Fragestellungen der Studie:
Rezension zur Studie
Kronsfoth, K., Muslic, B., Graf, T. & Kuper, H. (2018). Der Zusammenhang zwischen Führungsdimensionen in der Schulleitung und der Nutzung von Ergebnisrückmeldungen aus Vergleichsarbeiten. Die Deutsche Schule, 110(1), 47–64.FIS BildungDie Auswertung der Ergebnisse von Vergleichsarbeiten (VERA) soll zu einer Verbesserung von Unterrichts- und Schulqualität führen, wobei es von der Schulleitung abhängt, wie dieser Prozess gestaltet wird. Doch wie wirken sich unterschiedliche Führungspraktiken von Schulleitungen auf die Nutzung der Befunde von Vergleichsarbeiten aus?
Kronsfoth et al. untersuchen auf Basis einer Befragung von 115 Mitgliedern der Leitungen von weiterführenden Schulen, die an VERA 8 teilgenommen haben, drei Führungspraktiken von Schulleitungen (direktiv, diskursiv, delegativ), um herauszufinden, ob sie mit der Nutzung und Verarbeitung von VERA-Ergebnissen zusammenhängen.
Im Ergebnis ergibt sich ein diffuses Bild: Die Zusammenhänge der Führungspraktiken mit verschiedenen Aktivitäten der Ergebnisnutzung und -verarbeitung sind überwiegend nicht signifikant und erreichen nur in einem Fall mittlere Effektstärke (|r| ≤ .36). Kronsfoth et al. sehen schwache Hinweise darauf, dass die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Vergleichsarbeiten aus Sicht von Mitgliedern der Schulleitung durch delegative Führung eher gehemmt und im Fall direktiver oder diskursiver Führung tendenziell gefördert wird. Demnach kommt es durch die Verteilung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu einer Verantwortungsdiffusion und die Lehrkräfte interpretieren Delegation als Freibrief für den Umgang mit VERA.
Die Fragestellung ist zwar innovativ und sinnvoll entwickelt, die Ergebnisse können jedoch – wie Kronsfoth et al. selbst anmerken – (noch) nicht als ausreichend abgesichert gelten. Zudem ist die Anlage der Untersuchung unzulänglich: So fällt die Zahl der Befragten gering aus und die Konzentration der Befragung auf Schulleitungsmitglieder erscheint nur begrenzt sinnvoll, zumal es auch darum geht, die Rolle anderer schulischer Akteure bei der Ergebnisnutzung und -verarbeitung angemessen zu erfassen. Darüber hinaus bleiben eventuell steuernde Drittvariablen unberücksichtigt. Letztlich lassen sich die Ergebnisse durch gängige Befürchtungen von Führungskräften bezüglich der Delegation von Aufgaben erklären, die nicht VERA-spezifisch sind. Damit liefert die Studie zwar keine sicheren Erkenntnisse, jedoch viele Perspektiven für eine zukünftige vertiefte und stärker differenzierte Behandlung der Fragestellung.
Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.
Reflexionsfragen für Lehrkräfte:
Reflexionsfragen für Schulleitungen:
Kronsfoth et al. verweisen einleitend darauf, dass mit der Einrichtung von verpflichtenden, landesweiten, zentral administrierten Vergleichsarbeiten (VERA) ab 2007/08 und der damit einhergehenden Ergebnisrückmeldung an Schulen und Fachlehrkräfte die Erwartung verbunden war, die interne Schul- und Unterrichtsentwicklung voranzubringen. Eine Schlüsselfunktion sollte bei diesem Prozess den jeweiligen Schulleitungen zukommen, denen zugleich neue Aufgaben im schulischen „Management“ zufielen, so die Ebenen-übergreifende Abstimmung, die Schaffung organisatorischer Voraussetzungen und die Koordination innerschulischer Nutzungsprozesse.
Obwohl die Schulforschung rasch mit einer Vielzahl von Forschungsinitiativen auf die Einrichtung der evidenzbasierten Steuerung an Schulen reagierte, stellen Kronsfoth et al. fest, dass die Rolle der Schulleitungen bislang kaum untersucht ist. Es gebe bislang vornehmlich qualitativ ermittelte Befunde: Demnach liege die zentrale Rolle der Schulleitungen bei der Einwirkung auf Lehrkräfte und Fachkonferenzen, wobei Schulleitungen v. a. Interesse an Gesamtergebnissen von Schule und Einzelfächern im Vergleich mit Landes- oder regionalen Mittelwerten zeigten. Zugleich belege eine Interviewstudie, dass Schulleitungen große Unterschiede darin aufweisen, in welchem Ausmaß sie VERA als Instrument der Selbstevaluation (und nicht etwa als externe Qualitätskontrolle) anerkennen. Insgesamt scheine ein starker Zusammenhang zwischen der jeweiligen Verwendung von VERA-Ergebnissen und lokalen Kontexten zu bestehen.
Aus diesem Forschungsstand und dem festgestellten Desiderat leiten Kronsfoth et al. die Notwendigkeit ihrer Studie ab, in welcher sie der Frage nachgehen, ob ein Zusammenhang zwischen den jeweiligen Führungskonzepten der Schulleitungen und der Nutzung der Rückmeldung von VERA-Ergebnissen festzustellen ist.
Zur Strukturierung der eigenen Untersuchung verwenden Kronsfoth et al. das Zyklenmodell von Helmke (2004), das eine vierphasige Abfolge bei der Nutzung von Evaluationsdaten beschreibt: Rezeption – Reflexion – Aktion – Evaluation.
Die der Untersuchung zugrunde liegenden Daten wurden im Jahre 2014 durch eine schriftliche Befragung von Schulleitungen der öffentlichen Schulen in Berlin und Brandenburg erhoben, sofern diese zuvor an VERA 8 teilgenommen hatten. Die Fragebögen waren den Schulleitungen zugesandt worden. Allerdings konnte mit 115 von 424 möglichen Teilnehmenden (nur) ein Rücklauf von ca. 27 % erreicht werden. Auch nahmen in 25 Fällen nicht die Schulleitungen selbst, sondern ihre Stellvertreterinnen oder Stellvertreter teil, wobei es jedoch bei den Antworten zwischen der Gruppe der Schulleitungen und der Gruppe der Vertretungen keinen signifikanten Unterschied geben soll. Auch wies die so erreichte Stichprobe in Bezug auf die Merkmale Schulart, Leistung (Bildungsstandardpunkte), leistungsrelevante Merkmale (Herkunftssprache, Lernmittelbefreiung) keine signifikanten Unterschiede zur Grundgesamtheit der Berliner und Brandenburger Schulen auf und kann somit für diese beiden Bundesländer als repräsentativ gelten.
In Anlehnung an eine ältere Untersuchung, an der einer der Autoren beteiligt war, wurden den befragten Schulleitungen 19 Items zur Beurteilung vorgelegt, mit deren Hilfe das Verhältnis der Schulleitung zu anderen schulischen Akteuren erfasst werden kann. Die Schulleitungen sollten anhand einer sechsteiligen Skala mitteilen, in welchem Ausmaß sie den jeweiligen Items zustimmen. Mithilfe einer exploratorischen Faktorenanalyse und einer anschließenden Itemselektion konnten drei Dimensionen von Führung abgebildet werden:
Informationen über die Nutzung der VERA-Rückmeldungen wurden anhand von annähernd 60 Items erfasst, welche den Phasen „Rezeption“, „Reflexion“ und „Aktion“ des Zyklenmodells von Helmke zuzuordnen waren. Gegenstände dieser Items waren etwa der Vergleich der Lösungshäufigkeiten nach Klassen, der Abgleich der VERA-Tests mit dem Schulcurriculum oder die Verstärkung der Kompetenzorientierung in der Unterrichtsplanung. Es wurde jeweils erfragt, ob die Schulleitungen selbst die abgefragten Aktivitäten ausgeführt hatten oder ob hierbei weitere professionelle Akteure an der Schule involviert waren. Es wurde eine dichotome Skala („wurde nicht gemacht“ vs. „wurde gemacht“) eingesetzt.
Mithilfe einer semantischen Clusterung wurden die Items zu Gruppen (Indizes) zusammengefasst, die jeweils inhaltlich zusammenhängende Einzelaktivitäten vereinten. Summenscores ergaben jeweils Hinweise darauf, wie intensiv Schulleitungen oder sonstige schulische Akteure die Aktivitäten genutzt hatten. In 25 Fällen (12-mal für die Schulleitungen, 13-mal für die sonstigen schulischen Akteure) waren die ermittelten Indizes ausreichend reliabel (α ≥ .65).
Durch die Berechnung bivariater Korrelationen (nach Pearson) wurde anschließend ermittelt, inwiefern Zusammenhänge zwischen den drei Führungsdimensionen und den Indizes der Nutzung von VERA-Rückmeldungen bestehen. Die Berechnungen wurden getrennt für die Ebene der Schulleitung und der sonstigen schulischen Akteure durchgeführt.
Auf der Ebene der Schulleitungen ergibt sich hinsichtlich der Nutzung der VERA-Rückmeldung nach Auffassung von Kronsfoth et al. (S. 57) „ein eher diffuses Bild; vielfach gibt es keine, gelegentlich schwache bis mäßige Zusammenhänge, die nur vereinzelt als signifikant ausgewiesen werden.“ Delegative Führung hängt dabei tendenziell mit allen Nutzungsindizes negativ zusammen (wobei in vier von zwölf Fällen die Korrelationen statistisch signifikant sind). Bei der direktiven Führung konnte in einem Fall eine (positive) statistisch signifikante Beziehung ermittelt werden. Keine der für diskursive Führung ermittelten Korrelationen erwies sich als statistisch signifikant.
Bei der Ebene der anderen schulischen Akteure zeigen sich bei diskursiver und direktiver Führung eher positive, bei delegierender Führung tendenziell negative Zusammenhänge mit den Nutzungsindizes. Allerdings sind bei delegativer Führung nur sechs von 13 Korrelationen statistisch signifikant, bei diskursiver und direktiver Führung sind ein bzw. zwei Korrelationen statistisch signifikant.
Angesichts der hohen Erwartungen hinsichtlich der Schul- und Unterrichtsentwicklung, die sich an die Auswertung von Vergleichsarbeiten knüpfen, und angesichts der wesentlichen Rolle, welche dabei für die Schulleitungen vorgesehen ist, ist die Untersuchung von Kronsfoth et al. zu begrüßen. Dies gilt umso mehr, als es hinsichtlich der Auswirkungen von unterschiedlichen Führungspraktiken auf die Auswertung von VERA-Resultaten bisher kaum Erkenntnisse gibt. In diesem Sinne ist die Untersuchung durchaus als Pionierarbeit zu bezeichnen.
Sie trägt allerdings auch alle Stärken und Schwächen einer typischen Pionierarbeit: So versuchen die Verfasserinnen und der Verfasser, anhand einer noch recht groben Einteilung von Führungsdimensionen und der Anwendung „einfacher“ statistischer Verfahren auf der Basis eines (zu?) kleinen Datensatzes und unter vorläufigem Ausschluss von Drittvariablen erste Ergebnisse vorzulegen. Auf diese Vorgehensweise könnte auch die Mehrzahl schwacher, nicht signifikanter Korrelationen zurückzuführen sein. Sollten sich die derart ermittelten und vorerst noch sehr wenig abgesicherten Befunde allerdings in Folgeuntersuchungen als stabil erweisen, so würden sie wichtige Entscheidungsgrundlagen für eine Ausgestaltung des Schulleitungshandelns liefern. So könnte sich ein delegativer Arbeitsstil bei der Ergebnisrezeption und -verarbeitung als kontraproduktiv erweisen und sich ein direktiver Stil gegebenenfalls als sinnvollere Alternative anbieten. Allerdings könnte es auch sein, dass Schulleitungen, welche die Ergebnisrezeption bzw. -verarbeitung delegieren, diese von vorneherein nicht für wichtig genug erachten, um sie zur „Chefsache“ zu machen. Diese Geringschätzung könnte sich auf die Intensität auswirken, in der die Ergebnisse an den Schulen ausgewertet werden.
Die ungesicherte Befundlage findet ihren Niederschlag in der Ergebnisdiskussion von Kronsfoth et al., die in Teilen widersprüchlich ausfällt:
Einerseits sind die Autorinnen und der Autor sich der für eine Ergebnisdiskussion ausgesprochen ungünstigen statistischen Ausgangslage bewusst und weisen deutlich auf die oftmals schwachen und nicht signifikanten Korrelationen zwischen Führungsindikatoren und Nutzungsindizes hin. Dementsprechend stellen sie klar (S. 59): „Eine Interpretation der aufgezeigten Korrelationsmuster kann keine Gewissheit über die funktionalen Zusammenhänge zwischen Führungsdimensionen und der Nutzung von VERA-Rückmeldungen geben“.
Trotz dieser ungünstigen Ausgangssituation versuchen sie andererseits, tendenziell erkennbare Zusammenhänge für die drei Führungsdimensionen herauszuarbeiten:
In einem dem Ausblick auf zukünftige Forschungen gewidmeten Kapitel mahnen Kronsfoth et al. an, bei kommenden Untersuchungen auch Drittvariablen in den Blick zu nehmen, welche die Ergebnisse der Korrelationsrechnungen beeinflussen könnten. Sie nennen in diesem Zusammenhang den wahrgenommenen Nutzen der Vergleichsarbeiten, die Größe oder die Problembelastung von Schulen als mögliche Einflussfaktoren. Auch solle der Übergang von einer rein korrelativen zu einer kausalen Analyse versucht werden. Schließlich halten es Kronsfoth et al. für wünschenswert, die Aktivitäten der sonstigen schulischen Akteure nicht mehr durch die Schulleitung einschätzen zu lassen, sondern diese selbst zu befragen. Auf diese Weise könnten Verzerrungen durch ungenaue Einschätzungen verringert werden.
Es ist den Verfasserinnen und dem Verfasser der Studie positiv anzurechnen, dass ihnen die Einschränkungen ihrer Studie größtenteils bewusst sind und dass sie in einem „Limitation und Ausblick“ betitelten Kapitel auf dieser Basis eine sinnvolle Weiterentwicklung der Untersuchung anstreben. Das gilt auch hinsichtlich der Klärung der Rolle der sonstigen schulischen Akteure. In der vorliegenden Untersuchung wird nicht ganz klar, welche Personengruppen mit welchen Funktionen/Rollen an einer Schule hier erfasst werden. Zudem ist es – wie Kronsfoth et al. selbst anmerken – sinnvoll, deren Aktivitäten durch direkte Befragung und nicht durch Spiegelung im Urteil der Schulleitung zu erfassen.
Sollte es zukünftig gelingen, die Teilnehmerzahl für die Untersuchungen zu erhöhen, dann wäre auch die Chance gegeben, Fragen differenzierter zu stellen. So gehen die Verfasserinnen und der Verfasser davon aus, dass direktiv arbeitende Schulleitungen verstärkt Rückmeldungen über die interne Evaluation der VERA-Ergebnisse verlangen. Hier wäre zu erfragen, ob das wirklich zutreffend ist. Generell könnte hinsichtlich der Führungsdimensionen eine stärker gegliederte Untersuchung sinnvoll sein. So wird in der Studie eine geringere Auswertungsaktivität der VERA-Ergebnisse in Verbindung mit delegierender Führung gebracht. Diese kann aber auf unterschiedlichen Ursachen beruhen: 1. kann sie die Konsequenz daraus sein, dass die Schulleitung Delegieren als ideales Führungsmodell schätzt, 2. sie kann eine Notlösung sein, wenn der Umfang der übrigen Aufgaben die Schulleitung auslastet, 3. sie kann ein Mittel sein, mit der die Schulleitung unliebsame oder als unwichtig erachtete Aufgaben an sich vorbeilenkt. Im letztgenannten Fall könnte zudem von Bedeutung sein, ob die Schulleitung erkennen lässt, ob sie die Auswertung von VERA-Ergebnissen als wesentlich oder als sekundär erachtet. Für diese hier skizzierten Fälle erscheint es möglich, dass die Datenauswertung jeweils qualitativ und quantitativ unterschiedlich abläuft, obwohl die Führung in allen Fällen delegierend ist. Nicht nur im Falle einer derartigen Fragestellung wäre es zudem sinnvoll, die quantitativen Untersuchungen durch stichprobenartige qualitative Befragungen zu begleiten und gegebenenfalls zu justieren.
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