Fragestellungen der Studie:

  • Kooperieren Lehrkräfte stärker an Schulen mit heterogener Schülerschaft?

Rezension zur Studie

Fussangel, K. & Richter, D. (2017). Gemeinsam sind wir stark? Die Rolle von Kooperation angesichts schulischer Herausforderungen. In V. Manitius und P. Dobbelstein (Hrsg.), Schulentwicklungsarbeit in herausfordernden Lagen (S. 104–122). Münster: Waxmann.

Die Kooperation von Lehrkräften gilt als unabdingbar angesichts aktueller Herausforderungen wie Inklusion und Zuwanderung. Doch wird an Schulen mit einer heterogenen Schülerschaft tatsächlich mehr kooperiert? Welche Bedingungen spielen dabei eine Rolle?

Fussangel und Richter untersuchen die Kooperation von Lehrkräften bei unterrichtsbezogenen und pädagogischen Fragen in Abhängigkeit von organisatorischen Rahmenbedingungen und der Schülerkomposition, d. h. den Anteilen an Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungshintergrund bzw. sonderpädagogischem Förderbedarf. Hierzu wurden bundesweit 1.105 Lehrkräfte der Sekundarstufe I von staatlichen Schulen interviewt.

Es zeigt sich: Während die Lehrkräftekooperation in keinem direkten Zusammenhang mit dem Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungshintergrund steht, findet umso mehr unterrichtliche und pädagogische Kooperation statt, je höher der Anteil an Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist. Dies dürfte der oft multiprofessionellen Betreuung geschuldet sein. Das Vorhandensein von Zeitfenstern für Kooperation im Stundenplan erweist sich als relevante Rahmenbedingung bei höheren Anteilen von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf (bzgl. unterrichtlicher Kooperation) bzw. mit Zuwanderungshintergrund (bzgl. pädagogischer Kooperation).

Die Ausführungen von Fussangel und Richter legen nahe, dass die in der Schulentwicklungsliteratur und Administration vielleicht tendenziell unterschätzten, „trivialen“ Rahmenbedingungen, z. B. in Form ausreichender Zeitfenster zur gemeinsamen Unterrichtsentwicklung, zentrale Stellschrauben bzw. Ressourcen zur Begegnung schulischer Herausforderungen darstellen können, nicht zuletzt für Lehrkräfte, die in besonders herausfordernden Schulkontexten tätig sind.

Allerdings sind die ermittelten Effekte klein, und aufgrund der ausschnitthaften Betrachtung sowie der wenig differenzierten Analysen bleibt weitgehend unklar, in Bezug auf welche Themen an Schulen mit heterogener Schülerschaft vermehrt kooperiert wird und welche weiteren Bedingungen möglicherweise förderlich sind.

Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.

 

Reflexionsfragen für Lehrkräfte:

  • Welche Einstellung habe ich gegenüber der Kooperation mit Kolleginnen und Kollegen hinsichtlich der Unterrichtsentwicklung und Erfüllung meines pädagogischen Auftrags?
  • In welchem konkreten Bereich kann ich für einen ersten Schritt in Richtung unterrichtlicher und pädagogischer Kooperation innerhalb meines Kollegiums aktiv werden? Was hindert mich ggf. daran und was kann ich dazu beitragen, um diese Barriere(n) auszuräumen?
  • Welche Kenntnisse zur Ausweitung meiner Kooperationsbemühungen mit einzelnen Fachkolleginnen und -kollegen benötige ich noch?

Reflexionsfragen für Schulleitungen:

  • Welche Kenntnisse hat mein Kollegium im Blick auf die Chancen und Herausforderungen einer unterrichtlichen Kooperation im Schulalltag?
  • Inwiefern ist mein Kollegium außerhalb der Unterrichtszeit an meiner Schule präsent?
  • Inwiefern stelle ich an unserer Schule ausreichend zeitliche Ressourcen (z. B. Zeitslots für kooperative Unterrichtsvorbereitung) zur Verfügung, um die Zusammenarbeit innerhalb meines Kollegiums nicht nur im Blick auf pädagogische Aspekte, sondern auch zum Zwecke der Unterrichtsentwicklung zu fördern?
  • Welche Freiräume verschaffe ich den einzelnen Fachkollegien, um sich innerhalb einzelner Jahrgangsstufen über Möglichkeiten der unterrichtsbezogenen Kooperation zu verständigen?

In der Einleitung verweisen Fussangel und Richter darauf, dass das Kooperationsverhalten von Lehrkräften im Zusammenhang mit verschiedenen bildungspolitischen Reformen (Ausbau von Ganztagsschulen, Inklusion) in der Öffentlichkeit und Wissenschaft vermehrt Aufmerksamkeit erfährt. Vor dem Hintergrund der damit verbundenen Erwartungen und Hoffnungen stelle sich die Frage nach empirischer Evidenz, ob Lehrkräfte tatsächlich mehr kooperierten als früher und ob Zusammenarbeit eine geeignete Methode sei, um mit Problemen im Schulalltag zurechtzukommen.

Die bisherige Forschung dokumentiert nach Auffassung des Autorenduos eine Wechselwirkung zwischen Kooperation und verschiedenen Aspekten der Schulentwicklung. Angesichts der differenziellen und uneindeutigen Befundlage zu dieser Wechselwirkung erachten sie es für sinnvoll, die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für Lehrkräftekooperation sowie deren Art und Ausmaß und die damit verbundenen Effekte näher zu analysieren.

In Kapitel 2 skizzieren Fussangel und Richter den Forschungsstand, indem sie beleuchten, (1) wann Kooperation unter Lehrkräften zustande kommt, (2) was mögliche positive Effekte der Kooperation von Lehrkräften sind und (3) wie Schulen auf spezifische Herausforderungen reagieren und welche Rolle die Kooperation dabei einnimmt.

  1. Zustandekommen von Kooperation: Das Autorenduo stellt heraus, dass angesichts der hohen Erwartungshaltung seitens der Praxis und Wissenschaft die Kooperation von Lehrkräften in Deutschland immer noch schwierig, mit Hindernissen verbunden und in vielen Schulen bislang kein integraler Bestandteil des Schulalltags ist. Hierfür seien verschiedene Faktoren auf der individuellen sowie schulischen bzw. organisatorischen Ebene verantwortlich. Auf der Individualebene gelten motivationale Variablen, Wissen über gelingende Kooperationsprozesse, gemeinsame Ziele und konkrete Kooperationsanlässe als zentral, um enger zusammenzuarbeiten. So ließen sich Innovationen besser implementieren. Dabei sei es wichtig, dass sich die Lehrkräfte von der Kooperation einerseits einen Nutzen versprächen und andererseits erführen, dass sich die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen lohne. Auf der Schulebene sei die Rolle der Schulleitung in Verbindung mit der Schaffung von kooperationsförderlichen Arbeitsstrukturen und einer dezentralen Führung zur Förderung der Professionalisierung der Lehrkräfte von Bedeutung, wenn Kooperation im Kollegium gelingen solle.
  2. Mögliche positive Effekte von Kooperation: Das Autorenduo führt an, dass Lehrkräfte bei gelingender Kooperation Entlastung erleben und neues Wissen aufbauen. Sie verweisen zudem auf Befunde eines Reviews, in welchem weitere positive Effekte der Kooperation von Lehrkräften herausgestellt würden: eine höhere Motivation, die vermehrte Kommunikation unter den Lehrkräften, eine verminderte Isolation der einzelnen Lehrperson, einen stärker auf das Schülerlernen fokussierten Unterricht und ein stärkeres Commitment mit der Schule.
  3. Schulische Reaktion auf Herausforderungen und die Rolle der Kooperation: Schulen in schwieriger Lage stünden angesichts der Kumulation negativer Kompositionsmerkmale (hoher Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler sowie solcher mit Zuwanderungshintergrund) vor besonderen Herausforderungen, auf gesellschaftliche Veränderungen und Schulreformen zu reagieren. Verschiedene Studien zeigten, dass Lehrkräfte an Schulen in sozial benachteiligter Lage häufig mit sehr förderbedürftigen Schülerinnen und Schülern zusammenarbeiteten. Dies werfe Fragen zur Unterrichtsentwicklung und zu Konsequenzen (z. B. negative Beanspruchungsfolgen) für die Lehrergesundheit auf. Inwiefern gerade an solchen Schulen die Kooperation von Lehrkräften eine zielgerichtete Reaktion auf die genannten Herausforderungen darstelle, sei bislang nur unzureichend untersucht worden. Es lägen Hinweise dazu vor, dass Lehrkräfte durch erhöhte Kooperation die sozialen Nachteile der Schülerinnen und Schüler ausgleichen wollten. Zudem sei bekannt, dass Schulen häufig mit der Entwicklung eines spezifischen Schulkonzepts reagierten. Auch der Ganztagsschulbesuch könne sich in Abhängigkeit von der Qualität des Angebots und der Teilnahme der Schülerinnen und Schüler als Kompensation erweisen.

Vor dem skizzierten Hintergrund werden in Kapitel 3 zwei Forschungsfragen abgeleitet:

  1. Wie stark kooperieren Lehrkräfte an Schulen mit unterschiedlicher Schülerkomposition einerseits zu unterrichtsbezogenen Inhalten und andererseits zu pädagogischen/erzieherischen Fragen?
  2. Bedingen die Faktoren Bereitstellung von Zeitslots für Kooperation, Unterstützung durch die Schulleitung und die Präsenz der Lehrkräfte nach dem Unterricht das Kooperationsverhalten von Lehrkräften?

Stichprobe: Zur Beantwortung der o. g. Fragestellungen wurde im Herbst 2015 mit 1.015 Lehrkräften der Sekundarstufe I ein Face-to-Face-Interview mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Firma Infratest Dimap (ein kommerzielles Umfrageinstitut) durchgeführt. Die Stichprobe wurde mit Hilfe von Quoten für die Schulformen (Gymnasium/andere Schularten), die Region (Ost/West) und das Alter der Lehrkräfte gezogen. Im Durchschnitt waren die Lehrkräfte 44,6 Jahre alt und primär weiblich (59 %). Die Schülerkomposition mit Blick auf den Zuwanderungshintergrund (28 %, SD = 24 %) und den Anteil von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) variierte (6.5 %, SD = 11.6 %).

Instrumente: Für die Studie wurden Items aus PISA 2009 und teilweise selbst entwickelte Items zur Erfassung kooperationsbezogener Einstellungen und Aktivitäten mit einer 4er-Likert-Ratingskala verwendet. Die Items zum Kooperationsverhalten wurden faktorenanalytisch untersucht und in die beiden Skalen „unterrichtsbezogene Kooperation“ und „pädagogische Kooperation“ mit akzeptabler interner Konsistenz (beide Cronbachs α > .70) gebündelt. Außerdem wurden Variablen zur Erfassung kooperationsförderlicher Rahmenbedingungen an der Schule genutzt (Zeitslots, Unterstützung durch die Schulleitung, Präsenz des Kollegiums nach dem Unterricht). Als Hintergrundvariablen wurden der prozentuale Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungsgeschichte und der Anteil an Schülerinnen und Schülern mit SPF erfragt.

Statistische Analysen: Die unterrichtliche und pädagogische Kooperation wurde in Abhängigkeit von der jeweiligen Zusammensetzung der Schülerschaft deskriptiv berichtet und Mittelwertsunterschiede wurden inferenzstatistisch über Varianzanalysen abgesichert (Forschungsfrage 1). Die potenziell kooperationsförderlichen Rahmenbedingungen (Zeit für Kooperation im Stundenplan, Unterstützung von Kooperation zwischen Lehrkräften durch die Schulleitung, Präsenz der Lehrkräfte nach dem Unterricht in der Schule) wurden in zustimmende und ablehnende Einschätzungen dichotomisiert und die Zustimmungsquoten zunächst in Abhängigkeit von der jeweiligen Zusammensetzung der Schülerschaft deskriptiv analysiert. Anschließend wurde varianzanalytisch untersucht, inwiefern Rahmenbedingungen und Schülerkomposition sowie die jeweiligen Interaktionen (z. B. Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungshintergrund х Zeit für Kooperation im Stundenplan) die unterrichtliche und pädagogische Kooperation erklären (Forschungsfrage 2).

Kooperation von Lehrkräften in Abhängigkeit von der Schülerkomposition
Die Ergebnisse zeigen, dass umso mehr unterrichtliche (F(2, 937) = 5.41, p = 0.01, part. η² = 0.01) und pädagogische Kooperation (F(2, 937) = 26.81, p < 0.01, part. η² = .05) stattfindet, je höher der Anteil an Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist. Die Effekte sind jedoch klein. Bei Schulen mit unterschiedlichem Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungshintergrund zeigen sich keine unmittelbaren Unterschiede im Kooperationsverhalten der Lehrkräfte.

Wahrnehmung von Rahmenbedingungen in Abhängigkeit von der Schülerkomposition
Lehrkräfte an Schulen mit einem mittleren Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungshintergrund (26–50 %) nehmen die kooperationsförderlichen Rahmenbedingungen (Zeit für Kooperation im Stundenplan, Unterstützung von Lehrkräftekooperation durch die Schulleitung, Präsenz des Kollegiums nach dem Unterricht) deskriptiv positiver wahr (Zustimmung 55–75 %) als Lehrkräfte an Schulen mit weniger bzw. noch mehr Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungshintergrund (Zustimmung 39–72 %), signifikante Unterschiede ergeben sich jedoch nur zu Schulen mit wenig Zugewanderten (0–10 %) im Hinblick auf die Zeit für Kooperation im Stundenplan und die Präsenz der Lehrkräfte nach dem Unterricht in der Schule (je part. η² ≤ .01).

Lehrkräfte an Schulen mit einem höheren Anteil an Inklusionsschülerinnen und -schülern nehmen die Rahmenbedingungen durchaus wahr (Zustimmung 58–73 %) und dies fast immer in einem stärkeren Maße als Lehrkräfte an Schulen mit weniger Inklusionsschülerinnen und -schülern (Zustimmung 40–69 %, je part. η² ≤ .02).

Vorhersage der Kooperation durch Schülerkomposition und Rahmenbedingungen
Weiterhin zeigt sich in Varianzanalysen, dass sowohl die Schülerkomposition als auch die drei betrachteten Rahmenbedingungen signifikante Vorhersagebeiträge zu Kooperationsaktivitäten aufweisen, jedoch hängen die Rahmenbedingungen teilweise deutlich stärker mit der Kooperationsaktivität zusammen als die Kompositionsmerkmale (Ausnahme: Der Anteil von SPF-Schülerinnen und -Schülern ist stärker als die Präsenz der Lehrkräfte und Zeit), wobei alle Effekte (sehr) klein ausfallen.

Von den Interaktionseffekten (Schülerkomposition х Rahmenbedingungen) wird die Interaktion zwischen der Zeit für Kooperation im Stundenplan und

  • dem Anteil von SPF-Schülerinnen und Schülern (unterrichtsbezogene Kooperation) sowie
  • dem Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungshintergrund (pädagogische Kooperation)

signifikant. Die Zeit für Kooperation im Stundenplan erweist sich somit als besonders wichtig bei höheren Anteilen von Inklusionsschülerinnen und -schülern für die unterrichtsbezogene Kooperation bzw. solchen mit Zuwanderungshintergrund für die pädagogische Kooperation.

Hintergrund
Die Studie von Fussangel und Richter greift ein für Schule und Administration relevantes Forschungsdesiderat auf. Die Untersuchung erhält vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen und bildungspolitischer Reformen im Zuge der Schaffung von mehr Bildungsgerechtigkeit besondere Bedeutung. Das Autorenduo untersucht vor diesem Hintergrund das Kooperationsverhalten einer bundesweiten Stichprobe von Lehrkräften an staatlichen Schulen der Sekundarstufe I in seiner Art und Intensität sowie die Rolle potenziell kooperationsförderlicher schulischer Rahmenbedingungen und verschiedener Kompositionsmerkmale der Schülerschaft.

Die Relevanz der Studie leitet das Autorenduo insbesondere durch die differenzielle und uneindeutige Befundlage der Wechselwirkung zwischen dem Kooperationsverhalten von Lehrkräften und verschiedenen Aspekten der Schulentwicklung ab. Ausführlich referieren sie Erkenntnisse zur Lehrkräftekooperation mit Blick auf das Zustandekommen von Kooperation, mögliche positive Effekte der Kooperation und schulische Reaktionen auf Herausforderungen sowie die damit verbundene Rolle der Kooperation. Die Argumentationsweise und die Hinführung zur eigenen Studie erscheinen insgesamt stringent. Eine theoretische Einbettung sowie Definition der Zielkonstrukte (unterrichtsbezogene bzw. pädagogische Kooperation) erfolgen jedoch nicht. Aus Sicht des Rezensenten hätte in der Darstellung der empirischen Befunde noch mehr der Fokus auf Erkenntnisse zu den schulischen Rahmenbedingungen gelegt werden können, die in der eigenen Untersuchung Berücksichtigung fanden.

Design
Das Studiendesign und die Durchführung werden ausführlich und nachvollziehbar beschrieben. Die Angaben zu den verwendeten Forschungsinstrumenten werden gegeben. Unklar bleibt, warum kooperationsbezogene Einstellungen erfasst wurden. Weder in der Hinführung noch in dem Ergebnisteil finden sie Erwähnung.

Dies verstärkt den Eindruck, dass Hinführung und Untersuchungsanlage wenig korrespondieren; so stellen die Auswahl der untersuchten Rahmenbedingungen und die Operationalisierung der Zielkonstrukte eine Fokussierung und Verengung dar, die im Artikel nicht weiter begründet wird und teilweise nur lose mit den vorherigen Ausführungen verbunden ist. Beispielsweise wird die Rahmenbedingung „Präsenz der Lehrkräfte nach dem Unterricht“ erstmals bei der Untersuchungsbeschreibung als relevante Rahmenbedingung benannt und es bleibt unbestimmt, was genau damit gemeint ist, dass die Schulleitung die Kooperation zwischen Lehrkräften unterstützt.

Den einleitend aufgeführten vielfältigen Bedingungen von Lehrkräftekooperation wird u. a. durch die Ausblendung der individuellen Ebene in der eigenen Untersuchung nicht entsprochen. Weiterhin erscheint problematisch, dass die Auswertungen nicht nach relevanten Organisationsmerkmalen (Ganztag, Schulform) differenzieren, obgleich z. B. zuvor festgestellt wird, dass Kooperation bei der Entwicklung eines Schulkonzepts anders erfolgt als die Zusammenarbeit mit dem pädagogischen Personal des Ganztags.

Die Unterscheidung in unterrichtsbezogene und pädagogische Kooperation erscheint wenig geeignet, diese Erkenntnis angemessen abzubilden, nicht zuletzt da die Kooperationsvarianten nicht systematisch entwickelt oder literaturbasiert hergeleitet, sondern nachträglich faktorenanalytisch konstruiert wurden, wobei die angeführten Beispielitems keine prägnante Abgrenzung erkennen lassen (unterrichtsbezogene Kooperation: „Wir diskutieren im Kollegium angeregt über spezielle Lehr- und Lernmethoden“ vs. pädagogische Kooperation: „Wir sprechen uns fachbezogen ab, wie wir gemeinsam einzelne Schülerinnen und Schüler fördern können“). Es fehlt zudem die Angabe der Korrelation zwischen diesen Faktoren.

Die Ergebnisdarstellungen beinhalten deskriptive Angaben und Mittelwertvergleiche sowie varianzanalytische Signifikanztests. Die Methodik erscheint im Hinblick auf die Datengrundlage angemessen.

Ergebnisse
Die Zielstellung der Untersuchung wird erreicht. Die vorgenommenen Schlussfolgerungen erscheinen plausibel: So wird angenommen, dass die erhöhte Kooperation an Schulen mit einem höheren Anteil an Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf vermutlich auf die hierfür notwendige Kooperation von Regelschullehrkräften mit sonderpädagogischen Lehrkräften zurückgeführt werden kann. Aus Sicht des Rezensenten wäre es interessant zu untersuchen, inwieweit solche Aktivitäten eher von Regelschullehrkräften oder den Sonderpädagogen ausgehen oder ob diese enge Zusammenarbeit an diesen Schulen z. B. durch eine gemeinsame Klassenleitung bereits schulstrukturell angelegt ist.

Die sich deskriptiv abzeichnende negativere Einschätzung der Rahmenbedingungen für Kooperation bei einem sehr hohen Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungshintergrund (> 50 %) wird damit erklärt, dass Schulen hier den Fokus mehr auf die mit der Schülerschaft einhergehenden Probleme legen und weniger auf die Gestaltung von kooperationsförderlichen Rahmenbedingungen. Schulen mit hohem Anteil an Inklusionsschülern scheinen im Gegensatz dazu auf die Schülerklientel zu reagieren und Maßnahmen wie etwa die Einrichtung fester Kooperationszeiten vorzunehmen. Inwiefern dies mit der Aufmerksamkeit zusammenhängt, die dem Thema Inklusion derzeit entgegengebracht wird, bleibt aus Sicht des Rezensenten fragwürdig. Aus seiner Sicht liegt es weniger an der vermehrten Aufmerksamkeit für dieses Thema, vielmehr könnten eher professionsbezogene sowie schulstrukturelle Gründe hierfür verantwortlich sein. Fussangel und Richter vermuten zudem aus Sicht des Rezensenten sehr naheliegend, dass die Kooperationsaktivitäten bei Lehrkräften nicht speziell auf Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungshintergrund ausgerichtet sind, da diese in fast allen Klassen vorkommen.

Als Limitation führt das Autorenduo nachvollziehbar aus, dass die Daten auf Selbstberichten der Lehrkräfte beruhen und pro Schule lediglich eine Lehrkraft befragt wurde. Dies schränkt die Aussagekraft der Befunde ein. Zudem ist aus Sicht des Rezensenten an dieser Stelle zu bemerken, dass die gefundenen Effekte klein sind. Wie sieht es mit ihrer praktischen Bedeutsamkeit aus? Außerdem führen die o. g. designbedingten Schwächen der Untersuchungsanlage dazu, dass weitgehend ungeklärt bleibt, ob Schulen mit gleichen Organisationsmerkmalen (z. B. Schulform, Ganztag, Klassenlehrerprinzip) sich in Abhängigkeit von ihrer Schülerschaft bezüglich inhaltlich abgrenzbarer Kooperationsaktivitäten unterscheiden und welche individuellen und organisatorischen Rahmenbedingungen jenseits der Zeit für Kooperation im Stundenplan dabei förderlich sein können. Daneben wäre mit Blick auf Folgestudien weiterhin interessant, inwiefern die Kooperationsaktivitäten dem Kompetenzzuwachs der Schülerinnen und Schüler dienlich sind.

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Unterstützung für die Praxis

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Diese Rezension wurde erstellt von:
Dr. Mirko Krüger, PD, Lehrer an der Georg-Müller-Gesamtschule in Wetter (Ruhr) und Lehrbeauftragter an der Fakultät für Bildungswissenschaften, Universität Duisburg-Essen. Arbeitsschwerpunkte: Schul- und Schulsportentwicklung, Sprachbildung im Sportunterricht, Professionalisierung von Lehrkräften

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