Fragestellungen der Studie:

  • Wodurch wird die Lesekompetenz von Grundschulkindern beeinflusst und wie lässt sie sich fördern?

Rezension zur Studie

Goy, M., Valtin, R. & Hußmann, A. (2017). Leseselbstkonzept, Lesemotivation, Leseverhalten und Lesekompetenz. In A. Hußmann et al. (Hrsg.), IGLU 2016. Lesekompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich (S. 143–175). Münster, New York: Waxmann.FIS Bildung

Goy et al. untersuchen den Zusammenhang von individuellen und familiären Faktoren mit der Lesekompetenz von Viertklässlerinnen und Viertklässlern. Anhand von Daten der IGLU-/PIRL-Studien der Jahre 2001 bis 2016 beleuchten sie dabei zum einen den Einfluss des Leseselbstkonzepts, der Lesemotivation und des Leseverhaltens auf die Leseleistung. Zum anderen fragen sie, inwiefern diese individuellen und familiäre Bedingungsfaktoren wie sozioökonomischer Status, Migrationshintergrund, Bildungsniveau, aber auch die innerfamiliäre Lesesozialisation dazu beitragen, dass Kinder ein erhöhtes Risiko haben, zu schwachen Leserinnen und Lesern zu werden. Das Autorenteam greift auf die Ergebnisse von Lesekompetenztests und Fragebögen zurück, die Grundschulkinder der 4. Jahrgangsstufe, ihre Eltern und Lehrkräfte seit 2001 im Fünf-Jahres-Rhythmus im Rahmen der o. g. Studien ausfüllten. Dabei werden Trends deutlich und es sind internationale Vergleiche möglich.

Goy et al. präsentieren eine große Bandbreite an interessanten Ergebnissen. So ist in Deutschland bei einem Großteil der Kinder eine positive Einstellung zum Lesen und eine ebensolche Einschätzung ihrer eigenen Lesefähigkeit vorzufinden. Dazu passt, dass fast zwei Drittel zumindest ein- bis zweimal wöchentlich zu ihrem Vergnügen lesen und die Hälfte mindestens ein- bis zweimal im Monat eine Bibliothek nutzt. Betrachtet man aber den Trend seit 2001, dann findet man in fast allen Kategorien eine Verschlechterung der Werte – nicht nur in Deutschland, sondern in so gut wie allen teilnehmenden Ländern. Was hierzulande besonders bedenklich stimmt, ist, dass sich der negative Trend besonders deutlich bei den schwachen Leserinnen und Lesern zeigt. Es verwundern nicht die Befunde, dass Kinder aus Akademikerfamilien ein deutlich vermindertes Risiko haben, zu den Leseschwachen zu gehören, Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund ein deutlich erhöhtes. Dieses Risiko kann durch eine positive Ausprägung der oben genannten Bedingungsfaktoren abgemildert werden.

So verdeutlicht die Studie einmal mehr, dass Schule ein vermehrtes Augenmerk auf das Sechstel der Schülerinnen und Schüler legen muss, das in der 4. Jahrgangsstufe über unzureichende Lesekompetenzen verfügt. Dabei kann zum einen an den untersuchten Bedingungsfaktoren angesetzt werden, wozu auch ein intensiverer Kontakt zu den Eltern gehört, um diese bei einer positiven Lesesozialisation ins Boot zu holen. Zum anderen weisen Goy et al. darauf hin, dass an der Förderung der Lesekompetenz selbst – bspw. durch Lernprogramme zum Erwerb von Lesestrategien – angesetzt werden muss, denn Leseselbstkonzept, Lesemotivation, Leseverhalten und Lesekompetenz stehen in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis, das leicht in eine Abwärtsspirale führen kann. Dies von einem Teufels- in einen „Engelskreis“ zu überführen, wie es das Autorenteam ausdrückt, ist eine zentrale Aufgabe – nicht nur der Grundschule.

Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.

Reflexionsfragen für Lehrkräfte:

  • Was weiß ich über die individuelle Leseleistung meiner Schülerinnen und Schüler?
  • Wie sehen Leseselbstkonzept, Lesemotivation und Leseverhalten meiner Schülerinnen und Schüler aus?
  • Was tue ich im Unterricht, um die Leseleistung auf der kognitiven (z. B. durch die Vermittlung von Lesestrategien), aber auch auf der motivationalen Ebene zu fördern?
  • Inwieweit habe ich bislang das familiäre Umfeld bei der Leseförderung berücksichtigt? Wie kann ich das zukünftig tun?

Reflexionsfragen für Schulleitungen:

  • Welche Ressourcen brauchen die Lehrkräfte meine Schule, um Leseleistung individuell diagnostizieren und fördern zu können?
  • Welche Ansätze existieren, um die Zusammenarbeit mit den Eltern zu fördern?
  • Welche externen Partnerinnen und Partner können bei der Förderung der Lesekompetenz hilfreich sein?

Die Basis der IGLU-Studie und damit auch der hier vorgestellten Studie von Goy et al. (2017) bildet eine Definition der Lesekompetenz als Fähigkeit, „verschiedene Arten von Texten, die gesellschaftlich relevant sind und/oder individuell wertgeschätzt werden, zu verstehen und zu nutzen“ (ebd., S. 143). Diese folgt dem Ansatz einer Reading Literacy, der sich dadurch auszeichnet, dass er nicht nur kognitive Faktoren in den Blick nimmt, sondern auch „motivationale und verhaltensbezogene Aspekte“ (ebd.). So rücken fast zwangsläufig das Leseselbstkonzept und die Lesemotivation in den Fokus des Interesses, denn sie beeinflussen – vermittelt durch das Leseverhalten –, wie die kognitiven Ressourcen genutzt werden.

Selbstkonzepte werden verstanden als „eine interne, kognitive Repräsentation des Wissens über sich selbst und der darin eingeschlossenen Überzeugungen“ (ebd., S. 144). Das Leseselbstkonzept wird dabei als Teil des akademischen, genauer des verbalen Selbstkonzepts gesehen. Goy et al. führen zahlreiche Studien an, die zeigen, dass das Leseselbstkonzept vom Eintritt in die Grundschule an in engem Zusammenhang zur Lesekompetenz steht, wobei ein positives Selbstkonzept mit einer hohen Leseleistung und ein negatives mit einer niedrigen Leseleistung einhergeht.

Motivation definieren Goy et al. nach Deci und Ryan (1985) „allgemein als zielgerichtete Verhaltensbereitschaft“, wobei sie für den Bereich der Lesekompetenz besonders die intrinsische Motivation hervorheben, d. h. die Motivation, die entsteht, wenn Lesen aus sich selbst heraus als interessante Tätigkeit erlebt wird, die mit positiven Gefühlen verbunden wird. Für deren enge Verbindung mit der Leseleistung nennen Goy et al. eine Vielzahl von empirischen Ergebnissen.

Für ihre Studie gehen die Autorinnen und Autoren zudem davon aus, dass beide Faktoren – Leseselbstkonzept und intrinsische Lesemotivation – im Rahmen eines Erwartung-x-Wert-Modells (Wigfield, Rosenzweig & Eccles, 2017) die dritte in der Studie untersuchte Komponente, das Leseverhalten, beeinflussen. Leseverhalten sei sozusagen das Produkt aus Leseselbstkonzept und -motivation wie in einer mathematischen Gleichung. Je stärker ein positives Leseselbstkonzept und eine intrinsische Lesemotivation bei einem Individuum ausgeprägt seien, desto höher fielen Lesemenge und Lesehäufigkeit (= Leseverhalten) aus. Das Leseverhalten wird somit als vermittelnde Variable angesehen, weil es seinerseits positiv auf das Leseverständnis wirke. Dieser Zusammenhang ist empirisch gut untersucht, wofür das Autorenteam eine Vielzahl von Studien anführt. Dabei ist zu beachten, dass dieser Zusammenhang sowohl im positiven als auch im negativen Sinne vorhanden ist: Ein positives Selbstbild und eine ausgeprägte Motivation führen dazu, dass häufig gelesen wird, was wiederum die Lesekompetenz fördert. Wenn die eigenen Fähigkeiten als schlecht angesehen werden und nur eine geringe Motivation vorhanden ist, wird selten gelesen und damit kann die Lesekompetenz schwerer ausgebaut werden.

Neben diesen Faktoren nimmt die Studie familiäre Bedingungsfaktoren in den Blick. Goy et al. unterscheiden dabei Strukturmerkmale, wie sozioökonomischer Status, Bildungsniveau und Migrationshintergrund, von Prozessmerkmalen (z. B. kulturelle Aktivitäten, häusliche Lesesozialisation oder die kommunikative Praxis in der Familie). Für Letztere nehmen sie wiederum eine vermittelnde Rolle an. Das heißt, dass beispielsweise ein hoher sozioökonomischer Status zu einer bestimmten Art kultureller Aktivitäten (z. B. zum Besuch von Theater und Bibliotheken) führe, die dann wiederum die Lesekompetenz positiv beeinflussen würde. 

Die vorgestellten Daten entstammen der IGLU-Studie (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) sowie ihrem internationalen Pendant, der PIRL-Studie (Progress in International Reading Literacy Study). Für die IGLU-Studie wurden seit 2001 in einem Fünf-Jahres-Rhythmus ca. 4.000 Schülerinnen und Schüler der 4. Klasse an 200 Grundschulen in Deutschland (2001, 2006, 2011, 2016) mit einem standardisierten Lesetest getestet und mit Fragebögen befragt; international fand die PIRL-Studie in ähnlichem Umfang und unter den gleichen Rahmenbedingungen in 35 (2001) bis 57 (2016) Ländern statt. 

Das Leseverständnis wird in den Studien in fünf Kompetenzstufen eingeteilt: von einem allenfalls rudimentären (Stufe I) bis zu einem fortgeschrittenen Leseverständnis (Stufe V). Dabei wird davon ausgegangen, dass das Erreichen von Kompetenzstufe III für einen erfolgreichen weiteren Bildungsweg notwendig ist.

Goy et al. stellen die Ergebnisse für das Leseselbstkonzept, die Lesemotivation und das Leseverhalten dar. Dazu wurden für die ersten beiden Konzepte jeweils aus den Fragebögen, die die Schülerinnen und Schüler ausgefüllt haben, mehrere Items mit Punkten kodiert und zu einer Skala verbunden. So konnten Mittelwerte gebildet werden und das Leseselbstkonzept bzw. die Lesemotivation in die Kategorien „niedrig“, „mittel“ und „hoch“ eingeteilt werden. Das Leseverhalten wurde ebenfalls durch die Schülerfragebögen erhoben. Ausgewertet wurde dann, ob und wenn ja, wie oft die Schülerinnen und Schüler zu ihrem Vergnügen lesen, wie lange sie pro Tag lesen und wie oft sie eine Bibliothek nutzen. 

Für alle drei Faktoren stellt das Autorenteam einen Zusammenhang zum Leseverständnis her. Zudem werden die deutschen Ergebnisse mit denen anderer teilnehmender Länder verglichen.

In einem zweiten Schritt wird durch Regressionsanalysen herausgearbeitet, welchen Anteil diese individuellen Bedingungsfaktoren und welchen Anteil die familiären Bedingungsfaktoren (s. Abschnitt Hintergrund) an dem Risiko haben, dass Schülerinnen und Schüler nur eine unzureichende Lesekompetenz in der 4. Klasse aufweisen.

Das Leseselbstkonzept ist bei fast drei Viertel (73,4 %) der befragten Viertklässlerinnen und Viertklässler hoch, bei einem weiteren Fünftel (21,4 %) mittel und nur bei 5,1 % niedrig. Leseselbstkonzept und Leseverständnis stehen „erwartungsgemäß“ (ebd., S. 150) in einem positiven Verhältnis. Im Vergleich zu der Erhebung von 2011 gibt es wenig Veränderung. Bemerkenswert ist lediglich, dass der Anteil von Kindern, die ein hohes Selbstkonzept haben, aber eine niedrige oder mittlere Lesekompetenz, gesunken ist von 51,6 % auf 43,9 % bzw. von 72,5 % auf 67,5 %. Die Einschätzungen fallen also „etwas realistischer aus“ (ebd.).

Bei der Lesemotivation zeigt sich insgesamt eine hohe Lesemotivation mit einem mittleren Skalenwert von 3.18 bei einem Maximalwert von 4. Dabei haben rund 70 % der Befragten eine hohe, rund 14 % eine mittlere und rund 16 % eine niedrige Lesemotivation. Im Vergleich zu den Werten von 2011 zeigt sich, dass sich der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit hoher Lesemotivation um ca. 7 Prozentpunkte verringert hat, während sich der mit niedriger Lesemotivation um etwa den gleichen Wert erhöht hat. Betrachtet man die Motivation im Zusammenhang mit der Leseleistung, so zeigt sich, dass sich zwar in allen Kompetenzstufen eine Abnahme der Motivation zeigt, diese aber bei den Leseschwachen mit einem Zuwachs von 11 Prozentpunkten besonders hoch ausfällt, so dass Goy et al. den Schluss ziehen, „dass die Abnahme der Lesemotivation […] vor allem auf eine geringere Motivation der leseschwächeren Schülerinnen und Schüler zurückzuführen ist“ (ebd., S. 151).

Beim Leseverhalten ist das erste ausgewertete Item die Frage, wie häufig die befragten Kinder zu ihrem Vergnügen lesen. Dort finden sich in Deutschland im internationalen Vergleich besonders viele Antworten in den Extremwerten: 17 % der Schülerinnen und Schüler lesen nie zu ihrem Vergnügen, rund 43 % lesen jeden oder fast jeden Tag. Der Rest liest ein- bis zweimal pro Woche (29,1 %) oder pro Monat (11,3 %). Seit 2001 ist die Gruppe, die nie zu ihrem Vergnügen liest, in etwa gleich geblieben, die der Täglich-Leserinnen und -Leser hat dagegen um 5 Prozentpunkte abgenommen. Schaut man sich die Werte im Zusammenhang mit der Leseleistung an, so fällt auch hier auf, dass ein negativer Trend vor allem bei den Leseschwachen zu sehen ist: Dort sank der Anteil derer, die täglich zu ihrem Vergnügen lesen, von 35,3 % im Jahr 2001 auf 25,7 % im Jahr 2016.

Das zweite in diesem Bereich ausgewertete Item ist die Frage nach der täglichen Lesedauer. Hier zeigt sich, dass ca. 40 % der Kinder weniger als 30 Minuten täglich außerhalb der Schule lesen – ein international eher geringer Wert –, ca. 36 % lesen 30 Minuten bis eine Stunde, ca. 14 % ein bis zwei Stunden und ungefähr 10 % zwei Stunden und mehr – ein vergleichsweise hoher Wert. In allen Ländern zeigt sich der Trend, dass der Anteil der Weniglesenden zu und der der Viellesenden im Vergleich zu 2011 abgenommen hat. Setzt man die Lesedauer in Beziehung zu der Leseleistung, so stellen Goy et al. fest, dass „sich erwartungskonform die Gruppe der lesestarken Schülerinnen und Schüler […] in Bezug auf die Lesedauer deutlich von der Gruppe der Leseschwachen unterscheidet“ (ebd., S. 160). Während bei den Lesestarken nur etwa ein Drittel der Kinder weniger als 30 Minuten am Tag liest, ist es bei den Leseschwachen gut die Hälfte. Die zeitliche Entwicklung zeigt vor allem, dass die Lesestarken weniger lange lesen, während es bei den Leseschwachen kaum Veränderung gibt.

Als drittes Item wurde die Häufigkeit der Bibliotheksnutzung (örtliche oder Schulbibliothek) herangezogen: Circa 35 % der Befragten geben an, nie oder fast nie Bücher dort auszuleihen, ca. 15 % ein paar Mal im Jahr, und jeweils ungefähr ein Viertel tut dies ein- bis zweimal pro Woche oder sogar mindestens einmal pro Woche. Im internationalen Vergleich fällt der hohe Anteil derer auf, die keine Bibliotheken nutzen – diese Gruppe ist seit 2006 um 8 Prozentpunkte größer geworden. Das Autorenteam weist aber in diesem Zusammenhang auf das in Deutschland vergleichsweise wenig ausgebaute Schulbibliothekswesen hin. Betrachtet man die Bibliotheksnutzung im Zusammenhang mit der Leseleistung, so nimmt erstere zwar in allen Leistungsgruppen ab – mit Abstand am stärksten ist die Abnahme aber bei den schwachen Leserinnen und Lesern.

Im zweiten Teil der Studie stehen die Leseschwachen, also die, die nicht Kompetenzstufe III erreichen, im Fokus. Ihr Anteil machte 2016 rund 19 % der Viertklässlerinnen und Viertklässler aus. In dieser Gruppe sind Jungen, Kinder mit Migrationshintergrund und solche aus bildungsfernen Elternhäusern überproportional vertreten und es wurde der Frage nachgegangen, ob ein positives Leseselbstkonzept, positive Lesemotivation und positives Leseverhalten das Risiko senken können, zu den Leseschwachen zu gehören. Mit Hilfe logistischer Mehrebenenregressionen lassen sich positive Effekte auf das Risiko, zu der Gruppe der Leseschwachen zu gehören, nachweisen. Umgekehrt zeigen die Analysen, dass bei gleichem Leseselbstkonzept, Leseverhalten, gleicher Motivation und Lesesozialisation und gleichen kognitiven Grundfähigkeiten das Geschlecht ebenso keinen Einfluss auf die Leseleistung hat wie das Bildungsniveau in der Familie. Der Migrationshintergrund der Eltern dagegen bleibt auch unter diesen Bedingungen als Risikofaktor bestehen – ein Befund, der nach Einschätzung der Forscherinnen und Forscher noch genauer untersucht werden muss. Dem gegenüber reduziert eine Herkunft aus einer Akademikerfamilie das Risiko schwacher Leseleistungen.

Hintergrund
Die Verankerung der Leistungsmessung in einem Reading-Literacy-Konzept führt dazu, dass von vorneherein neben kognitiven motivationale und verhaltensbezogene Aspekte mitgedacht werden. Dieser Ansatz ist in der Forschung breit akzeptiert. Goy et al. können so in ihrer theoretischen Fundierung auf eine Vielzahl von Studien zur Lesekompetenz hinweisen, die den Einfluss von Lesemotivation und Leseselbstkonzept zeigen und auch die vermittelnde Position des Leseverhaltens belegen.

Dasselbe gilt für die familiären Bedingungsfaktoren der Lesekompetenz wie den sozioökonomischen Status, den Migrationshintergrund und das Bildungsniveau, die vermittelt durch Prozessmerkmale wie die Lesesozialisation oder das Kommunikationsverhalten innerhalb der Familie auf die Lesekompetenz der Kinder einwirken.

Design 
Die Studie kann auf die breite Datenbasis der IGLU- und PIRL-Studien zurückgreifen, die nach umfassend und transparent definierten Grundsätzen erhoben werden (vgl. Hussmann et al., 2016).

Ergebnisse
Das Autorenteam arbeitet heraus, dass ein Großteil der Viertklässlerinnen und Viertklässler 2016 eine positive Einstellung zum Lesen hat und ihre eigene Lesefähigkeit positiv beurteilt. Zudem liest die Mehrheit regelmäßig zu ihrem Vergnügen und nutzt eine Bibliothek. Betrachtet man aber den Trend seit 2001, dann findet man fast in allen Kategorien eine Verschlechterung der Werte – nicht nur in Deutschland, sondern in fast allen teilnehmenden Ländern.

Goy et al. richten ihre Aufmerksamkeit insbesondere auf die schwachen Leserinnen und Leser, bei denen sich der negative Trend besonders deutlich zeigt. Dabei verwundert es nicht, dass Kinder aus Akademikerfamilien ein deutlich vermindertes Risiko haben, zu den Leseschwachen zu gehören, Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund ein deutlich erhöhtes.

In seinem Schlusskapitel weist das Autorenteam deshalb darauf hin, dass es diese Risikoschülerinnen und -schüler sind, die der besonderen Aufmerksamkeit aller Beteiligten in der Institution Schule bedürfen. Dabei kann zum einen an den Faktoren angesetzt werden, die in der Studie untersucht wurden, wie dem Leseselbstkonzept, der Lesemotivation und der Lesekompetenz. Auch ein intensiverer Kontakt zu den Eltern gehört dazu, um diese an einer positiven Lesesozialisation zu beteiligen. Zu Recht weisen Goy et al. aber darauf hin, dass auch an der Förderung der Lesekompetenz selbst – bspw. durch Lernprogramme zum Erwerb von Lesestrategien – angesetzt werden müsse, denn Leseselbstkonzept, Lesemotivation, Leseverhalten und Lesekompetenz stehen in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis, das leicht in eine Abwärtsspirale führen kann.

Die Ansätze, die die Studie durch das besondere Augenmerk auf die motivationalen und familiären Faktoren bietet, stellen wertvolle Hinweise für eine verstärkte Implementierung von Leseförderung in Schule dar. Sie können Lehrkräfte und Schulleitungen dabei unterstützen, einem weiteren Auseinandergehen der Schere zwischen den Lesestarken und Leseschwachen entgegenzuwirken. 

Diese Rezension wurde erstellt von:
Dr. Sonja Hensel, Lehrerin am Berufskolleg in Siegburg sowie Lehrbeauftragte an der Universität Siegen. Arbeitsschwerpunkte: Rechtschreib-, Schreib- und Lesedidaktik, selbstreguliertes und kooperatives Lernen.

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