Fragestellungen der Studie:

  • Welche Effekte haben Vorgaben zum zeitlichen Umfang und zum Nachweis der Fortbildungsteilnahme von Lehrkräften?

Rezension zur Studie

Kuschel, J., Richter, D. & Lazarides, R. (2020). Wie relevant ist die gesetzliche Fortbildungsverpflichtung für Lehrkräfte? Eine empirische Untersuchung zur Fortbildungsteilnahme in verschiedenen deutschen Bundesländern. Zeitschrift für Bildungsforschung, 10, 211–229.FIS Bildung

Fortbildung wird als so wichtig für die Professionalisierung von Lehrkräften erachtet, dass bundesweit eine Fortbildungspflicht besteht. Die konkreten Regelungen – etwa im Hinblick auf den zeitlichen Umfang der zu besuchenden Fortbildungsmaßnahmen oder eine Nachweispflicht – unterscheiden sich allerdings von Bundesland zu Bundesland, zum Teil fehlen sie völlig. Daher fragen Kuschel et al., inwiefern die länderspezifischen administrativen Vorgaben einen Einfluss darauf haben, ob beziehungsweise in welchem Umfang Lehrkräfte an Fortbildungen teilnehmen.

Anhand der Daten aus 3 IQB-Studien, die Befunde für Grundschulen (2011) und Schulen der Sekundarstufe I (2012, 2015) lieferten, sowie der Einteilung der Bundesländer in 3 Gruppen, abhängig von den konkreten Regelungen zur Teilnahme- und Nachweispflicht, versuchen Kuschel et al., dieses Forschungsdesiderat aufzulösen. Die Daten beruhen auf Fragebogenerhebungen (N = 1.744–4.213), als Rechenmethoden kamen logistische Regressionsmodelle und multiple lineare Regressionen zum Einsatz.

Erwartungswidrig ist bei Lehrkräften mit zeitlich konkretisierter Fortbildungspflicht und/oder Nachweispflicht die Wahrscheinlichkeit des Besuchs von Fortbildungsveranstaltungen nicht systematisch größer als bei den anderen Lehrkräften. Auffällig ist zudem, dass bundesweit im Schnitt 18–30 % der Lehrkräfte in den vorangegangenen beiden Jahren an gar keiner Fortbildung teilgenommen hatten, bei jüngeren Lehrkräften und Männern sind diese Werte besonders hoch. Allerdings nehmen Lehrkräfte aus Ländern mit zeitlich konkretisierter Fortbildungs-/Nachweispflicht an einer größeren Zahl von Fortbildungsveranstaltungen teil als die anderen Lehrkräfte. Auch in dieser Hinsicht ist bei Lehrerinnen und älteren Lehrkräften die Fortbildungsaktivität höher als bei Lehrern und jungen Lehrkräften.

Damit ist die Wirkung von konkretisierten Fortbildungsvorgaben und/oder einer Dokumentationspflicht auf die Bereitschaft, an derartigen Veranstaltungen teilzunehmen, als deutlich geringer als erwartet zu beurteilen. Zur Steigerung der Fortbildungsaktivität schlagen Kuschel et al. unter anderem vor, stärkere Anreize (Gehaltserhöhung, Karrierechancen) zu setzen.

Die Studie nimmt sich zwar eines relevanten Forschungsdesiderats an und zeigt die (unerwartet) geringe Wirksamkeit von konkreten administrativen Regelungen auf, sie wäre allerdings dringend abzusichern durch eine kritischere Auswertung der Daten im Hinblick auf mögliche alters-, geschlechts- und fachspezifische Verzerrungen der Ergebnisse.

Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.

Reflexionsfragen für Lehrkräfte:

  • Welche Fortbildungsverpflichtungen bestehen in welchem Umfang in meinem Bundesland? Gibt es hierzu eine konkretisierte Nachweispflicht (in welcher Form, gegenüber welchem Personenkreis)?
  • Wie wird an meiner Schule mit den Fortbildungs- und Nachweisverpflichtungen umgegangen? Gibt es schulinterne „Belohnungen“ / „Bestrafungen“ für die Fortbildungsteilnahme, etwa hinsichtlich der Berücksichtigung bei Beförderungen oder der Übertragung schulinterner Aufgaben?
  • Was ist für mich der Grund, an Fortbildungen teilzunehmen: eine administrative Weisung? Ein Versuch, eigene Kompetenzdefizite auszugleichen oder meine persönliche Professionalisierung voranzutreiben? Eine allgemeine pädagogische/didaktische Neugier?
  • Wie schätze ich mein eigenes „Fortbildungsverhalten“ ein? Ist meine Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen passend oder möchte ich über Veränderungen nachdenken?

Reflexionsfragen für Schulleitungen:

  • Welche Fortbildungsverpflichtungen bestehen in welchem Umfang in meinem Bundesland? Gibt es hierzu eine konkretisierte Nachweispflicht (in welcher Form, gegenüber welchem Personenkreis)?
  • Halte ich es für bedeutsam, in welchem Ausmaß Lehrkräfte meiner Schule an Fortbildungen teilnehmen? Wie zeige ich meinen Lehrkräften gegenüber an, für wie bedeutsam ich deren Fortbildungsteilnahme halte? Sind nachgewiesene Fortbildungsteilnahmen wichtiger oder weniger wichtig als ein „Funktionieren“ einer Lehrperson in den alltäglichen schulischen Kontexten, etwa in Bezug auf die Vergabe schulischer Posten?
  • Inwieweit wird die Fortbildungsteilnahme von den Lehrpersonen als nützlich und lohnenswert erachtet – sowohl für die persönliche Entwicklung als auch für die Schul- und Unterrichtsentwicklung? Wie kann ich die Motivation für die Teilnahme an einer Fortbildung fördern? Gebe ich dem Transfer von Fortbildungsergebnissen genug Raum?

Vor dem Hintergrund der sich rasch wandelnden gesellschaftlichen und schulischen Rahmenbedingungen gilt die Fortbildung von Lehrkräften als so relevant für die Weiterentwicklung professioneller Kompetenzen und somit zur Erhöhung der Unterrichtsqualität, dass nach Kuschel et al. in allen Bundesländern eine rechtlich bindende allgemeine Verpflichtung dazu besteht; in drei Bundesländern (Hamburg, Bremen, Bayern) gebe es auch konkrete Vorgaben zum zeitlichen Umfang der Fortbildungspflicht.

Große Differenzen bestünden zwischen den Bundesländern hinsichtlich der Nachweispflicht im Hinblick auf besuchte Fortbildungsveranstaltungen: Wer muss die Fortbildung auf welche Weise dokumentieren, wem müssen wann welche Dokumente vorgelegt werden?

Kein Bundesland habe verbindliche Regelungen für den Fall, dass Lehrkräfte der Fortbildungsverpflichtung nicht nachkommen: Immerhin hätten nach den drei IQB-Veröffentlichungen, auf deren Daten diese Untersuchung basiert, im Schnitt zwischen 18 % und 30 % der Lehrkräfte in den vergangenen beiden Jahren nicht an Fortbildungsveranstaltungen teilgenommen. Zugleich würden IQB-Veröffentlichungen deutliche Unterschiede bei der Teilnahme an Fortbildungen zwischen den verschiedenen Bundesländern belegen. 

Derzeit fehlten Erkenntnisse dazu, ob diese Differenzen mit den unterschiedlichen administrativen Regelungen der Bundesländer zusammenhängen. Da eine Untersuchung der möglichen Zusammenhänge von gesetzlichen Vorgaben und tatsächlicher Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen auch für andere Länder (etwa in der OECD) von Interesse sein könnte, aber bislang nach Angaben von Kuschel et al. nicht durchgeführt wurde, greift die vorliegende Studie ein internationales Forschungsdesiderat auf. 

Die Bundesländer werden für den Untersuchungszeitraum (2011–2015) von Kuschel et al. in drei Gruppen aufgeteilt:

  1. Länder, in denen es konkrete Vorgaben zum Umfang der Fortbildungspflicht gibt und auch Nachweispflicht besteht: Hamburg, Bremen, Bayern
  2. Länder, in denen keine konkreten Vorgaben zum Umfang der Fortbildungspflicht bestehen, in denen allerdings ein Nachweis verpflichtend gefordert wird: Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Schleswig-Holstein
  3. Bundesländer, in denen weder konkrete Vorgaben zum Umfang der Fortbildungspflicht noch zum Nachweis der Teilnahme existieren: Saarland, Sachsen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Berlin, Brandenburg, Baden-Württemberg

Kuschel et al. nutzen die Daten aus drei IQB-Veröffentlichungen und verweisen auf den bisherigen Forschungsstand: Der IQB-Ländervergleich 2011 im Primarbereich zeigte besonders hohe Teilnahmequoten für Thüringen und Bayern. Der nachfolgende Ländervergleich (2012, Sek I, Mathematik und Naturwissenschaften) ergab besonders hohe Werte für Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg sowie Hamburg, während in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen die niedrigsten Werte festgestellt wurden. Der IQB-Bildungstrend für 2015 (Sek I, Deutsch und Englisch) wies hohe Quoten in Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg auf, den niedrigsten Wert hatte Rheinland-Pfalz. Auffällig war bei allen drei Beobachtungszeitpunkten, dass die ostdeutschen Länder Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt trotz sehr wenig konkreter Fortbildungsverpflichtungen hohe Teilnahmequoten erreichen, jedoch wurden hier häufig Veranstaltungen mit geringer Stundenzahl besucht.

Kuschel et al. sehen den Forschungsstand als defizitär an und leiten daraus die Notwendigkeit ab zu prüfen, inwiefern länderspezifische rechtliche Vorgaben Einfluss auf die Fortbildungsteilnahme durch die Lehrkräfte haben. Dazu entwickeln sie drei Fragestellungen und formulieren darauf bezogene Hypothesen:

  1. Wirken sich gesetzliche Vorgaben zum Umfang der Fortbildungspflicht auf das Verhalten der Lehrkräfte aus? Kuschel et al. vermuten, dass Lehrkräfte aus der Ländergruppe I (konkretisierte Fortbildungspflicht) mit einer höheren Wahrscheinlichkeit Fortbildungen besuchen als Lehrkräfte aus den anderen beiden Ländergruppen.
  2. Welche Auswirkungen hat die Nachweispflicht für Fortbildungsbesuch auf das Verhalten der Lehrerinnen oder Lehrer? Hier wird angenommen, dass die Lehrkräfte aus den Ländergruppen I und II (Nachweispflicht) mit höherer Wahrscheinlichkeit an Fortbildungsveranstaltungen teilnehmen als Lehrerinnen und Lehrer der Ländergruppe III.
  3. Hat das Fehlen sowohl von konkretisierten Fortbildungspflichten als auch von einer Nachweispflicht Auswirkungen auf die Häufigkeit des Besuchs von Fortbildungsveranstaltungen? Hierzu nehmen Kuschel et al. an, dass Lehrkräfte der Ländergruppe III im Vergleich zu den Lehrerinnen und Lehrern der Ländergruppen I und II weniger Fortbildungsveranstaltungen besuchen.

Stichprobe
Die Datenbasis waren die in den IQB-Ländervergleichen von 2011 sowie 2012 und dem IQB-Bildungstrend 2015 mitgeteilten Zahlen. Hier machten Lehrkräfte Angaben zu demographischen Daten, beruflicher Qualifikation, Berufserfahrung sowie zur Wahrnehmung von Fort- und Weiterbildungsangeboten. Andere IQB-Veröffentlichungen (Ländervergleich 2008/09, Bildungstrend 2018) enthielten entweder keine Angaben zum Fortbildungsthema oder waren zum Zeitpunkt der Analyse noch nicht publiziert.

Am IQB-Ländervergleich 2011 nahmen 1.816 Primarstufen-Lehrkräfte der Fächer Deutsch und Mathematik teil. Da nicht alle auch Angaben zum Fortbildungsverhalten machten, verringerte sich diese Zahl auf 1.744. Im Jahr 2012 wurden 4.213 Lehrkräfte mathematisch-naturwissenschaftlicher Fächer der Sekundarstufe befragt. Auch 2015 nahmen Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarstufe I teil (n = 3.120), diesmal mit den Fächern Deutsch und Englisch. In allen drei Jahren wurden Lehrer und Lehrerinnen von allgemeinen Schulen und Förderschulen befragt.

Erhebungsinstrumente
In einem Fragebogen machten die Lehrkräfte Angaben dazu, an welchen Fortbildungsveranstaltungen sie in den letzten beiden Jahren teilgenommen hatten. Für die Forschungsfragen I und II wurde in einer Ja-nein-Codierung der so gewonnenen Daten erfasst, ob die Lehrkräfte in diesem Zeitraum an Fortbildungen teilgenommen hatten, bei der Forschungsfrage III wurde die Anzahl der besuchten Fortbildungsveranstaltungen verwendet.

Auswertung
Zur Beantwortung der Forschungsfragen I und II wurden logistische Regressionsmodelle gerechnet. Die Ländergruppen I und II bildeten die unabhängigen Variablen, die Fortbildungsteilnahme die abhängige Variable. 

Bei der Forschungsfrage III wurde eine multiple lineare Regression durchgeführt. Erneut waren die Ländergruppen I und II die unabhängigen Variablen. Abhängige Variable war die Häufigkeit der Fortbildungsteilnahme. Da ältere Forschungen einen Einfluss von Alter und Geschlecht auf das Ergebnis vermuten lassen, wurden diese als Kontrollvariablen eingesetzt.

Im bundesweiten Schnitt hatten 18,2 bis 29,6 % der Befragten in den beiden Jahren vor den jeweiligen Befragungen an keiner Fortbildungsmaßnahme teilgenommen. Die Teilnahmequoten lagen bei den Befragungen 2011 und 2012 in der Ländergruppe I (78,8 % bzw. 66,9 %) unter denjenigen der Ländergruppen II (83,2 % bzw. 74,8 %) und III (82,1 % bzw. 71,6 %), 2015 war es umgekehrt (74,8 % vs. 71,3 % und 68,2 %).

Die Zahl der durchschnittlich besuchten Fortbildungsveranstaltungen lag 2011 in der Ländergruppe I mit 3,96 über den Werten der Gruppen II und III (3,76 bzw. 3,29), 2012 wurde der größte Wert in der Gruppe II erzielt (2,77 vs. 2,44 in Ländergruppe I und 2,26 in Gruppe III), 2015 wies wieder die Ländergruppe I den größten Wert auf (2,82 vs. Ländergruppe II: 2,50 und III: 2,09).

Anhand logistischer Regressionen wird die für die Forschungsfrage I formulierte Hypothese (höhere Wahrscheinlichkeit der Teilnahme bei konkreter Fortbildungspflicht) lediglich für 2015 bestätigt, nicht jedoch für 2011 oder 2012: Die konkretisierte Fortbildungspflicht hat also keine konsistente Wirkung auf die Fortbildungsteilnahme.

Nur für das Jahr 2015 ergibt sich für die Ländergruppe I eine höhere Wahrscheinlichkeit zur Fortbildungsteilnahme im Vergleich zur Ländergruppe III, für die Gruppe II ist keine höhere Wahrscheinlichkeit zu belegen. Es fällt auf, dass ältere Lehrkräfte und Frauen mit größerer Wahrscheinlichkeit Fortbildungen besuchten als jüngere Lehrkräfte beziehungsweise Männer.

Die zur Forschungsfrage II formulierte Hypothese (höhere Wahrscheinlichkeit der Teilnahme bei Nachweispflicht) lässt sich also nicht anhand der Daten belegen. Kuschel et al. vermuten als Gründe hierfür, dass einerseits der Nutzen der Dokumentation von den Lehrkräften als gering empfunden wird und Dokumentationen zudem häufig nicht systematisch überprüft werden oder zu Mitarbeitergesprächen mit der Schulleitung heranzuziehen sind. 
Hinsichtlich der Forschungsfrage III stellen Kuschel et al. für alle drei IQB-Studien fest, dass bei konkreter Fortbildungs- und Nachweispflicht (Ländergruppe I) tendenziell eine größere Zahl von Fortbildungen besucht wird als von Lehrerinnen und Lehrern der Gruppe III. Auch Lehrkräfte der Ländergruppe II nehmen an mehr Fortbildungen teil als Lehrkräfte der Gruppe III, was die Hypothese von Kuschel et al. vollständig bestätigt. Zu allen drei Messzeitpunkten nahmen Lehrerinnen an mehr Fortbildungsmaßnahmen teil als Lehrer, 2011 und 2015 war auch die Teilnahmehäufigkeit bei den älteren Lehrpersonen signifikant höher als bei den jüngeren.

Als wesentlichen Befund ihres Forschungsprojekts halten Kuschel et al. fest, „dass sich das Teilnahmeverhalten von Lehrkräften durch gesetzliche Verpflichtungen nur begrenzt steuern lässt. Zudem wurde […] ein Anteil von Lehrkräften deutlich, der an keiner Fortbildung teilnahm“ (S. 227).

Die Studie von Kuschel et al. widmet sich einem Forschungsdesiderat zu einem relevanten schulischen Thema. Das methodische Vorgehen ist prinzipiell zwar nachvollziehbar, jedoch stellen sich zu einigen Punkten Fragen, welche die erzielten Ergebnisse als wenig abgesichert erscheinen lassen: 

Kuschel et al. machen darauf aufmerksam, dass durch die retrospektiven Selbstberichte, auf denen die Daten der ausgewählten Studien beruhen, eine Verzerrung von Angaben durch die Berücksichtigung des sozial Erwünschten auftreten könne. Allerdings ist dieses Problem kaum aufzuheben, da offenbar keine weitere Dokumentation des Fortbildungsverhaltens greifbar ist, mit denen die Lehrerangaben verglichen werden könnten. 

Als problematischer erscheint es, dass die drei ausgewerteten IQB-Studien zum Teil sehr unterschiedliche Befunde liefern: Vergleicht man zum Beispiel die Studien 2011 und 2015 im Hinblick auf die Fragestellung I, dann ist der daraus abzuleitende Befund vollkommen widersprüchlich (S. 220/221). Auch im Hinblick darauf, wie signifikant die aufgrund der Daten der drei Studien statistisch ermittelten Werte sind, gibt es von Jahr zu Jahr erhebliche Unterschiede (S. 223). Wie sicher sind die mitgeteilten Befunde, wenn offenbar jeder zusätzlich herangezogene Datensatz in Bezug auf Ergebnis und Signifikanz ein vollkommen anderes Bild ergeben könnte, wie zufällig sind die von Kuschel et al. erzielten Ergebnisse unter diesen Umständen? 

Zu anderen Punkten wären weitere Angaben wünschenswert gewesen, um Methoden und Ergebnisse richtig einschätzen zu können: Zu den interessantesten und auch statistisch ausreichend abgesicherten Befunden der Studie zählt, dass das Fortbildungsverhalten sich deutlich in Bezug auf Alter und Geschlecht der Lehrperson unterscheidet. Es wird allerdings nicht dargestellt, ob im Hinblick auf die drei ausgewerteten Studien und die drei gebildeten Ländergruppen deutliche Unterschiede bei der Häufigkeitsverteilung von Geschlecht und/oder Alter bestehen. Die Studie 2011 wurde anhand von Grundschulen durchgeführt, die Studien 2012 und 2015 anhand von weiterführenden Schulen. Aus diesem Grund ist es nicht unwahrscheinlich, dass beispielsweise eine Ungleichverteilung des Geschlechterverhältnisses zwischen der Studie 2011 einerseits und den Studien 2012 und 2015 andererseits besteht, die einen Teil der Ergebnisse erklären könnte. Das könnte auch für Unterschiede zwischen den Studien 2012 und 2015 gelten, bei denen Lehrkräfte unterschiedlicher Fächergruppen abgefragt wurden. 

Zudem wäre zu überlegen, ob sich in den unterschiedlichen Daten der Studien von 2012 und 2015 nicht auch Differenzen der fachspezifischen didaktischen Entwicklung verbergen: So mag die didaktische Entwicklung in unterschiedlichen Fächern – etwa in Bezug auf den Einsatz neuer Technologien usw. – verschieden schnell voranschreiten, so dass das Fortbildungsverhalten der Lehrkräfte eher eine Antwort auf diese Entwicklung als auf administrative Vorgaben darstellt. Auch die Frage, inwiefern die Auswahl der Lehrkräfte repräsentativ für das Bundesland ist, wird weder gestellt noch beantwortet.

Insgesamt zeigt sich das für die Bildungspolitik wichtige Ergebnis, dass rechtliche Vorgaben kaum Auswirkungen auf die Fortbildungsteilnahme haben. Auf den ersten Blick mag dieses Ergebnis überraschen, doch ist es erklärbar, wenn man bedenkt, dass die Nichtteilnahme an Fortbildungsveranstaltungen wahrscheinlich häufig zu keinen Konsequenzen führt: Weder die „Bestrafung“ von Verweigerern noch die „Belohnung“ von Teilnehmenden sind rechtlich geregelt. Letztlich erweisen sich Fortbildungs- und Dokumentationspflichten somit als Papiertiger: Es werden zwar Forderungen aufgestellt, deren Befolgung oder Nichtbefolgung könnte aber in vielen Fällen folgenlos bleiben. Selbst in der Ländergruppe I, welche die striktesten Anforderungen an die Lehrerinnen und Lehrer stellt, ist es offenbar problemlos für mindestens 18 % der Lehrkräfte möglich, Fortbildungen über einen längeren Zeitraum auszuweichen. 

Zur Lösung dieses Problems schlagen Kuschel et al. eine systematische Implementation von Fortbildungsanreizen vor. Sie verweisen auf Länder, in denen Fortbildungsteilnahme mit Gehaltserhöhungen und beruflichem Aufstieg verknüpft ist. Ob ein solches Vorgehen sinnvoll ist, kann im Rahmen dieser Rezension nicht beantwortet werden. Denkbar wäre allerdings, dass es dann für Lehrkräfte wichtiger sein könnte, aus Karrieregründen schnell möglichst viele Veranstaltungen unabhängig von deren Qualität und Inhalt sowie dem persönlich empfundenen Bedarf zu besuchen, als durch gelegentliche Fortbildungen gezielt an der Verbesserung ihrer unterrichtlichen und schulischen Kompetenzen zu arbeiten.

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Diese Rezension wurde erstellt von:
Dr. Heinz Sander, Lehrer am Gymnasium der Stadt Kerpen – Europaschule und Privatdozent an der Universität zu Köln

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