Fragestellungen der Studie:

  • Lernen Schülerinnen und Schüler an Privatschulen besser als an öffentlichen Schulen?

Rezension zur Studie

Hoffmann, L., Stanat, P., Maaz, K. & Klemm, K. (2019). Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern an Schulen in privater und öffentlicher Trägerschaft. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 71, 385–408.FIS Bildung

Die Zahl der Privatschulen und der dort lernenden Schülerinnen und Schüler hat sich innerhalb der letzten 25 Jahre in etwa verdoppelt. Dieser Trend provoziert die Kritik, dass hierdurch soziale Segregation und Bildungsungleichheit vorangetrieben werden. Dem liegt unter anderem die Annahme zugrunde, dass an Privatschulen die Kompetenzvermittlung aufgrund günstigerer Lernbedingungen besser gelingt, doch inwiefern trifft das zu?

Auf Basis bundesweiter Daten aus dem IQB-Bildungstrend 2015 vergleichen Hoffmann et al. Ergebnisse aus der 9. Jahrgangsstufe von Schulen in öffentlicher Trägerschaft (524 Gymnasien, 707 nichtgymnasiale Schulen) mit den Ergebnissen von Schulen in privater Trägerschaft (47 Gymnasien, 46 nichtgymnasiale Schulen). Für die Betrachtung des Primarbereichs werden Daten aus dem IQB-Bildungstrend 2016 für die 4. Jahrgangsstufe ausgewertet (1.356 Grundschulen in öffentlicher und 39 Grundschulen in privater Trägerschaft).

Im Rahmen der Sekundäranalyse interessiert das Autorenteam über die erwarteten Kompetenzunterschiede hinaus, ob bei einer statistischen Kontrolle der Selektivität in der Schülerschaft, mithin der sozialen Hintergrundmerkmale sowie der besonderen Komposition von Lerngruppen, die erwarteten Vorteile bei der Kompetenzentwicklung an Schulen in privater Trägerschaft bestehen bleiben.

Im Ergebnis haben Lernende in Privatschulen ohne statistische Kontrolle der Hintergrundmerkmale in fast allen berücksichtigten Kompetenzbereichen Vorteile gegenüber Lernenden an Schulen in öffentlicher Trägerschaft. Aufgrund der Zugangsvoraussetzungen zum Gymnasium fallen die Vorteile privater gegenüber öffentlichen Gymnasien deutlich geringer aus. Die höheren Kompetenzen lassen sich allerdings durchgängig auf die Selektivität der Schülerschaft an Privatschulen und die damit verbundenen Effekte bei der Zusammenstellung von Lerngruppen zurückführen.

Die vorliegende Studie bereichert den Forschungsstand mit den bundesweit bisher statistisch belastbarsten Ergebnissen. Die Erklärung der Kompetenzvorteile für die Lernenden an privaten Schulen durch Selektionsprozesse ist für den Bildungsdiskurs und die weitere Forschung relevant. Die sich andeutende segregative Tendenz insbesondere an öffentlichen Gymnasien und Grundschulen im urbanen Ballungsraum offenbart Handlungsbedarf. Zugleich müssen sich Schulen in privater Trägerschaft fragen, welche Konsequenzen sie für die weitere Schulentwicklung aus dem aus ihrer Sicht sicherlich unbefriedigenden Befund ableiten wollen und können.

Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.

Reflexionsfragen für Lehrkräfte:

  • Welche realistischen Anregungen habe ich an das Schulleitungsteam, um die Klassenkomposition lernförderlicher zu gestalten?
  • Nehme ich in der Aufnahmepraxis für unsere neuen Schülerinnen und Schüler segregative Tendenzen wahr – und wenn ja: welche?

Reflexionsfragen für Schulleitungen:

  • Nach welchen Kriterien erfolgt unsere Lerngruppenkomposition? Sind hier Anpassungen erforderlich, um die Lernwirksamkeit im Unterricht zu erhöhen?
  • Finden bei der Entscheidung zur Aufnahme neuer Schülerinnen und Schüler selektive Prozesse statt? Begünstigen diese eine Verstärkung der Bildungsungleichheit?

Mit dem Begriff „Privatschulboom“ nehmen Hoffmann et al. auf einen Trend im Bildungsdiskurs Bezug, der seit einem Vierteljahrhundert besteht und sich auch in Zahlen des Statistischen Bundesamtes widerspiegelt: Von 1992 bis 2017 verdoppelte sich demnach der Anteil an Schülerinnen und Schülern, die eine Schule in privater Trägerschaft besuchen, von 4,8 % auf 9,1 %. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil von Schulen in privater Trägerschaft von 4,5 % auf 11 % (Statistisches Bundesamt, 2018). Hoffmann et al. verweisen auf die kontroverse Diskussion über diesen Trend in der Bildungspolitik und medialen Öffentlichkeit. Argumentiert werde insbesondere, dass dieser Prozess die soziale Segregation im Bildungssystem begünstige. In dieser Kritik komme außerdem die Sorge zum Ausdruck, dass privilegierte und bildungsnahe Familien durch die Entsendung ihrer Kinder auf Schulen in privater Trägerschaft ihren Vorsprung gegenüber bildungsferneren, weniger privilegierten Familien, die deutlich seltener ihre Kinder auf solche Schulen entsenden, festigten und ausbauten. Dieser Kritikpunkte griffe allerdings nur dann, wenn der empirische Nachweis erbracht wäre, dass Schulen in privater Trägerschaft eine deutlich bessere Kompetenzentwicklung bei ihren Schülerinnen und Schülern befördern als ihre öffentlichen Pendants.

An dieser argumentativen Schlüsselstelle setzt der rezensierte Beitrag an. Das Autorenteam fragt unter Nutzung aktueller Daten aus dem IQB-Bildungstrend nach den Kompetenzvorteilen von Schülerinnen und Schülern an Schulen in privater Trägerschaft gegenüber Schülerinnen und Schülern, die Schulen in öffentlicher Trägerschaft besuchen. Die von Hoffmann et al. analysierten Datensätze betreffen Kompetenzen aus den IQB-Bildungstrend-Untersuchungen, die in vorherigen Studien, die auf Datensätzen der PISA-Studien beruhten, nicht erfasst wurden. Daher darf von einer Bereicherung des Forschungsstands durch den vorliegenden Beitrag ausgegangen werden. Hinzu kommt, dass das Autorenteam mit seinem Forschungsschwerpunkt ein bestehendes Desiderat für Grundschulen erstmals aufgreift: Nie zuvor wurde zum Vergleich der Kompetenzentwicklung zwischen öffentlichen und privaten Schulen ein Datensatz hinzugezogen, der den Primarbereich berücksichtigt. Hervorzuheben ist abschließend, dass das Untersuchungsdesign Kompositionseffekte in der Lerngruppenzusammensetzung systematisch erfasst und sich so von vorherigen Untersuchungen abhebt.

Dass Privatschulen gegenüber öffentlichen Schulen Kompetenzvorteile besitzen, wird in der Forschung hauptsächlich auf zwei Ursachen zurückgeführt, die einander nicht notwendigerweise ausschließen. Einerseits gelten institutionelle Rahmenbedingungen, andererseits die Zusammensetzung der Schülerschaft als Auslöser für Kompetenzentwicklungsvorteile in privaten Schulen. So stellt sich die Frage, ob die Kompetenzvorteile absinken, sofern die individuellen Hintergrundmerkmale der Schülerinnen und Schüler sowie Kompositionseffekte statistisch kontrolliert werden. Vor diesem Hintergrund legt das Autorenteam seiner Studie vier Forschungsfragen zugrunde, die von Frage zu Frage weitere Kontrollvariablen in den Blick nehmen. Auf diese Weise sollen Ursachen für eine möglicherweise bessere Kompetenzförderung an Schulen in privater Trägerschaft gegenüber Schulen in öffentlicher Trägerschaft identifiziert und in ihrer Bedeutsamkeit beurteilt werden.

  1. Welche Unterschiede finden sich bei den im Mittel erreichten Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern privater und öffentlicher Schulen?
  2. Welche Unterschiede finden sich bei den im Mittel erreichten Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern privater und öffentlicher Schulen bei Berücksichtigung individueller Schülermerkmale?
  3. Welche Unterschiede finden sich bei den im Mittel erreichten Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern privater und öffentlicher Schulen, wenn sowohl individuelle Schülermerkmale als auch die Klassenkomposition berücksichtigt werden?
  4. Lassen sich Kompetenzunterschiede in der mündlichen Sprachkompetenz in Englisch zugunsten der Schülerinnen und Schüler an Privatschulen zum Teil auch auf häufigere Sprachlernaufenthalte im englischsprachigen Ausland zurückführen?

Die vorgelegte Studie stellt eine Sekundäranalyse dar, da das Autorenteam für die Beantwortung der aufgeworfenen Forschungsfragen auf Daten aus dem nationalen Bildungsmonitoring der Jahre 2015 und 2016 des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) zurückgriff. In den Datensätzen wurden allgemeinbildende Schulen in öffentlicher und privater Trägerschaft nicht weiter aufgeschlüsselt. Es erfolgte also keine Differenzierung nach spezifisch konfessioneller, reformpädagogischer etc. Ausrichtung des Schulträgers. Für das Jahr 2015 umfasste die Stichprobe 524 Gymnasien sowie 707 nichtgymnasiale Schulen in öffentlicher Trägerschaft und 47 Gymnasien sowie 46 nichtgymnasiale Schulen in privater Trägerschaft. Für das Jahr 2016 setzte sich die Stichprobe aus 1.356 Grundschulen in öffentlicher und 39 Grundschulen in privater Trägerschaft zusammen. Freie Waldorfschulen und Förderschulen blieben aufgrund einer zu geringen Stichprobengröße in der vorliegenden Sekundäranalyse unberücksichtigt.

Für den IQB-Bildungstrend wurden an den teilnehmenden Schulen im Jahr 2015 die Schülerinnen und Schüler am Ende der Jahrgangsstufe 9 im Fach Deutsch im Leseverstehen, Hörverstehen und der Orthografie sowie im Fach Englisch im Leseverstehen und Hörverstehen mittels Kompetenztests untersucht. Im Jahr 2016 wurden die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler zum Ende der Jahrgangsstufe 4 im Fach Deutsch in den gleichen Teilbereichen getestet sowie im Fach Mathematik in den Bereichen Zahlen und Operationen, Raum und Form, Größen und Messen, Muster und Strukturen sowie Daten, Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit. 

Für die Sekundäranalysen nutzte das Autorenteam die in den Datensätzen der IQB-Bildungstrends bereits vorliegenden Plausible Values. Bei diesem Ansatz können auf Gruppenebene erwartungstreue Schätzungen von Mittel- und Streuwerten vorgenommen werden. Die Basis dieses Verfahrens bildet das Prinzip der multiplen Imputation (Rubin, 1987). Um die vorausgesetzten Unterschiede in der Verteilung der individuellen Merkmale der Schülerinnen und Schüler von Schulen in öffentlicher und privater Trägerschaft statistisch kontrollieren zu können, griff das Autorenteam auf eine Methode des Propensity-Score-Matching zurück. 

Bei diesem Verfahren „[…] wird für alle Schülerinnen und Schüler der Stichprobe zunächst ein sogenannter Propensity Score berechnet, der jeweils spezifiziert, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie zur Treatmentgruppe (hier: Besuch einer Privatschule) gehören. Im Anschluss werden die Schülerinnen und Schüler der Treatmentgruppe nur mit denjenigen Kindern und Jugendlichen der Kontrollgruppe (hier: Besuch einer öffentlichen Schule) verglichen, die einen ähnlichen Propensity Score haben, also eine ähnlich hohe Wahrscheinlichkeit für den Besuch einer Privatschule aufweisen“ (Hoffmann et al., 2019, S. 396). 

Durch ein weiteres Matching wurde zusätzlich die Klassenkomposition berücksichtigt und statistisch für den mittleren HISEI der Eltern kontrolliert. Daten zur Beantwortung von Forschungsfrage 4 wurden in den IQB-Bildungstrends mit Hilfe eines zusätzlichen Schülerfragebogens erhoben und vom Autorenteam in diese Studie einbezogen.

Forschungsfrage 1: Welche Unterschiede finden sich bei den im Mittel erreichten Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern privater und öffentlicher Schulen?

Ohne statistische Kontrolle der Hintergrundmerkmale verfügen Schülerinnen und Schüler von Schulen in privater Trägerschaft in fast allen berücksichtigten Kompetenzbereichen über Leistungsvorteile gegenüber den Schülerinnen und Schülern von Schulen in öffentlicher Trägerschaft. Dieser Befund gilt besonders für Schülerinnen und Schüler von Grundschulen und nichtgymnasialen weiterführenden Schulen. Für die Schulform Gymnasium fanden sich für die Schülerinnen und Schüler von Schulen in privater Trägerschaft lediglich im Fach Deutsch (Lesen und Zuhören) signifikante Vorteile gegenüber den Leistungen der Schülerinnen und Schüler öffentlicher Gymnasien. Für das Fach Englisch konnten im Mittel keine signifikant höheren Werte festgestellt werden.

Forschungsfrage 2: Welche Unterschiede finden sich bei den im Mittel erreichten Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern privater und öffentlicher Schulen bei Berücksichtigung individueller Schülermerkmale?

Die Kompetenzunterschiede der Schülerinnen und Schüler von Schulen in privater und öffentlicher Trägerschaft nähern sich deutlich an, wenn lern- und leistungsrelevante Hintergrundmerkmale wie beispielsweise der sozioökonomische Status der Eltern statistisch kontrolliert werden. Weiterhin treten Unterschiede im Primarbereich deutlich zutage, wenngleich nur in der Kompetenzdimension Zuhören. Dort entspricht der Leistungsvorteil der Schülerinnen und Schüler aus Grundschulen in privater Trägerschaft zum Ende der 4. Jahrgangsstufe etwa ein Vierteljahr gegenüber den Kindern von Grundschulen in öffentlicher Trägerschaft. Nichtgymnasiale weiterführende Schulen in privater Trägerschaft generieren einen signifikanten Leistungsvorteil für ihre Schülerinnen und Schüler beim Zuhören im Fach Deutsch (circa neun Monate) sowie im Fach Englisch beim Leseverstehen (circa zwei Monate) und beim Hörverstehen (circa drei Monate) im Vergleich zur Schülerschaft öffentlicher nichtgymnasialer Schulen der Sekundarstufe I. Disparat ist das Bild bei der Schulform Gymnasium: Während Schülerinnen und Schüler von Gymnasien in öffentlicher Trägerschaft signifikante Leistungsvorteile beim Leseverstehen im Fach Englisch vorweisen, liegen die Leistungsvorteile beim Zuhören im Fach Deutsch auf Seiten der Schülerinnen und Schüler von Gymnasien im privater Trägerschaft – übrigens jeweils im Zeitraum von einem halben Jahr.

Forschungsfrage 3: Welche Unterschiede finden sich bei den im Mittel erreichten Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern privater und öffentlicher Schulen, wenn sowohl individuelle Schülermerkmale als auch die Klassenkomposition berücksichtigt werden?

Die in der Engführung von der ersten zur zweiten Forschungsfrage ermittelte Reduktion der Kompetenzunterschiede setzt sich in den Ergebnissen für die dritte Forschungsfrage fort: Nach statistischer Kontrolle der Klassenkomposition ergibt sich für die Schülerinnen und Schüler privater Grundschulen ein signifikant höherer Mittelwert beim Zuhören im Fach Deutsch (circa 2–3 Monate) im Vergleich zu den Schülerinnen und Schülern von öffentlichen Grundschulen. Andererseits zeigen die Analysen, dass die Kinder von öffentlichen Grundschulen im Mittel bei den erreichten mathematischen Kompetenzen über einen statistisch signifikanten Leistungsvorteil gegenüber den Kindern der privaten Grundschule verfügen (weniger als ein Monat). Schülerinnen und Schüler von nichtgymnasialen Schulen in privater Trägerschaft erzielten im Mittel signifikant höhere Kompetenzniveaus beim Zuhören im Fach Deutsch (circa 4–5 Monate) und beim Hörverstehen im Fach Englisch (circa 2–3 Monate) gegenüber den Schülerinnen und Schülern aus nichtgymnasialen Schulen in öffentlicher Trägerschaft. Die erzielten Kompetenzniveaus im Fach Englisch sind bei den Schülerinnen und Schülern aus den Gymnasien in privater Trägerschaft im Mittel signifikant ungünstiger als bei den Schülerinnen und Schülern, die Gymnasien in öffentlicher Trägerschaft besuchen. Im Ganzen hat die Klassenkomposition an privaten Schulen einen positiven Effekt auf die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler.

Forschungsfrage 4: Lassen sich Kompetenzunterschiede in der mündlichen Sprachkompetenz in Englisch zugunsten der Schülerinnen und Schüler an Privatschulen zum Teil auch auf häufigere Sprachlernaufenthalte im englischsprachigen Ausland zurückführen?

Da die Ergebnisse auf Forschungsfrage 3 bei gymnasialen Schulen in privater Trägerschaft im Kompetenzzuwachs signifikante Leistungsnachteile aufzeigen, berücksichtigt das Autorenteam zur Beantwortung der letzten Forschungsfrage ausschließlich nichtgymnasiale Schulen.

Schülerinnen und Schüler von nichtgymnasialen Privatschulen besuchen signifikant häufiger ein englischsprachiges Land bzw. englische Schulfahrten oder Sprachkurse als die Schülerinnen und Schüler aus nichtgymnasialen öffentlichen Schulen. Letztere nehmen ihrerseits signifikant häufiger an Austauschprogrammen teil. „Werden diese Angaben zusätzlich als Kontrollvariablen in das lineare Regressionsmodell […] einbezogen, lässt sich nur eine geringfügige Reduktion des Leistungsvorteils zugunsten von Schülerinnen und Schülern an Privatschulen feststellen“ (Hoffmann et al., 2019, S. 401).

Fazit
Die Beantwortung der vier Forschungsfragen liefert keine konsistenten Belege, dass Schulen in privater Trägerschaft in der Kompetenzvermittlung signifikant leistungsfähiger sind als Schulen in öffentlicher Trägerschaft. Vielmehr lassen sich unter Berücksichtigung der relevanten Kontrollvariablen die bestehenden Vorteile bei der Kompetenzvermittlung an privaten Schulen grosso modo auf die Selektivität der Schülerschaft und die damit verbundenen Kompositionseffekte bei der Lerngruppenbildung zurückführen. In einigen Bereichen finden sich bei statistischer Kontrolle der sozialen Selektivität sogar Vorteile in der Kompetenzvermittlung auf Seiten der Schulen in öffentlicher Trägerschaft. Das bedeutet umgekehrt, dass es den Schulen in privater Trägerschaft nicht uneingeschränkt gelingt, die Vorteile ihrer günstiger zusammengesetzten Schülerschaft für eine bessere Kompetenzvermittlung zu nutzen.

Hintergrund
Durch ihre Studie ergänzen Hoffmann et al. den Diskurs zum „Privatschulboom“ mit aktuellen Daten, die zudem neue Kompetenzbereiche und die Schulform Grundschule involvieren. Damit bereichert vorliegende Sekundäranalyse die Forschung in der Beschäftigung mit der Frage, ob Schulen in privater Trägerschaft eine bessere Kompetenzentwicklung bei ihren Schülerinnen und Schülern evozieren als öffentliche Schulen. Die Einführung in die theoretischen und empirischen Hintergründe zu den Kompetenzvorteilen von Privatschulen erfolgt präzise, in fachlicher Hinsicht multiperspektivisch und unter Berücksichtigung der einschlägigen Forschungsarbeiten. Sie bietet insbesondere schnell Rezipierenden eine effektive Gelegenheit, sich einen Überblick über die in der Forschung diskutierten Ursachen für die Kompetenzvorteile privater Schulen im angloamerikanischen Raum und in Deutschland zu verschaffen. Ausgehend von der Darstellung des Forschungsstandes und den darin erkennbaren Traditionen leitet das Autorenteam nicht nur stimmig die vier Forschungsfragen ab, sondern schärft diese durch zugeordnete Forschungshypothesen zusätzlich aus. Die erzeugte Transparenz befindet sich auf einem hohen Niveau.

Design
Entsprechend einer Sekundäranalyse beschreibt das Autorenteam zunächst mit Blick auf die zugrunde liegenden Daten aus dem IQB-Bildungstrend die Stichprobe, die Instrumente inklusive der getesteten Kompetenzen und erfragten sozioökonomischen Hintergrundinformationen. Die Darstellung ist aussagekräftig und nachvollziehbar im Hinblick auf die relevanten Designaspekte. Ein Online-Anhang ergänzt weiterführende Detail-Informationen.
Im anschließenden Methodenteil wird das hohe Transparenzniveau beibehalten. Die Methoden zur Datenauswertung für die Sekundäranalyse werden umfangreich erläutert. Hierbei muss eingeräumt werden, dass ein tiefergehendes methodisches Vorwissen einem zügigen Rezeptionsprozess zuträglich ist.

Ergebnisse
Die aufgeworfenen vier Forschungsfragen werden in dem vorgelegten Beitrag beantwortet. Die entwickelten Hypothesen, welche den Forschungsfragen zugeordnet sind, werden durch diesen Beitrag bestätigt. Auf Grundlage aktuellerer Daten sowie einer Weitung des Fokus auf bisher unberücksichtigte Kompetenzen und die Primarstufe bereichert das Autorenteam den vorherigen Forschungsstand mit den bundesweit bisher statistisch belastbarsten Ergebnissen.

Es wird gezeigt, dass die Vorteile in der Kompetenzvermittlung durch private Schulen hauptsächlich auf die Selektivität der Schülerschaft und die damit einhergehenden Kompositionseffekte bei der Lerngruppenbildung zurückgeführt werden können. Dieser Globalbefund ist für den einleitend aufgezeigten Diskurs zum „Privatschulboom“ bedeutsam. Die geringer ausfallenden Kompetenzvorteile privater Gymnasien erklären Hoffmann et al. damit, dass auch bei Gymnasien in öffentlicher Trägerschaft ein selektiver Zugang vorliegt, weshalb die Unterschiede in der Zusammensetzung der Schülerschaft zwischen privaten und öffentlichen Gymnasien weit geringer ausfallen als beispielsweise zwischen privaten und öffentlichen Grundschulen oder Gesamtschulen.

Eingedenk dessen regt das Autorenteam für Folgeuntersuchungen an, qualitative und quantitative Unterschiede in den Lehr-Lern-Settings und deren Wirksamkeit zwischen Schulen in privater und öffentlicher Trägerschaft genauer zu untersuchen. Einschränkend sei darauf verwiesen, dass in den IQB-Bildungstrend-Datensätzen nicht zwischen den unterschiedlichen programmatischen Ausrichtungen der privaten Schulträger differenziert wird. So kommt späteren Forschungsvorhaben die Beantwortung der Frage zu, mit welcher Wirksamkeit beispielsweise dezidiert reformpädagogische Schulen in privater Trägerschaft die spezifischen Selektionspotenziale für die Kompetenzentwicklung im Vergleich zu Schulen mit konfessionellen oder anderweitig profilierten Schulträgern nutzen. Wünschenswert wäre ebenfalls eine Detailuntersuchung, inwiefern ein höheres partizipatives Engagement der Elternschaft in Schulen mit privater Trägerschaft den Kompetenzzuwachs der Schülerinnen und Schüler beeinflusst.

Ein wesentlicher Konflikt im „Privatschulboom“-Diskurs berührt den Aspekt der sozialen Segregation. Hierbei wird häufig impliziert, dass Segregationsprozesse primär zwischen dem öffentlichen und dem privaten Schulsektor verlaufen. Tatsächlich können aber auch Schulen in öffentlicher Trägerschaft und hier insbesondere Gymnasien und Grundschulen in großstädtischen Lagen aus diversen Gründen dazu tendieren, eine soziale Entmischung ihrer Schülerschaft zu fördern. Insofern sollten Anschlussuntersuchungen das Segregationsphänomen nicht nur bipolar zwischen privaten und öffentlichen Schulen erforschen, sondern auf das bundesdeutsche Schulsystem in all seinen Facetten beziehen. 

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Unterstützung für die Praxis
Diese Rezension wurde erstellt von:
Dr. Holger Braune, Schulleiter an der Freien Christlichen Gesamtschule Düsseldorf

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