Fragestellungen der Studie:
Rezension zur Studie
Huber, S. G. & Helm, C. (2020). Lernen in Zeiten der Corona-Pandemie – Die Rolle familiärer Merkmale für das Lernen von Schüler*innen: Befunde vom Schul-Barometer in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Deutsche Schule, Beiheft 16, 37–60.FIS BildungDie flächendeckenden Schulschließungen in der Corona-Pandemie und die Umstellung auf digital erteilten „Fernunterricht“ gelten als zusätzliches Hemmnis für benachteiligte Schülerinnen und Schüler, doch was erschwert ihnen das Lernen eigentlich?
Huber und Helm untersuchen anhand einer Onlinebefragung von 8.344 Schülerinnen und Schülern aus der Schweiz, Deutschland und Österreich, inwiefern zentrale „Schüleroutcomes“ – Lernaufwand, Lernerfolg und Herausbildung positiver oder negativer Emotionen – von häuslichen Ressourcen, Schülermerkmalen und der Qualität des digitalen Unterrichts abhängen. Hierfür berechneten sie Korrelationen und ein Strukturgleichungsmodell, daneben kontrastierten sie zwei clusteranalytisch ermittelte Gruppen mit hohen/ausreichenden bzw. geringen häuslichen Ressourcen.
Häusliche Ressourcen wirken sich überwiegend schwächer auf die Outcomes aus als die schülerseitige Selbstständigkeit und die wahrgenommene Qualität des digitalen Unterrichts. Etwa 22 % der Lernenden sind der Gruppe mit geringen häuslichen Ressourcen zuzuordnen. Sie berichten einen niedrigeren Lernerfolg, mehr negative Emotionen, und innerhalb dieser Gruppe beeinflussen Selbstständigkeit sowie Unterrichtsqualität die Outcomes in geringerem Maße als in der Gruppe mit höheren Ressourcen. Dies deutet darauf hin, dass sie über weniger effiziente Lernstrategien verfügen und der Fernunterricht bei ihnen nicht gleichermaßen wirksam ist.
Huber und Helm vermuten, dass die Krise bereits bestehende Unterschiede verstärkt, und empfehlen, Lehrkräfte sollten sich verstärkt abgehängter Schülerinnen und Schüler annehmen, Schulen bessere Lern-Lehr-Arrangements im digitalen Unterricht entwickeln und Schulträger besonders belastete Schulen verstärkt unterstützen.
Wenngleich das Untersuchungsanliegen zu begrüßen ist und relevante Faktoren für den Erfolg von Fernunterricht in den Blick genommen werden, sind Design und Durchführung mängelbehaftet, was die Aussagekraft spürbar einschränkt. So bleiben Schülerinnen und Schüler ohne Internetzugriff von der Untersuchung ausgeschlossen, die Befragten stammten überwiegend aus dem Kanton Genf. Es wird weder nach Schultypen noch nach sozioökonomischen Merkmalen der Schülerschaft oder Altersgruppen differenziert. Darüber hinaus wird lediglich ein kurzer Zeitraum zu Beginn der Schulschließungen betrachtet, als noch kaum Erfahrungen mit digitalem Unterricht bestanden, das heißt, ein Teil der Probleme dürfte heute bereits ausgeräumt sein. Die Studienergebnisse sind also ohne erweiternde Untersuchungen nur mit größter Vorsicht zu betrachten.
Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was zum Beispiel in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.
Reflexionsfragen für Lehrkräfte:
Reflexionsfragen für Schulleitungen:
Huber und Helm stellen in ihrem Beitrag Ergebnisse aus dem Schul-Barometer vor, einer Online-Umfrage, die im März und April 2020 durchgeführt wurde, um vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie rasch handlungsrelevante Informationen für Politik, Verwaltung und Praxis zur Verfügung zu stellen.
Einleitend stellen die Autoren fest, dass die Corona-Pandemie in Mitteleuropa für die schulischen Systeme zu einer vollkommen neuen Situation führte: So wurden etwa in Deutschland, Österreich und der Schweiz ab Mitte März 2020 – und damit mitten im laufenden Betrieb – die Schulen wochenlang flächendeckend geschlossen. Der übliche Schulunterricht musste durch andere Unterrichtsformen – etwa mittels digitaler Medien – ersetzt werden, zum Teil wurde zunächst eher älterer Unterrichtsstoff wiederholt, als dass neue Inhalte angegangen wurden.
Generell dürfte der Lehr-Lern-Prozess nach Ansicht von Huber und Helm in geringerem Maße lehrer- und verstärkt schülerzentriert abgelaufen sein und Eltern (oder Geschwister) unterstützten den Prozess als „Ersatzlehrer*innen“. In der Folge ähnelten die Lehr-Lern-Prozesse aufgrund der größeren Anteile an zum Beispiel selbstgesteuertem Lernen sowie von Be- und Erarbeiten von Arbeitsaufträgen beziehungsweise Lernaufgaben der Bearbeitung von Hausaufgaben. Gemäß theoretischer Modelle des Lehrens und Lernens hat der (soziale) Kontext einen starken Einfluss auf die Qualität und den Erfolg von Lernprozessen im häuslichen Setting, wobei sich vermuten lässt, dass vor allem benachteiligte Schülerinnen und Schüler einen Mangel an häuslichen Ressourcen erleben.
Eine Vorstudie der Autoren erbrachte, dass circa ein Zehntel der befragten Schülerinnen und Schüler unzureichende elterliche/familiäre Unterstützung erfuhr bzw. dass ihnen eine unzureichende technische Ausrüstung zur Verfügung stand, das heißt,
In der Zusammenfassung ihrer Ergebnisse der hier besprochenen Untersuchung legen die Autoren dar, dass sie hinter der Schülergruppe mit geringen Ressourcen vermehrt Kinder aus sozioökonomisch schlecht gestellten, bildungsfernen Haushalten vermuten.
Bei der Voruntersuchung zeigte sich zudem, dass Schülerinnen und Schüler, die zu Hause vergleichsweise viel Zeit für das Lernen aufwendeten (≥ 25 h),
Die andere Gruppe, die verhältnismäßig wenig Zeit für das Lernen aufwendete (< 9 h), war wesentlich passiver und verbrachte viel Zeit mit Computerspielen.
Insgesamt ließen sich eine lernaktive Gruppe, die sich mehrheitlich positiv zu Fernunterricht äußerte, und eine passive Gruppe konstruieren, die Fernunterricht als Belastung in einer „Ferienzeit“ betrachtete. Als weiteres Ergebnis der Voruntersuchung ist festzuhalten, dass Schülerinnen und Schüler, welche die Schule mit ihrem konventionellen Unterricht vermissten und schwer mit den neuen Lernmethoden zurechtkamen, sich mit der Schulschließung vergleichsweise schwertaten.
Vor diesem Hintergrund postulieren die Autoren einen engen Zusammenhang von zentralen „Outcomes“ der Schülerinnen und Schüler wie Lernerfolg, Lernaufwand und Lernemotionen mit deren Selbstständigkeit (z. B. in Bezug auf Planung/Strukturierung des Tages).
Wenig bekannt ist bisher allerdings, welche Rolle den häuslichen Ressourcen für das Lernen zukommt. Daraus leiten die Autoren die Untersuchungsziele ab: Es soll geklärt werden, inwiefern die häuslichen Ressourcen in Zeiten der Schulschließung in Zusammenhang mit den „Outcomes“ stehen beziehungsweise ob die Verfügbarkeit häuslicher Ressourcen in hohem Maße relevant für das Lernen bei benachteiligten Schülerinnen und Schülern ist. Diesen Aspekten soll in der vorliegenden Untersuchung nachgegangen werden.
Da die Situation während der Schulschließungen in Teilen derjenigen von Hausaufgaben entspricht (Schülerzentrierung, arbeiten abseits der Schule, mögliche Rolle von Eltern/Geschwistern), basieren die Autoren ihre Arbeit auf Modellannahmen, die aus der Hausaufgabenforschung bekannt sind. Daraus ergeben sich zum Beispiel die im Abschnitt „Erhebungsinstrumente“ genannten Themen und Unterthemen, die in der Onlineerhebung abgefragt wurden.
Stichprobe
Für die Untersuchung herangezogen wurden die Daten des Schul-Barometers (s. u.) von 8.344 Schülerinnen und Schülern, in 7.016 Fällen ist das Alter bekannt (6–8 Jahre: 9 %, 9–11 Jahre: 18 %, 12–14 Jahre: 29 %, 15–17 Jahre: 27 %, 18–20 Jahre: 17 %), von 5.168 auch das Geschlecht (56 % weiblich). Die Untersuchung umfasste zwar Teilnehmende aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, sie hatte allerdings ihren geographischen Schwerpunkt mit über 6.000 Schülerinnen und Schülern in der Schweiz und dort wiederum im Kanton Genf. Das erklärt, warum nur etwa ein Viertel der Befragten als deutschsprachig, jedoch ca. drei Viertel als französischsprachig eingestuft wurden.
Erhebungsinstrumente
Beim Schul-Barometer handelt es sich um eine Online-Umfrage, welche die Einschätzung der aktuellen schulischen Situation aus dem Blickwinkel der verschiedenen, am Schulsystem beteiligten Gruppen (Schülerinnen und Schüler, Eltern, Schulleitungen, Mitarbeitende der Schule, Schulverwaltung/-aufsicht, Unterstützungssysteme) erhob. In der hier vorgestellten Untersuchung wurden die Angaben von Schülerinnen und Schülern aus dem Zeitraum vom 24. März bis Anfang April 2020 verwendet.
Im Rahmen der Abfrage wurden vier Konstrukte mit 14 Unterthemen anhand von 25 Items erhoben:
Die meisten der Items wurden mit fünfstufigen Zustimmungsskalen erfasst (trifft nicht zu vs. trifft zu, sehr schlecht vs. sehr gut, kein vs. alle). Zeitdauern wurden in ganzen Stunden angegeben, das Alter in ganzen Jahren.
Da der Fragebogen für zwei Sprachen entwickelt wurde, wurde zudem überprüft, ob beide Fragebogenversionen annähernd das Gleiche messen. Das Ergebnis hierzu geben die Autoren als ausreichend an.
Auswertung
Die Autoren setzen Lernerfolg, Lernaufwand sowie positive und negative Emotionen der Schülerinnen und Schüler als abhängige Variablen, wobei sie drei Analyseverfahren nutzten (verwendet wurde die Statistiksoftware Mplus 8):
Bivariate Korrelationsanalysen
Schüleroutcomes: Der Lernaufwand korreliert (p < .01) schwach positiv mit dem selbst eingeschätzten Lernerfolg (r = .21), positive Emotionen zeigen einen deutlich positiven Zusammenhang mit dem Lernerfolg (r = .51) und (in geringem Maße) auch mit dem Lernaufwand (r = .13). Negative Emotionen gehen einher mit geringem Lernerfolg (r = -.38), ohne mit dem Lernaufwand einen nennenswerten Zusammenhang zu zeigen (r = -.06).
Qualität des digitalen Unterrichts: Keine signifikanten Korrelationen (p < .01) bestehen für die Quantität des digitalen Unterrichts mit den Schüleroutcomes. Beide Qualitätsdimensionen (Feedback, Kontrolle bzw. Lehrer-Schüler-Kontakt) korrelieren (allerdings nur sehr schwach) positiv mit Lernerfolg (r = .16 bzw. r =.15) und Lernaufwand (r = .17 bzw. r = .09). Die Qualität des Lehrer-Schüler-Kontakts geht deutlich stärker mit positiven Emotionen (r = .31) und geringer mit negativen Emotionen (r = -.26) einher als die Qualität von Feedback und Kontrolle (r = .06 bzw. r = -.10). Bei den meist schwachen und zum Teil nicht signifikanten Korrelationen der Lehrerkompetenz ist lediglich ein positiver Zusammenhang mit den positiven Emotionen der Schülerinnen und Schüler gegeben (r = .18).
Schülermerkmale: Die Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler korreliert mit Werten zwischen r = .29 und r = .38 positiv mit Lernaufwand, Lernerfolg und positiven Emotionen und deutlich negativ mit negativen Emotionen (r = -.53). Beim Alter gibt es eine schwach positive Beziehung zum Lernaufwand (r = .18) und eine schwach negative zu den positiven Emotionen (r = -.12).
Häusliche Ressourcen für das Lernen: Fehlende elterliche Unterstützung geht einher mit einem etwas geringeren Lernerfolg (r = -.13) und ebenfalls etwas geringeren positiven Emotionen (r = -.14), während negative Emotionen verstärkt auftreten (r = .31). Bei Schülerinnen und Schülern, die für ihre Eltern Erledigungen ausführen müssen, sind die Signifikanzwerte meist sehr gering, lediglich ein schwacher Zusammenhang mit negativen Emotionen zeigt sich (r = .19). Nehmen Schülerinnen und Schüler den Umgang der Familie mit der Pandemie als positiv wahr oder bewerten sie die technische Ausstattung als ausreichend, so korreliert dies schwach positiv mit dem Lernerfolg (r = .15 bzw. r = .12), dem Lernaufwand (r = .11 bzw. r = .15) und positiven Emotionen (r = .23 bzw. r = .20), der Zusammenhang mit negativen Emotionen erweist sich jeweils als negativ korreliert (r = -.46 bzw. r = -.21).
Strukturgleichungsmodellierung
Ergebnisse der Modellierung sind (β > .1):
Multigroup-Analyse
Für Schülerinnen und Schüler mit geringen häuslichen Ressourcen gilt im Vergleich zum Cluster der Schülerinnen und Schüler mit mindestens ausreichenden Ressourcen:
Aus ihren Ergebnissen leiten die Autoren ab, dass vor allem die Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler sowie die von ihnen wahrgenommene Qualität des „Fernunterrichts“ für die Einschätzung des Lernerfolgs von Bedeutung sind, das Ausmaß häuslicher Ressourcen spielt eher eine nachrangige Rolle. Sie schließen daraus, dass das Problem der Schülerinnen und Schüler aus der Gruppe mit geringen Ressourcen nicht in diesen Ressourcen selbst, sondern in einer eingeschränkten Fähigkeit zur Selbstorganisation des Tagesablaufs und zum selbstgesteuerten Lernen begründet ist. Diese Defizite führen sie wiederum auf fehlende Entwicklungsmöglichkeiten vieler Kinder in sozioökonomisch schlecht gestellten Familien zurück, im Fall einer Verbesserung der technischen Ausstattung erwarten die Autoren nur für rund 10 % der Schülerinnen und Schüler eine spürbare Verbesserung. Daher schlagen sie eine stärkere Betreuung sozial benachteiligter Familien und eine personenbezogene Lernbegleitung der Schülerinnen und Schüler vor.
Insgesamt gehen die Autoren davon aus, dass durch die Corona-Krise die bereits bestehenden Unterschiede zwischen den Schülerinnen und Schülern deutlich verschärft werden. Dieser „Schereneffekt“ soll sich mit der Dauer der Krise verschärfen. Um gegenzusteuern, empfehlen die Autoren, dass Lehrkräfte sich – stärker als im „normalen“ Unterricht – vor allem um abgehängte (bzw. „abhängende“) Schülerinnen und Schüler kümmern. Damit ergeben sich Forderungen, die auf Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit abzielen und vor allem Schulen mit hohem Anteil benachteiligter Schülerinnen und Schüler vor umfangreiche Aufgaben stellen. Schulen wiederum sollen sich um die Verbesserung von Lehr-Lern-Arrangements im „Fernunterricht“ und um verstärkte interne Kooperation kümmern, Schulträger und Schulaufsicht wiederum sollen besonders belastete Schulen unterstützen und die Nachhaltigkeit von Innovationen im Auge behalten.
Die Autoren wenden sich Aspekten zu, deren Bedeutung kaum zu überschätzen ist: Die Corona-Krise hat grundlegende Strukturen des Bildungssystems außer Kraft gesetzt und Phänomene, die bislang eher randständig waren, zum Alltag gemacht, wie Beschulung daheim, Kontaktaufnahme zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern nur noch über digitale Medien, Virtualisierung des Klassenverbandes, teilweise Auflösung zeitlicher und räumlicher schulischer Strukturen durch Auslagerung schulischer Aktivitäten in den familiären Kontext usw. Vor diesem Hintergrund nach der Bedeutung von familiären Gegebenheiten und gegebenenfalls Benachteiligungen zu fragen, ist dringend geboten. Zugleich könnten sich aus der Untersuchung vielfältige Perspektiven für Themen wie die Digitalisierung von Unterrichtseinheiten, die Verknüpfung von schulischen und häuslichen Lernorten im Bildungsprozess, die Bedeutung emotionaler Aspekte für Lernaufwand, Lernerfolg usw. ergeben.
Hinsichtlich des Designs der Studie bleiben allerdings einige wichtige Probleme zu erörtern. So werden dadurch, dass eine Online-Umfrage durchgeführt wurde, systematisch gerade diejenigen Schülerinnen und Schüler ohne jeden Computerzugang und damit einer fundamentalen Benachteiligung im häuslichen Kontext aus der Untersuchung ausgeschlossen. Stattdessen werden hier eher mäßig benachteiligte Schülerinnen und Schüler als besonders benachteiligt ausgewiesen. Dadurch weist die Studie von Anfang an eine nicht mehr auflösbare „Unwucht“ auf. Dieses Problem wird von den Autoren selbst als Limitation benannt.
Unklar bleibt auch der gesamte Hintergrund der Schülerinnen und Schüler mit Ausnahme von Herkunftsland, Unterrichtssprache und Alter, nicht erhoben wurden etwa Angaben zur Schulform, obwohl sich mutmaßlich in einigen Schulformen vermehrt benachteiligte Haushalte ansammeln dürften, wodurch die Aussage, dass nur circa 10 % der Haushalte benachteiligt seien, dort nicht gelten dürfte. Zudem wird der 10%-Anteil durch die Ergebnisse der durchgeführten Clusteranalyse infrage gestellt, da der Gruppe mit geringen häuslichen Ressourcen etwa 22 % der Schülerinnen und Schüler zugeordnet werden.
Schließlich verbinden die Autoren ihre Befunde mit soziologischen Kategorien, indem sie vermuten, dass digital benachteiligte Familien verstärkt auch sozial benachteiligt seien. Das ist keineswegs unplausibel, jedoch wurden hierzu keine Daten (etwa ökonomische Situation der Familie, Schulabschluss der Eltern, Migrationshintergrund …) erhoben, sodass dieser Punkt nicht abgesichert ist.
Hervorzuheben ist bei den Ergebnissen die Verbindung mit den Befunden einer Vorstudie, sodass möglicherweise eingeschränkte häusliche Ressourcen im Hinblick auf Emotionen, Lernaufwand und Lernerfolg von geringerer Bedeutung sind als die Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler und die Qualität des „Fernunterrichts“. Allerdings steht und fällt dieses Ergebnis mit Zufälligkeiten: Es wurde bereits darauf verwiesen, dass Schülerinnen und Schüler ohne Zugang zum Internet vollkommen fehlen, und da der bei Weitem größte Teil der Daten im Kanton Genf erhoben wurde, dessen sozioökonomische Struktur nicht näher beschrieben wird, bleibt unbekannt, ob und wofür diese Ergebnisse repräsentativ sein könnten. Lassen sich die so gewonnenen Erkenntnisse etwa in ähnlicher Form auch auf Brennpunktregionen übertragen?
Ein weiteres Problem der Untersuchung ist ihre Zeitstruktur. Die Umfragen fanden circa 1 bis 3 Wochen nach den Schulschließungen statt. Das bedeutet, dass sie in einer Phase erfolgten, in der „Fernunterricht“ für alle Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Familien usw. etwas vollkommen Ungewohntes und ohne Vorbild gewesen sein dürfte: Jegliche Formen von ritualisierten Routinen, Erwartungshaltungen, Abläufen, welche „normalen“ Schulunterricht strukturieren, fehlten, und ob ein „Fernunterricht“, dessen Dauer nicht abzusehen war, sozial benachteiligte Haushalte dazu motivierte, für diesen Zweck einen Computer samt Software für ihre schulpflichtigen Kinder anzuschaffen/zur Verfügung zu stellen, darf bezweifelt werden.
Inwiefern sich hier Veränderungen ergeben, wenn die Lockdown-Situation langfristig andauert, ist nicht bekannt und würde Wiederholungsuntersuchungen erfordern. So könnte es sein, dass sich dann von Seiten der Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern Anpassungsreaktionen an die Situation eingespielt haben und dass – sofern verfügbar – von den Familien und Gemeinden mehr in die Computerausstattung benachteiligter Schülerinnen und Schüler investiert wurde.
Andererseits wäre es möglich, dass Familien durch Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit usw. unter verstärkten ökonomischen Druck geraten, was die psychologische und materielle Situation weiter verschärfen und die Kinder weiter zurückfallen lassen könnte.
Letztlich muss also – bei aller Wertschätzung der Fragestellung und der Einrichtung des Schul-Barometers – hinsichtlich der Verwertung der durch die Autoren erzielten Ergebnisse zur Vorsicht gemahnt werden.
Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung BW
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