Fragestellungen der Studie:

  • Wird das Schulklima von Lernenden, Lehrenden und Eltern unterschiedlich wahrgenommen?

Rezension zur Studie

Ramsey, C. M., Spira, A. P., Parisi, J. M. & Rebok, G. W. (2016). School climate: perceptual differences between students, parents and school staff. School Effectiveness and School Improvement, 27(4), 629–641.FIS Bildung

Das Klima an einer Schule wirkt sich auf Verhalten, Einstellungen und Leistungen von Lernenden und Lehrenden aus. Es umfasst mehrere Aspekte wie die Verbundenheit mit der Schule, die empfundene Sicherheit (in) der Schule, den schulischen Anspruch (Bedeutsamkeit von regelmäßigem Schulbesuch, Schulleistungen, -abschluss) und die Einbindung der Eltern. Für die Interpretation von Schulklimadaten, die beispielsweise in Evaluationen erhoben werden, ist von Bedeutung, ob die Akteursgruppen (Lernende, Lehrende, Eltern) die Dimensionen unterschiedlich wahrnehmen und inwieweit die Einschätzungen zum Schulklima individuell oder schulabhängig variieren.

Ramsey et al. werteten hierzu eine Befragung aus, die im Schuljahr 2010/2011 an den 55 Grundschulen in Baltimore (USA) durchgeführt wurde und an der 4.244 Lernende der Jahrgangsstufen 3–5, 727 Lehrende und 3.133 Eltern teilnahmen. Die Auswertungen erfolgten mit Hilfe von Faktoren- und Mehrebenenanalysen.

Die Ergebnisse belegen Unterschiede zwischen den drei Gruppen bezüglich der Wahrnehmung des Schulklimas. Für die vier Aspekte, die näher untersucht wurden, zeigt sich, dass die Betroffenen jeweils dazu tendieren, diejenigen Dimensionen des Schulklimas niedriger zu bewerten, die am unmittelbarsten mit ihrem eigenen Verhalten in Beziehung stehen. So nehmen Lernende die Verbundenheit mit der Schule und die Sicherheit (in) der Schule als vergleichsweise niedrig wahr, während Lehrende den (von allen Gruppen hoch bewerteten) schulischen Anspruch und Eltern die elterliche Einbindung relativ niedrig einschätzen. Zwischen den Schulen bestehen nur geringe systematische Unterschiede, so dass Maßnahmen zur Verbesserung des Schulklimas auf die individuelle Ebene abzielen sollten, z. B. die Schüler-Peer-, Schüler-Lehrer- oder Lehrer-Eltern-Beziehungen.

Die Bedeutung der Untersuchung ergibt sich aus dem übergeordneten Befund, dass die unterschiedlichen Dimensionen des Schulklimas von Lernenden, Lehrenden und Eltern nicht einheitlich wahrgenommen werden. Daher ist bei der Interpretation von Daten zum Schulklima zu beachten, wer jeweils befragt wurde, denn je unmittelbarer die Fragen das eigene Verhalten betreffen, umso kritischer fallen die Einschätzungen aus. Im Hinblick auf die Übertragbarkeit (z. B. auf die deutschen Verhältnisse oder auf höhere Jahrgänge) bestehen jedoch Zweifel und auch im Hinblick auf die Methodik bleiben Fragen offen. Beides könnte weitere Forschungen inspirieren.

Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.

Reflexionsfragen für Lehrkräfte:

  • Wie bewerte ich das Klima an meiner Schule und auf welcher Basis erfolgt meine Bewertung? 
  • Ist mir bewusst aufgefallen, dass andere Gruppen (Eltern, Schüler oder Schülerinnen) bei der Bewertung des Schulklimas ganz andere Schwerpunkte setzen? Wie gehe ich damit um, bin ich zum Beispiel zum temporären Perspektivwechsel bereit? 
  • Inwiefern kann ein Perspektivwechsel hilfreich sein, um bei der positiven Weiterentwicklung des Schulklimas voranzukommen?

Reflexionsfragen für Schulleitungen:

  • Wie bewerte ich das Klima an meiner Schule? Welche Teilkategorien nutze ich selbst, wenn ich das Schulklima „messe“? 
  • In Bezug auf welche Teilkategorien scheint meine Schule Nachholbedarf zu haben, wie können positive Aspekte weiterentwickelt werden?  
  • Von welchen „Informanten“ (Lehrende?, Schüler/-innen?, Elternschaft?) erhalte ich zum Schulklima hauptsächlich Informationen? Messe ich den Aussagen von einer Informantengruppe einen besonders hohen Wert zu? 
  • Ist mir bewusst, dass die unterschiedlichen Informantengruppen zu sehr unterschiedlichen Bewertungen kommen können? Was tue ich, um dieser Sachlage gerecht zu werden?

Ramsey et al. entwickelten ihr Forschungsprojekt vor dem Hintergrund älterer Untersuchungen, die übereinstimmend nachwiesen, dass das schulische Klima Auswirkungen auf Verhalten, Einstellungen und Leistung sowohl der Lernenden als auch der Lehrenden hat. Erwartungsgemäß führte ein positives Klima zum Beispiel zu besseren Ergebnissen der Schülerinnen und Schüler, seltenerem problematischem Schülerverhalten und seltenerem Burnout oder zynischen Einstellungen bei Lehrkräften. 

Die Autorengruppe verweist auf mehrere Übersichtsstudien zum Konstrukt „schulisches Klima“ in den letzten dreißig Jahren, nach denen dieses Konstrukt unterschiedlich modelliert wird. In der Zusammenschau lassen sich fünf allgemeine Themen bestimmen: 

  1. Ordnung, Sicherheit und Disziplin (order, safety, discipline), 
  2. erzielte Lernerfolge (academic outcomes), 
  3. soziale Beziehungen (social relationships)
    a.    soziale Umgebung (social environment), 
    b.    positive Lehrer-Schüler-Beziehung (positive student-teacher relationships), 
    c.    Wahrnehmung von Privilegierung oder Ausschluss (perceived exclusion/privilege), 
  4. physische Gegebenheiten der schulischen Einrichtungen (physical environment within a school) und 
  5. Verbundenheit der Akteure mit der Schule (school connectedness, engagement and enthusiasm for school activities).

Diese multidimensionale Struktur des Konstruktes „schulisches Klima“ stellt die Entwicklung einer exakten Definition und die messtechnische Erfassung vor große Herausforderungen.

Ramsey et al. merken kritisch zur älteren Forschung an, dass häufig eine monoperspektivische Erfassung von Aspekten des schulischen Klimas erfolgt sei, obwohl die verschiedenen Akteursgruppen (Lernende, Lehrende, Eltern) unterschiedliche Perspektiven im Hinblick auf die Schule hätten und damit auch die Dimensionen, welche das schulische Klima ausmachen, unterschiedlich wahrnähmen. 

Vor allem bei den Lernenden ergebe sich zusätzlich das Problem, dass unterschiedliche Aspekte je nach Alters-/Entwicklungsstufe verschieden wahrgenommen würden. Des Weiteren zeigten vergleichende Beobachtungen, dass die Aussagen von Lehrenden, Lernenden und Eltern zu Dimensionen des schulischen Klimas wenig Übereinstimmung aufwiesen. Für die Autorinnen und Autoren ergibt sich daraus die Notwendigkeit einer multiperspektivischen Erfassung der unterschiedlichen Dimensionen schulischen Klimas. Dies soll in der vorgelegten Untersuchung erfolgen.

Stichprobe
Die Untersuchung wurde in Verbindung mit der Erhebung des Baltimore City Public School System Climate Survey (BCPSSCS) in Baltimore City (und somit in städtischem Kontext) an allen 55 Grundschulen der Stadt in den Schuljahren 2007/08 bis 2010/11 durchgeführt. Die Stichprobe umfasste 4.244 Schülerinnen und Schüler der Klassen 3–5, 727 Lehrpersonen sowie 3.113 Eltern. Damit nahmen an den Schulen durchschnittlich 84,7 % der Schülerinnen und Schüler der betroffenen Jahrgänge teil, die entsprechenden Prozentangaben für Lehrpersonen und Eltern liegen nicht vor. 

Die Schulen (mittlere Schülerzahl 368) hatten vorwiegend eine Schülerschaft aus armen Familien (> 90 % erhalten verbilligtes oder kostenfreies Schulessen), im Median gehörten 97,3 % der afroamerikanischen Bevölkerungsgruppe an.

Die Erhebungen bei den Schülerinnen und Schülern erfolgten an jeder Schule jeweils am gleichen Tag. Den Eltern wurden der Fragebogen und eine Anleitung über ihre Kinder zugeleitet, die Lehrpersonen beteiligten sich an einer webbasierten Umfrage. Die Befragung erfolgte anonymisiert.

Instrumente
Die Befragten wurden aufgefordert, Aussagen zur schulischen Situation mit Hilfe einer vierteiligen Skala zu bewerten (von 1 = ich stimme dieser Aussage gar nicht zu bis 4 = ich stimme dieser Aussage stark zu). Dabei erhielten die Teilnehmenden zwar unterschiedlich viele Aussagen zur Bewertung vorgelegt (Schülerinnen und Schüler: 30, Eltern: 45, Lehrpersonen: 70), davon betrafen 17 allerdings bei allen Gruppen gleiche Inhalte. Die Ergebnisse zu diesen 17 Aussagen liegen der Studie zugrunde. 

Die Aussagen wurden sieben Dimensionen des schulischen Klimas zugewiesen, deren Validität bereits in früheren Untersuchungen abgeleitet worden war: 

  1. Verbundenheit mit der Schule (school connectedness), 
  2. schulische Einrichtungen (school facilities), 
  3. disziplinarische Regeln (knowledge and fairness of disciplinary policies), 
  4. Sicherheit (in) der Schule (safety), 
  5. Lehrer-Schüler-Beziehung (teacher-student relationships), 
  6. schulischer Anspruch (educational values/academic emphasis), 
  7. Einbindung der Eltern (parental involvement). 

Einige weitere Dimensionen des Schulklimas (z. B. Schüler-Peer-Beziehungen) konnten nicht berücksichtigt werden, da nicht alle drei Gruppen nach ihnen befragt worden waren. Andere Modelle des schulischen Klimas wurden hinsichtlich ihrer Passung auf die BCPSSCS-Daten überprüft, jedoch ergab sich keine signifikant bessere Lösung. Durch die Auswertung der Antworten aus vier Schuljahren (von 2007/08 bis 2010/11) wurde die Reproduzierbarkeit der Befunde im Hinblick auf die Modelllösung mit Hilfe konfirmatorischer Faktorenanalysen getestet und weitgehend bestätigt.

Eine Überprüfung der Reliabilität der Daten führte zum Ausschluss der Dimensionen schulische Einrichtungen, disziplinarische Regeln und Lehrer-Schüler-Beziehung aus der weiteren Untersuchung. 

Analysen
Die Datenanalyse basierte auf Mehrebenenanalysen, die mit Mplus (Version 7) durchgeführt wurden und in denen die Ebene der Schulen und die Ebene der Individuen berücksichtigt wurden. Neben unkonditionierten Modellen je Schulklimavariable zur Ermittlung der Varianzverteilung auf die Schul- und Individualebene wurden weitere Modelle berechnet, in denen die Schulgröße, die Schülerfluktuation und die Zusammensetzung der Schülerschaft nach Bevölkerungsgruppen kontrolliert wurden. Für paarweise Vergleiche zwischen den Gruppen wurden lineare Schätzer berechnet. Aus den Ergebnissen dieser Modelle wurden Aussagen zur Wahrnehmung des schulischen Klimas durch die drei Gruppen abgeleitet.

Aus den Mehrebenenanalysen ergibt sich, dass die Variation in der Wahrnehmung der vier betrachteten Dimensionen des Schulklimas vor allem individuell und weniger schulisch bedingt ist (≥ 89 %). Daher gehen die Autorinnen und Autoren davon aus, dass Versuche, das Schulklima zu verbessern, vermutlich am wirkungsvollsten sind, wenn sie Interaktionen auf der individuellen Ebene betreffen (Schüler-Peer- oder Schüler-Lehrer-Beziehung, Lehrer-Eltern-Kommunikation). 

Hinsichtlich des Schulklimas zeigt die Studie messbare Unterschiede zwischen den drei Gruppen:

  • Die Verbundenheit mit der Schule wird von den Schülern und Schülerinnen (M = 3.11) als geringer bewertet als von Lehrenden (M = 3.25) und Eltern (M = 3.20). Die Autorinnen und Autoren führen diesen Befund (der sich mit älteren Forschungsergebnissen teilweise deckt) auf die geringe Möglichkeit der Eltern sowie der Schülerinnen und Schüler zurück, sich ihre Schule aussuchen zu können.
  • Die Dimension Sicherheit (in) der Schule wird von Schülerinnen und Schülern (M = 3.06) ebenfalls als geringer bewertet als von Lehrenden (M = 3.12) und Eltern (M = 3.21). Dieses Ergebnis deckt sich mit älteren Befunden zur Wahrnehmung der Sicherheit in Schulen. Im Gegensatz zu den älteren Befunden stellt die aktuelle Studie jedoch heraus, dass Eltern die Schule für geringfügig sicherer einschätzen als die Lehrenden.
  • Wenngleich die Lehrenden (M = 3.70) ihren schulischen Anspruch geringer einschätzen als Schülerinnen und Schüler (M = 3.75) und Eltern (M = 3.75), bewerten alle Gruppen ihre Erwartungen über regelmäßigen Schulbesuch, Bereitschaft zur Leistung und den Willen, die Schule abzuschließen, als relativ hoch. Daraus leiten die Autorinnen und Autoren ab, dass ungünstige schulische Leistungen nicht einfach auf individuelle Einstellungen gegenüber der Erziehung generell zurückgeführt werden können.
  • Die Untersuchung erfasst zum ersten Mal vergleichend die Wahrnehmung der drei Gruppen hinsichtlich der Einbindung der Eltern. Es zeigt sich dabei, dass Schülerinnen und Schüler (M = 3.29) die Kommunikation zwischen Eltern und Lehrpersonen als stärker wahrnehmen, als es diese beiden Gruppen selbst tun (Eltern: M = 3.21; Lehrende: M = 3.17). 

Ramsey et al. schließen aus den Befunden, dass Gruppen vor allem diejenigen Dimensionen des schulischen Klimas vergleichsweise niedriger bewerten, die mit ihrem Verhalten unmittelbar in Beziehung stehen: das gilt etwa im Fall der Schülerinnen und Schüler für die Dimensionen Sicherheit (in) der Schule und Verbundenheit mit der Schule, bei den Lehrenden für die Einschätzung des schulischen Anspruchs und bei den Eltern für das elterliche Engagement. Die Autorinnen und Autoren vermuten, dass die geringere Einschätzung der Sicherheit (in) der Schule durch die Schülerinnen und Schüler dadurch zustande kommt, dass sie Schikanen und das Ausleben von Aggressionen häufig in Situationen erleben, in denen keine Erwachsenen anwesend sind, etwa in Pausen oder auf dem Weg zum Klassenraum. Die niedrigere Einschätzung hinsichtlich der Einbindung der Eltern vonseiten der Eltern und des schulischen Anspruchs durch die Lehrpersonen wiederum könnte auf eine in diesen Gruppen größere Aufmerksamkeit und eine kritischere Wahrnehmung des eigenen Verhaltens zurückzuführen sein. 

Abschließend benennen die Autorinnen und Autoren problematische Punkte ihrer Studie. So ließ die Anonymisierung der Daten nur Auswertungen auf der Ebene der drei Gruppen zu. Geringe Reliabilitätswerte führten zum Ausschluss wichtiger Dimensionen des Schulklimas, und auch bei den verbliebenen Dimensionen war die Reliabilität der Einschätzung zum Teil vergleichsweise gering. Auch lassen die spezifischen Bedingungen der untersuchten Schulen (geprägt durch städtische, aus armen, vorwiegend afroamerikanischen Haushalten stammende Kinder der Schuljahre 3–5) offen, ob eine Reproduktion der Ergebnisse auch im Fall anderer sozialer Voraussetzungen möglich ist. 

Ramsey et al. benennen den Nachweis der unterschiedlichen Wahrnehmung von Dimensionen des schulischen Klimas durch unterschiedliche Gruppen (Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrende) als Ziel ihrer Studie. Dieses Ziel wird aus der bestehenden Forschung zum Schulklima abgeleitet, in der bereits erste Befunde zu einer gruppenspezifisch unterschiedlichen Wahrnehmung existieren. Somit wird kein grundsätzlich neues Forschungsgebiet erschlossen, eher wird der Kenntnisstand zum Thema bestätigt und vertieft, indem nun die Wahrnehmung mehrerer Gruppen zu mehreren Dimensionen vergleichend betrachtet wird. 

Die Ausgangssituation für die Autorengruppe war günstig: Auf Grundlage einer wiederholten Umfrage an allen Grundschulen in Baltimore (USA) konnte eine breite Datenbasis genutzt werden, die alle drei Gruppen (Lernende, Lehrende, Eltern) einschloss und deren Wahrnehmungen zu sieben Dimensionen des Schulklimas abfragte. Es wurden Daten aus vier Schuljahren verwertet, nachdem bereits Erfahrungen aus drei früheren Erhebungsjahren vorlagen. Die Rücklaufquote bei den Schülerinnen und Schülern war hoch (entsprechende Daten zu den Eltern und Lehrpersonen konnten nicht erhoben werden). Somit stand umfangreiches Datenmaterial zur Verfügung, an welchem auch Tests zur Validität und Reliabilität des zugrunde gelegten Schulklimamodells durchgeführt werden konnten. Als Ergebnis mussten im Rahmen der Reliabilitätsprüfung jedoch drei der sieben Dimensionen ausgeschlossen werden, so dass nur vier in die weiteren Untersuchungen aufgenommen wurden. 

Ist diese Entscheidung noch mit Hinweis auf als akzeptabel geltende statistische Schwellenwerte nachvollziehbar, so ist der Ausschluss anderer Daten nicht immer einsichtig: Ramsey et al. haben ihre Untersuchungen anhand der Jahrgänge 3–5 durchgeführt. Beiläufig wird jedoch erwähnt, dass der BCPSSCS auch die Jahrgänge 6–12 erfasste. Warum die Autorengruppe sich bei ihrer Studie auf die genannten Jahrgänge beschränkte, wird nicht begründet. Selbst wenn im Rahmen früherer Forschungen festgestellt wurde, dass die Wahrnehmung des schulischen Klimas altersabhängige Unterschiede aufweist, wird die Ursache der konkreten Auswahl nicht deutlich.

Bei den statistischen Auswertungen bleiben methodische Entscheidungen teilweise unklar. So werden in mehreren Arbeitsschritten mittels statistischer Verfahren die unterschiedlichen Wahrnehmungen von Eltern, Lehrenden und Lernenden herausgearbeitet. Für das unkonditionierte Modell werden dabei Effektstärken der Mittelwertunterschiede zwischen den Gruppen angeführt, die gering ausfallen (d ≤ 0.20). Die Befunde des angepassten Modells, in dem verschiedene Bedingungen kontrolliert wurden, unterscheiden sich teilweise davon und bilden die Grundlage für die Interpretation, was einige Flexibilität beim Nachvollzug der Ergebnisse voraussetzt, da die Abweichungen von Ramsey et al. nicht kommentiert und eingeordnet werden.

Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen zwar, dass eine unterschiedliche Wahrnehmung der verschiedenen Dimensionen des schulischen Klimas zwischen den drei befragten Gruppen besteht, doch weichen die Mittelwerte der Gruppen bei den jeweiligen Dimensionen nur in geringem Maße voneinander ab. Die Unterschiede sind also zwar vorhanden, aber offenbar nicht übermäßig deutlich ausgebildet.

Als wichtig erscheint in diesem Zusammenhang, dass offenbar jeweils diejenigen Dimensionen des schulischen Klimas als umso geringer ausgeprägt bewertet werden, je unmittelbarer sie in Beziehung zum Verhalten der jeweiligen Gruppe stehen: So werden die Dimensionen Verbundenheit mit der Schule sowie Sicherheit (in) der Schule von den Schülerinnen und Schülern geringer bewertet als von Lehrpersonen, die ihrerseits niedrigere Erwartungen hinsichtlich regelmäßigem Schulbesuch, schulischen Leistungen und dem Erreichen eines Schulabschlusses haben. Eltern wiederum schätzen ihre Einbindung in die schulischen Angelegenheiten ihrer Kinder als weniger intensiv ein. Daher ist bei der Interpretation von Daten zum Schulklima zu beachten, wer jeweils befragt wurde, denn je unmittelbarer die Fragen das eigene Verhalten betreffen, umso kritischer fallen die Einschätzungen aus.

Ein weiteres Problem dürfte sich für eine Leserschaft des Artikels in Deutschland ergeben: Die Autorinnen und Autoren weisen bereits für die USA darauf hin, dass die Übertragbarkeit ihrer Ergebnisse auf Schulen mit einem anderen sozialen Hintergrund, als er in Baltimore besteht, erst noch nachzuprüfen wäre. Dies dürfte noch in viel stärkerem Maße für die Übertragung der Ergebnisse in ein Land anderer sozialer und schulischer Traditionen wie Deutschland gelten. Allerdings dürfte die grundlegende Fragestellung nach der unterschiedlichen Wahrnehmung von Dimensionen des Schulklimas durch die verschiedenen Gruppen sicherlich auch für die Bundesrepublik relevant sein.

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Diese Rezension wurde erstellt von:
Dr. Heinz Sander, Lehrer am Gymnasium der Stadt Kerpen – Europaschule und Privatdozent an der Universität zu Köln

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