlichen Kompetenzen verfügen die Kinder in meiner Klasse?
  • Was kann ich tun, um Kinder mit geringen sprachlichen Kompetenzen zu unterstützen?

Reflexionsfragen für Schulleitungen

  • Wie kann ich die Lehrkräfte meiner Schule durch die Bereitstellung von Ressourcen zur Diagnose sprachlicher Kompetenzen unterstützen?
  • Inwiefern ist Sprachsensibilität ein Merkmal jedes Fachunterrichts an meiner Schule?
  • Wie stellen wir an meiner Schule sicher, dass wir die besonderen Förderbedarfe von sprachschwachen Schülerinnen und Schülern in allen Fächern im Blick haben?

Seit mindestens 20 Jahren gebe es in der Forschung ein verstärktes Interesse daran zu beleuchten, inwieweit mathematische Leistungen von sprachlichen Kompetenzen beeinflusst werden. Dabei gehe es nicht nur um die Bedeutung der Lesekompetenz beim Bearbeiten von Textaufgaben, sondern auch um Anforderungen des mathematischen Modellierens, das unterschiedliche sprachliche Anforderungen umfasst, und um die Anforderungen grammatischen Verstehens sowie Kenntnisse in der mathematischen Fachsprache. Dieses Interesse werde u. a. dadurch befeuert, dass immer mehr Kinder und Jugendliche in westlichen Industriestaaten zur Schule gehen, deren Erstsprache nicht die des Landes ist. In Schulleistungstests schnitten sie – genauso wie andere Schülerinnen und Schüler mit sprachlich unterdurchschnittlichen Kompetenzen – regelmäßig schlechter ab als Kinder und Jugendliche mit guten sprachlichen Fähigkeiten (Leiss & Plath, 2020).

Für den Einfluss sprachlicher Kompetenzen auf die mathematischen Leistungen würden in Studien signifikante Zusammenhänge gefunden, die in ihrer Stärke aber variieren. Der Fokus liege dabei meist auf dem Leseverständnis und seinem Einfluss auf die Bereiche Arithmetik und Textaufgaben, wohingegen systematische Untersuchungen von Zusammenhängen unterschiedlicher sprachlicher Kompetenzen mit verschiedenen mathematischen Kompetenzen noch ausständen. Differenzierter versuchen also Brunner et al., die Frage zu beantworten, „wie und welche sprachlichen Kompetenzen mit den mathematischen Leistungen in unterschiedlichen Inhaltsbereichen zusammenhängen“.

Für die Studie wurden im März 2020 an 13 Schweizer Grundschulen aus städtischem und ländlichem Milieu 215 Kinder im Alter von durchschnittlich 9.4 Jahren in Bezug auf ihre sprachlichen und mathematischen Fähigkeiten getestet. Zum Einsatz kamen ein C-Test mit fünf kurzen Texten mit insgesamt 100 zu füllenden Lücken, die nach sprachlicher und inhaltlicher Korrektheit ausgewertet wurden, indem die Anzahl sprachformal richtig rekonstruierter Wörter in einem Richtig-falsch-Wert (R/F-Wert) und die Anzahl der sinngemäß richtig rekonstruierten Wörter in einem Worterkennungswert (WE-Wert) abgebildet wurden.

Zur Ermittlung der Mathematikleistungen wurde der DEMAT3+ (Deutscher Mathematiktest für 3. Klassen) eingesetzt, der mit 31 Items Leistungen in den Bereichen Arithmetik, Geometrie und Sachrechnen erfasst. Durchgeführt wurden die Tests an zwei unterschiedlichen Tagen durch die jeweiligen Lehrkräfte der Klassen nach einer Instruktion durch die Forschenden.

Die Daten wurden vom Forschungsteam statistisch in SPSS aufbereitet und ausgewertet. Dabei wurden u. a. Häufigkeitsanalysen und t-Tests zur Überprüfung von Gruppenunterschieden durchgeführt und Effektstärken und Korrelationen berechnet, um Zusammenhänge zwischen den Leistungen in den beiden Tests zu erkennen.

Die Forschenden fanden in ihrer Studie einen engen Zusammenhang zwischen den mathematischen und den beiden untersuchten sprachlichen Kompetenzbereichen. Erwartungsgemäß erwies sich dieser Zusammenhang für die Arithmetik als weniger stark (r = .277 bzw. r = .314) als für Sachrechenaufgaben (r = .465 bzw. r = .500). Die für Geometrie lagen zwischen den beiden Extremen. Die angegebenen Werte zeigen außerdem, dass der Zusammenhang zur Mathematikleistung für alle Bereiche stärker bei den richtigen Ergebnissen im C-Test ist, bei denen nicht nur inhaltliche, sondern auch formalsprachliche Richtigkeit gefragt war (s. jeweils der zweite in den Klammern angegebene Wert). Das deutet darauf hin, dass insbesondere grammatische Fähigkeiten mit mathematischen korrelieren (Viesel-Nordmeyer et al., 2020).

Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, schneiden in beiden Bereichen des C-Tests signifikant schlechter ab. In den Mathematikleistungen liegen sie in allen Bereichen hinter den Kindern mit Erstsprache Deutsch, außer beim Subtest Arithmetik.

Hintergrund
Die Studie kann auf einem breit gefächerten Forschungsstand aufbauen. Sie füllt eine Lücke, indem sie nach spezifischen Zusammenhängen von Kompetenzfacetten in den Bereichen Mathematik und Lesen fragt.

Design
Bei der Beantwortung der Forschungsfrage wurde auf etablierte Instrumente (C-Test und DEMAT3+) zurückgegriffen. Letzterer wurde jedoch ca. drei Monate früher – im dritten Quartal anstatt sechs Wochen vor Ende des Schuljahres – eingesetzt als vorgesehen. Da die Kompetenzen von Kindern im Grundschulalter sich teils sehr schnell entwickeln, ist nicht auszuschließen, dass der Zeitpunkt der Datenerhebung größere Auswirkungen hatte auf die von den Forschenden beschriebene im Ganzen unterdurchschnittliche Leistung im Mathematiktest.

Die Forschenden weisen zudem darauf hin, dass aufgrund der Rahmenbedingungen eine Testung der kognitiven Grundfähigkeiten der Kinder nicht möglich war, wodurch die Intelligenzleistung der Kinder nicht berücksichtigt werden konnte, was die Aussagekraft der Ergebnisse möglicherweise einschränkt.

Ergebnisse
Die Ergebnisse untermauern Ergebnisse bisher vorliegender Studien zum Zusammenhang von sprachlichen und mathematischen Leistungen. Sie machen deutlich, dass sprachliche Fähigkeiten in unterschiedlichen Bereichen der Mathematik in einem Zusammenhang mit mathematischen Kompetenzen und Lernzuwachs stehen. Daraus erwächst die Notwendigkeit, auch bei augenscheinlich spracharmen Aufgaben – im Test waren das Geometrie-Aufgaben – immer die sprachliche Seite mitzudenken und sprachschwachen Kindern entsprechende (fach-)sprachliche Unterstützung zukommen zu lassen. Insofern kann auch mit den Ergebnissen dieser Studie für die Umsetzung von sprachsensiblem Unterricht in allen Schulfächern plädiert werden.

Rezension speichern und teilen
Unterstützung für die Praxis

nrw-wappenStaatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung - ISB

nrw-wappenBildungsserver MV

nrw-wappenOnline-Unterstützungsportal zum Referenzrahmen Schulqualität NRW

nrw-wappenSchulentwicklung NRW

Diese Rezension wurde erstellt von:
Dr. Sonja Hensel, Lehrerin am Berufskolleg in Siegburg sowie Lehrbeauftragte an der Universität Siegen. Arbeitsschwerpunkte: Rechtschreib-, Schreib- und Lesedidaktik, selbstreguliertes und kooperatives Lernen.

Sie haben Fragen oder Anregungen?

Schreiben Sie uns!