Fragestellungen der Studie:
Rezension zur Studie
Ditton, H. (2002). Lehrkräfte und Unterricht aus Schülersicht – Ergebnisse einer Untersuchung im Fach Mathematik. Zeitschrift für Pädagogik, 48(2), 262–286.FIS BildungDie Aussagekraft von Schülerrückmeldungen zur Unterrichtsqualität wird teilweise in Frage gestellt, da ihre Wahrnehmungen verzerrt sein könnten oder befürchtet wird, dass sie ihre Rückmeldungen für persönliche Zwecke missbrauchen. Daher untersucht Ditton (2002) auf Grundlage einer Befragung von 4.316 Schülerinnen und Schülern aus 186 Klassen der 9. Jahrgangsstufe, wie diese ihre Mathematiklehrkraft und deren Unterricht wahrnehmen, auf welche Schüler-, Lehrer- und Unterrichtsmerkmale die Schülerwahrnehmungen zurückgeführt werden können und wie – u. a. vor dem Hintergrund einer Befragung der betroffenen Lehrkräfte – die Aussagekraft von Schülerrückmeldungen zu Lehrkräften und ihrem Unterricht einzuschätzen ist.
Die Wahrnehmungen der Mathematiklehrkräfte und ihres Unterrichts durch die Schülerinnen und Schüler fallen überwiegend positiv aus, wobei teilweise erhebliche Unterschiede bestehen, manche Lehrkräfte und ihr Unterricht werden überwiegend positiv, andere überwiegend negativ bewertet. Zurückführen lassen sich diese Schülerwahrnehmungen primär auf Merkmale der Unterrichtsqualität, beispielsweise sind sie umso positiver, je höher aus Schülersicht die diagnostische Kompetenz der Lehrkraft ist, je stärker die motivierende Unterstützung ausfällt und je höher die Interessantheit, die Klarheit sowie die inhaltliche und formal-kognitive Strukturiertheit des Unterrichts eingeschätzt werden.
Die klassenweise aggregierten Schülerwahrnehmungen zur Unterrichtsqualität hängen mit den Erwartungen ihrer Lehrkräfte bezüglich der Schülerantworten teilweise stärker zusammen, als üblicherweise bei derart unterschiedlichen Wahrnehmungsperspektiven zu erwarten wäre. Einerseits spricht dies für eine verhältnismäßig gute Antizipation der Schülerwahrnehmungen zur Unterrichtsqualität durch die Lehrkräfte, andererseits wird deutlich, dass erhebliche Abweichungen zwischen den Wahrnehmungsperspektiven bestehen.
Eine Mehrebenenanalyse erbringt, dass Bedingungen, von denen häufig vermutet wird, dass sie zu einer negativen Verzerrung der Schülerantworten führen (schlechte Noten, negative schulische Einstellungen, Fachpräferenzen), nur auf individueller Ebene mit den Schülerwahrnehmungen in Zusammenhang stehen, d. h. sie erklären Unterschiede zwischen den Wahrnehmungen einzelner Schülerinnen und Schüler, nicht aber zwischen Schulklassen.
Die Befunde lassen den Schluss zu, dass Schülerrückmeldungen auf Klassenebene aussagekräftige Informationen zur Unterrichtsqualität aus Schülerperspektive liefern können, allerdings sollten je nach Verwendungszweck weitere Wahrnehmungsperspektiven berücksichtigt werden.
Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.
Reflexionsfragen für Lehrkräfte:
Reflexionsfragen für Schulleitungen:
Es gibt unterschiedliche Ansätze und Methoden, um Unterrichtsqualität zu ermitteln, beispielsweise Beobachtungen von Unterricht durch schulinterne oder -externe Personen und Befragungen von Lehrkräften oder Schülerinnen und Schülern. Befragungen von Schülerinnen und Schülern zum Unterricht sind in der Schulpraxis kaum flächendeckend verankert. Zudem ist oft unklar, ob es sich um systematische und regelmäßige Rückmeldungen handelt und wie solche Verfahren etabliert werden können. Ein möglicher Hemmfaktor für die Entwicklung einer systematischen Feedbackkultur kann Skepsis gegenüber dem Beurteilungsvermögen von Schülerinnen und Schülern und der Aussagekraft ihrer Rückmeldungen zum Unterricht sein.
Als vorstellbare verzerrende Effekte werden u. a. eine positive Honorierung von charismatischem Auftreten von Lehrpersonen oder eine unzureichende und undifferenzierte Beobachtung des Unterrichts genannt. Zudem besteht die Sorge, dass Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit zur Rückmeldung für persönliche Zwecke missbrauchen könnten. Demgegenüber argumentiert Ditton unter Verweis auf Untersuchungen von Gerstenmaier (1975), Hofer (1981) und Stolz (1997), dass Schüleraussagen zur Unterrichtsqualität nicht weniger belastbar seien als Aussagen von anderen Beobachtern. Begründet wird dies dahin gehend, dass Schülerinnen und Schüler über Langzeiterfahrung als direkt Betroffene von Unterricht verfügten, da sie ein weites Spektrum an Situationen und Zeiträumen als Bewertungsgrundlage nutzen und unterschiedliche Lehrkräfte und den Unterricht in verschiedenen Fächern vergleichen könnten.
Wahrnehmungsverzerrungen träten vor allem bei kurzzeitigen Untersuchungen für Einzelaspekte auf, seien aber nicht als langfristiger Effekt und allgemeingültig für die Gesamtwahrnehmung von Lehrpersonen aus Schülersicht übertragbar. Wahrscheinlicher sei, dass Schülerinnen und Schüler bei ihrer Einschätzung von Unterrichtsqualität und Lehrerverhalten auf Grundlage des „Eigeninteresses am Erreichen schulischer Ziele Kriterien der Förderung des Lernerfolgs“ einbezögen (Ditton, 2002, S. 264). Im Weiteren referiert Ditton Forschungsbefunde der o. g. Autoren zur Bedeutung von Schülermerkmalen, Strukturmerkmalen des Unterrichts sowie Lehrer- und Unterrichtsmerkmalen für Schülerwahrnehmungen von Unterricht und Lehrperson.
Demnach weisen das Geschlecht und die soziale Herkunft von Schülerinnen und Schülern keine deutlichen oder eindeutigen Zusammenhänge mit ihren Wahrnehmungen auf. Hingegen begünstigt ein höheres Alter eine differenziertere Unterrichtswahrnehmung durch die Schülerinnen und Schüler und die Lehrkraft wird bedeutsamer für ihre Einschätzungen. Außerdem besteht eine schwache Tendenz, dass Schülerinnen und Schüler mit eher negativen schulischen Einstellungen bzw. geringerem schulischen oder fachlichen Interesse sowie mit schwächeren schulischen Leistungen den Unterricht und ihre Lehrkraft weniger positiv wahrnehmen. Unterricht in kleinen Klassen wird positiver wahrgenommen als in großen. Die Einschätzungen fallen zudem positiver aus, je höher die Häufigkeit der Kontakte und/oder je größer die Vertrautheit mit der Lehrkraft ist. Lehrer- und Unterrichtsmerkmale erweisen sich als insgesamt am bedeutsamsten für die Schülerwahrnehmungen, wobei zwei Dimensionen unterscheidbar sind: Wärme, soziale Kompetenzen und Wunscherfüllung (love theme) sowie fachliches Können, Qualität des Unterrichts, Disziplin sowie Durchsetzungsfähigkeit der Lehrkraft (mastery theme).
Vor dem Hintergrund der Forschungslage nimmt Ditton an, dass sich durch Befragungen der Schülerinnen und Schüler relevante Unterrichtsmerkmale vergleichsweise zuverlässig ermittelt lassen und keine ausgeprägten Wahrnehmungs- oder Beurteilungsfehler zum Tragen kommen. Die Wahrnehmungen von Schülerinnen und Schülern weisen dabei einerseits individuell spezifische und andererseits gemeinsam geteilte Anteile auf. Die Unterrichtsqualität lasse sich vermutlich am ehesten über den gemeinsamen Anteil der Wahrnehmungen erfassen, sodass der Mittelwert auf Klassenebene als die intersubjektiv wahrgenommene Qualität des Unterrichts interpretiert werden könne. Die Unterscheidung nach individuellen und kollektiv geteilten Wahrnehmungsanteilen ist nach Auffassung von Ditton in den bisherigen Untersuchungen kaum angemessen methodisch berücksichtigt worden und stellt daher einen wesentlichen Aspekt der von ihm vorgenommenen Analysen dar.
Für die Teilnahme an der Untersuchung meldeten sich 178 von 300 zufällig ausgewählten bayerischen Schulen, sodass eine Teilnahmequote von rund 60 % realisiert wurde. Kontaktiert wurden 100 Schulen je Schulform, von denen 62 Haupt- und 57 Realschulen sowie 62 Gymnasien zusagten. Insgesamt füllten 4.316 Schülerinnen und Schülern aus 186 Klassen der Jahrgangstufe 9 Fragebögen aus, mit denen Erkenntnisse über die Wahrnehmung des Unterrichts und der Lehrperson aus Schülersicht gewonnen wurden.
Im ersten Teil gaben die Schülerinnen und Schüler eine Rückmeldung zu ihrer Wahrnehmung der Lehrkraft, wobei die Fragebogenitems auf einer vierstufigen Skala von „stimme überhaupt nicht zu“ bis „stimme voll zu“ zu beantworten waren. Die sechs Items zu den Schülerwahrnehmungen der Lehrperson wurden unter der Annahme entwickelt, dass ihnen zwei unterschiedliche Dimensionen zugrunde liegen, eine stärker emotional geprägte globale Einschätzung und eine stärker auf das Lernen und den Unterricht bezogene Einschätzung.
Im zweiten Teil wurden Schülermerkmale, schulische Einstellungen, Einschätzungen zu Unterrichtsmerkmalen nach dem QAIT-Modell (Slavin, 1996) und zu weiteren unterrichtsspezifischen Merkmalen erfragt. Daneben bearbeiteten die Lehrkräfte des Fachs Mathematik einen Fragebogen, der neben allgemeinen Lehrermerkmalen und Klassenmerkmalen zusätzlich die Erwartungen der Lehrkräfte hinsichtlich der Klassenrückmeldung zur Wahrnehmung ihres Unterrichts erhebt, d. h. die Lehrkräfte wurden um eine Einschätzung zu der Wirkung des Unterrichts auf ihre Schülerinnen und Schüler gebeten, nicht um eine persönliche Beurteilung der eigenen Unterrichtsqualität.
Für die Auswertung wurden statistische Verfahren zur Zusammenhangsstärke (Korrelation), eine Faktorenanalyse und eine Mehrebenenanalyse berechnet.
Individualebene
Die Schülerinnen und Schüler beurteilen ihre Lehrkräfte überwiegend positiv. So geben 82,2 % aller Schülerinnen und Schüler an, „gute Lehrer“ im Fachunterricht Mathematik wahrzunehmen. Außerdem bewerten 75,6 % der Schülerinnen und Schüler die Aussage zum „guten Unterricht“ der Lehrkraft mit „stimme eher zu“ und „stimme voll zu“.
Die Annahme einer auf zwei Dimensionen basierenden Wahrnehmung der Lehrperson durch die Schülerinnen und Schüler mit einer stärker emotional geprägten, globalen Einschätzung und einer stärker auf das Lernen und Unterricht bezogenen Einschätzung wird nicht bestätigt. Eine Faktorenanalyse der sechs Items erbringt nur einen gemeinsamen Faktor. Der Skalenwert dieser sechs Items bildet die abhängige Variable bei den folgenden Analysen (Cronbachs α = 0.91).
Die Wahrnehmung der Lehrperson durch die Schülerinnen und Schüler korreliert nur schwach mit Schülermerkmalen wie Geschlecht (r = -.07, p<.01), sozialem Hintergrund (Schulabschluss der Mutter: r = -.02, n. s., Schulabschluss des Vaters: r = -.04, p<.01), Klassenwiederholung (r = -.05, p<.05), Versetzung gefährdet (r = -.14, p<.01) und Mathematiknote (r = -.27, p<.01).
Höhere und durchgängig hochsignifikante Zusammenhänge ergeben sich mit schulischen Einstellungen: Interessantheit des Fachs (r = .40), Wichtigkeit des Fachs (r = .31), positive schulische Einstellung (r = .35), schulbezogene Wertorientierung (r = .28).
Die stärksten Zusammenhänge bestehen mit den Wahrnehmungen zur Unterrichtsqualität: Diagnostische Kompetenz der Lehrkraft (r = .73), Verhältnis zur Lehrkraft (r = .67), motivierende Unterstützung (r = .64), Interessantheit (r = .64), Klarheit (r = .65), inhaltliche (r = .49) und formal-kognitive Strukturiertheit des Unterrichts (r = .58).
Schließlich zeigen sich bedeutsame Beziehungen zu spezifischen Merkmalen des Unterrichts in den Bereichen Schul- bzw. Klassenarbeiten (z. B. Bezug zum behandelten Stoff, r = .42), wahrgenommene Gerechtigkeit (z. B. gerechte Noten für mündliches Abfragen, r = .46) und in geringerem Maße im Bereich Hausaufgaben (z. B. Besprechen der Hausaufgaben in der Klasse, r = .26).
Klassenebene
Wenngleich die Lehrkräfte und ihr Unterricht von den Schülerinnen und Schülern überwiegend positiv wahrgenommen werden, bestehen teilweise erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Schulklassen, d. h. einzelne Lehrkräfte und ihr Unterricht werden nahezu von der ganzen Klasse positiv, andere negativ wahrgenommen, was als Hinweis auf eine stimmige Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler auf Klassenebene deutbar ist.
Positiv wahrgenommene Lehrkräfte geben in der Befragung an, einen höheren Aufwand für die Unterrichtsvorbereitung zu betreiben (r = .20) und eine höhere Zahl an Wochenstunden in der Klasse zu unterrichten(r = .25). Die Anzahl der Schuljahre, die die Lehrkraft bereits in der Klasse unterrichtet hat, geht ebenfalls mit einer positiven Wahrnehmung aus Schülerperspektive einher (r = .29). Die Klassengröße ist im Vergleich zu den bereits erläuterten Faktoren etwas weniger bedeutsam (r = -.18).
Die Wahrnehmung von Unterricht aus Schülerperspektive und die Wahrnehmung von Schulklassen durch Lehrkräfte steht tendenziell in wechselseitiger Beziehung: Lehrkräfte, die von Schülerinnen und Schülern positiv wahrgenommen werden, unterrichten in der Regel gerne in dieser Klasse (r = .31) und der Klassenstufe (r = .33). Sie nehmen ihre Klassen eher als interessiert (r = .24), diszipliniert (r = .27) und selbstständig (r = .17) wahr.
Die Erwartungen der Lehrkräfte hinsichtlich der Schülerwahrnehmungen korrespondieren mit den Schülerantworten zur Unterrichtsqualität. Die stärksten Zusammenhänge zeigen sich bei den Dimensionen Interessantheit (r = .44), (formal-kognitive) Strukturiertheit (r = .39), Klassenmanagement (r = .48) und Schüler-Lehrer Verhältnis (r = .47).
Bezogen auf den Gesamtscore dieser Skalen ergibt sich eine Korrelation von r = .42, was laut Ditton unter Verweis auf Clausen (2000) über dem üblichen Grenzwert für unterschiedliche Wahrnehmungsperspektiven liegt („.30-Barriere“). Ditton konstatiert eine vergleichsweise hohe Treffsicherheit der Lehrkräfte bzw. eine relativ gute Antizipation ihrer Wirkungen auf die Schülerinnen und Schüler, wobei die im Einzelfall teilweise gravierenden Diskrepanzen Ausgangspunkte für Interventionen bilden könnten.
Mehrebenenanalyse
In einem letzten Schritt werden die Verknüpfungen von Schüler-, Unterrichts- und Lehrermerkmalen mit den Einschätzungen der Fachlehrkräfte durch die Schülerinnen und Schüler in einer Mehrebenenanalyse untersucht, wobei zusätzliche Kontextfaktoren berücksichtigt werden.
Die Intraklassenkorrelation im Nullmodell beträgt ca. 26 %, d. h. etwa ein Viertel der Gesamtvarianz der Schülerwahrnehmungen zur Fachlehrkraft geht auf Unterschiede zwischen den Lehrkräften bzw. Schulklassen zurück. Anhand von drei statistischen Modellen werden Unterschiede auf Ebene der Schülerinnen und Schüler sowie der Klassen analysiert. Dies erbringt zum einen, dass die Fachnote, die schulischen Einstellungen und die Interessantheit des Faches nur auf der Ebene der Wahrnehmung des Einzelschülers relevant sind und unterschiedliche Wahrnehmungen von Schülerinnen und Schülern erklären.
Diese Merkmale geben allerdings keinen Aufschluss über Klassenvergleiche. Merkmale, welche die Unterschiede der Wahrnehmung von Unterricht und Lehrkraft sowohl zwischen Schülerinnen und Schülern als auch zwischen Klassen erklären, sind die Aspekte diagnostische Kompetenz, Klarheit des Unterrichts und Verhältnis zur Lehrkraft. Auch das Klassenmanagement ist auf beiden Vergleichsebenen bedeutsam. Merkmale der Unterrichtsqualität stellen sich somit als die wichtigsten Bedingungen für die Wahrnehmung von Unterricht und Lehrkraft aus Schülersicht heraus.
Ditton weist darauf hin, dass Erklärungsbedarfe bestehen bleiben, z. B. werden Lehrkräfte an Realschulen überdurchschnittlich positiv von Schülerinnen und Schülern wahrgenommen. Außerdem werden weibliche Lehrkräfte insgesamt schlechter im Mathematikunterricht wahrgenommen als männliche. Hier gilt es weiterführende Untersuchungen anzuknüpfen und Erklärungszusammenhänge zu beleuchten.
Im Diskurs über die Gültigkeit der Antworten von Befragungsadressaten, in diesem Fall bezogen auf Schülerinnen und Schüler, stellt der Beitrag von Ditton ein Plädoyer für mehr Zuversicht und weniger Vorbehalte im Kontext Schülerfeedback zu Unterricht und Lehrkräften dar. Die Fokussierung auf Schülerinnen und Schüler als „Experten“ für Unterricht beleuchtet den Lernprozess in Schulen aus einer schülerorientierten Perspektive und thematisiert die bislang wenig genutzte Möglichkeit des Schülerfeedbacks zur Unterrichtsqualität.
Die Ergebnisse der Untersuchung machen deutlich, dass Schülerrückmeldungen vor allem auf Ebene der Klassen als verlässlich angesehen werden können und die Skepsis bezüglich verzerrender Effekte, welche die Aussagekraft von Schülerrückmeldungen in Frage stellen, keine Bestätigung findet. Zwar ist die Untersuchung auf das Unterrichtsfach Mathematik der 9. Jahrgangstufe beschränkt und es ist unsicher, inwiefern die Ergebnisse für andere Fächer, Jahrgangsstufen und Schülerpopulationen gültig sind, trotzdem wecken sie die Erwartung, dass Schülerinnen und Schüler den Unterricht auf Grundlage von Qualitätsmerkmalen wahrnehmen und somit relevante Aussagen zur Unterrichtsqualität machen können. Die Studie wurde durch weitere Untersuchungen im QUASSU-Projekt auf die Fächer Deutsch und Englisch in den Jahrgangstufen 8 bis 10 ausgeweitet (vgl. Arnold, Ditton & Bornemann, o. J.).
Kritisch einzuschätzen ist die angewandte Methode zur Prüfung der Annahme, dass Wahrnehmungen von Lehrkräften und ihrem Unterricht durch Schülerinnen und Schüler auf zwei unterschiedlichen Dimensionen gründen. Anstelle einer explorativen Faktorenanalyse wäre eine konfirmatorische Faktorenanalyse angezeigt gewesen. Dadurch hätte sich die angenommene Zweidimensionalität im Gegensatz zum Befund Dittons vermutlich insofern nachweisen lassen, als die beiden Faktoren neben einem hohen Anteil gemeinsamer Varianz jeweils zusätzlich einen relevanten Anteil spezifischer Varianz erfassen. Zu monieren sind zudem unklare Angaben zum Signifikanzniveau (Tabelle 4) und die fragwürdige Angabe von drei oder vier Nachkommastellen.
Inhaltlich ist zu hinterfragen, welche Intention mit der Befragung der Lehrkräfte zur Wirkung ihres Unterrichts auf die Schülerwahrnehmung verfolgt wird. Ditton schlussfolgert, dass „gravierende Diskrepanzen […] einen Ausgangspunkt für Intervention bilden [könnten]“ (Ditton, 2002, S. 276). Da es sich aber ausschließlich um die von der Lehrkraft antizipierten Wahrnehmungen der Schülerinnen und Schüler handelt und nicht um die eigene Beurteilung der Unterrichtsqualität, ist vorstellbar, dass die Übereinstimmung der Lehrkräfteerwartungen mit den Schülerrückmeldungen nicht zwangsläufig eine beidseitig geteilte Wahrnehmung beinhaltet, sondern lediglich eine realistische Einschätzung der Schülerwahrnehmung. Weiterführend wäre zu thematisieren, wieso unterschiedliche Wahrnehmungen des Unterrichts zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern auftreten können. Die Fokussierung auf die Antizipation der Perspektive von Schülern und Schülerinnen kann als Voraussetzung für einen Dialog zur Unterrichtsentwicklung erachtet werden, ist jedoch nicht hinreichend, um beide Wahrnehmungsperspektiven gleichwertig in die Diskussion einzuschließen.
Um den praktischen Nutzen von Schülerfeedback zum Unterricht aufzugreifen, sollten die Ergebnisse aussagekräftig und verständlich sein, wobei die Akzeptanz der Beteiligten grundlegend ist (Ditton, 2002). Es empfiehlt sich, Schülerfeedback nicht nur punktuell, sondern systematisch und regelmäßig zu nutzen, um aussagekräftige Ergebnisse zur Unterrichtsqualität zu erhalten. Zur Unterstützung der Lehrkräfte in diesem Vorhaben können Angebote in Fort- und Weiterbildung hilfreich sein, die unter anderem die Nutzung und den Umgang von Ergebnissen durch Unterrichtsevaluation thematisieren.
In der Gesamtschau ist Dittons Untersuchung ein wichtiger Beitrag, um die Schülerperspektive zugänglicher zu machen und Auseinandersetzung mit Befragungsergebnissen zur Unterrichtsqualität und -entwicklung sowie mit Perspektivunterschieden zwischen Lehrkräften und Schülerschaft zu fördern. Interne Evaluationskonzepte und Schulentwicklungsprozesse können durch systematische Schülerrückmeldungen schrittweise realisiert werden und zur Entwicklung einer Feedbackkultur in Schulen beitragen.
Institut für Bildungsanalysen (IBBW)
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